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Beitrag Taktlos 01/00 (Beruf Orchestermusiker) / Martin Hufner
Musik: Adorno, Orchesterstücke op.4 Nr. 1 (CD Track 3), 12
Sekunden stehen lassen, dann unter den Text legen, bis („.. wenig
später")
Sprecher:
„Die Verhaltensweise der Orchestermusiker zu beschreiben, liefe
auf eine Phänomenologie der Renitenz hinaus.“ Zu dieser Beurteilung
kommt 1962 Theodor W. Adorno in seiner Einleitung in die Musiksoziologie.
Er vergleicht die Verhaltensweisen von Orchestermusikern dort mit
Begriffen aus der Psychoanalyse. „Die Sozialpsychologie des
Orchestermusikers ist die des ödipalen Charakters, schwankend zwischen
Aufmucken und Ducken," schreibt er nur wenig später. Wer einmal
Aufführungsmaterial Neuer Musik anschaut, nachdem es auf den Pulten von
Orchestermusikern lag, der kann nicht umhin, diese rüden Urteile für
gerechtfertigt zu halten. Die Eintragungen der Musiker gehen nicht selten
über die Grenzen des „guten Geschmacks" erheblich hinaus. Das sind
zwar nur Oberflächenphänomene, was dahinter steckt ist vermutlich noch
schlimmer: Zum Beispiel eine künstlerische Überheblichkeit, die sich
gegenüber jungen Dirigenten und Komponisten unumwunden äußert. Oder:
eine Angestellenmentalität, wenn es um Fragen des gewerkschaftlichen
Schutzes geht. Ein Schutz, der gleichermaßen vor persönlichem Einsatz
schützt wie er die Berufung zum Musizieren auf das Niveau
unselbständiger Arbeits-Dienste herunterschraubt. Dazu trägt das
idiotische Tarifgefummel erheblich mit bei. Dass sich die Tarifklassen
nach der Anzahl der beschäftigten Musiker ausrichten, ist nicht nur
anachronistisch sondern kontraproduktiv in höchstem Maße.
Die Situation zahlreicher Dirigenten und Solisten ist da nicht besser,
das sollte man der Gerechtigkeit halber nicht verschweigen. Viele sind
hauptsächlich nur noch Künstler des Marketings. Und die Orchestermusiker
sind ausgebildete Arbeits-Esel geworden, die notfalls auch André Rieu
hinterhergeigen, -blasen oder bestenfalls -schlagen. Die Orchestermusiker
sind, um es gerade heraus zu sagen, „Spießbürger in Uniform".
Musik: Radetzky-Marsch, jatata jatata jata ta ta ta
Sprecher:
Es ist nicht allein die Schuld der Orchestermusiker, obwohl sie nicht
gerade wenig dazu beitragen, dass alles so bleibt wie es ist. Der
Orchestermusiker sitzt im Zwiespalt zwischen Unterordnung und
künstlerischer Ambition. Zusammenbringen ließe sich dergleichen wohl
nur, wo die Orchestermusiker aus Interesse an der Sache sich
zusammenfänden, so wie es bei Jugendorchestern eigentlich meistens der
Fall ist oder auch in den jüngsten Treibhauspflänzchen der selbstorganisierten
Orchester.
Gewiß wäre es vermessen und unsinnig, von Orchestern zu verlangen,
sie mögen besser sein als die Gesellschaft, die sie hervortreibt. Sie
sind, wie Adorno sagte „ein Mikrokosmos der Gesellschaft". Ändern
ließe sich das natürlich nicht vom Orchester aus, sondern nur durch eine
Veränderung der Gesellschaft. Aber: solange Aktionäre als die
Impulsgeber des gesellschaftlichen Umbaus firmieren, wird sich da kaum
etwas tun.
Musik: Adorno, Orchesterstücke op.4 Nr. 1 (CD Track 3 Schluss),
ab 0:55:20 unter dem Text einblenden // ab 1:11:20 frei stehen lassen bis
Schluss 1:25
regensburg, 6.1.2000
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