Ich leb’ wohl auf ‘ner Insel
Das deutsche Comeback des Jahres: Wolfgang Michels
Irgendwie spukte sein Name seit Jahrzehnten in der deutschen Popmusikszene
herum: Michels. Aber irgendwie konnte man sich auch kein rechtes
Bild von ihm machen. Einmal sang er in englischer Sprache, dann
wieder in seiner Heimatsprache. Und in allen Rocklexika suchte man
seinen Namen vergeblich. Selbst in Christian Grafs „Lexikon
der Singer & Songwriter“ taucht Michels nicht auf. Irgendwann
um 1990 hatte er einen kleinen Single-Hit in den deutschen Charts:
„Dancin’ On The Edge Of Life“. Doch damals firmierte
er unter „Percewood“. Es schien, als wollte er seine
Spuren verwischen.
Blätterte man in alten Musikzeitschriften aus den Siebzigern,
begann sein Name plötzlich zu strahlen: „Full Moon California
Sunset“ wurde dort einhellig als Meisterwerk gelobt. Doch
über seine „Roots“ erfuhr man dort herzlich wenig.
Selbst als er in den frühen Achtzigern mit Rio Reiser zusammenarbeitete,
blieb Michels „terra incognita“. Irgendwann danach ist
er dann gänzlich aus dem Blickfeld geraten – bis auf
das erwähnte Chart-Intermezzo. Und nun hat Warner Music plötzlich
sein Gesamtwerk aus den letzten 35 Jahren auf elf CDs wiederveröffentlicht:
160 Tracks, digitally remastered. Ein Solitär der deutschen
Popszene feiert damit ein merkwürdiges Comeback, das den Blick
frei gibt auf einen „master of handmade rock music“
(Rolling Stones) aus Germany, der Ende 2003 zum ersten Mal in seinem
Leben auf Tournee geht.
Die Geschichte begann in den späten Sechzigern, als ein Michels-Song
aus dem Nichts heraus in der BBC-Hitparade auftauchte, zwischen
den Rolling Stones und Donovan. Unter dem Pseudonym „One Plus
None“ hatte Michels als „One Man Band“ seinen
Ohrwurm „Desert Walker“ im Wohnzimmer aufgenommen und
das Tape an die BBC geschickt. So einfach ging das damals, man musste
nur den nötigen Größenwahnsinn besitzen. Jedenfalls
war auch bald Alexis Korner, der Vater des Weißen Blues, auf
das blutjunge One-Hit-Wonder aus Germany aufmerksam geworden und
so ermunterte er ihn zu seiner ersten Langspielplatte, die Michels
mit seiner neuen Band „Percewood’s Onagram“ aufnahm.
Bis 1974 erschienen vier englischsprachige Alben, die man heute
getrost als „link“ sehen kann zwischen den Rattles und
Ton, Steine, Scherben einerseits und Can und Kraftwerk andererseits.
Ein hellsichtiger Songwriter stellte sich hier vor, der geschickt
Folk, Rock, Beat und Soul auf sehr psychedelische Weise miteinander
mixte. Ende 1974 trennte sich „Percewood’s Onagram“.
Michels begab sich auf Solopfaden in die USA. In den legendären
kalifornischen „Pacific Recording Studios“ nahm er seine
Vision von West Coast Rock auf: „Full Moon California Sunset“.
Ein durch und durch amerikanisches Album, das so lässig daherkam
wie kaum ein zweites aus der West Coast-Ecke. Nach dem Fortsetzungsalbum
„Crazy Enough“ zog es Michels wieder in die Heimat zurück.
Dort entstanden dann in den frühen Achtzigern drei exzellente
deutschsprachige LPs, die im Rückblick als „blueprint“
gedient haben mögen für Rio Reisers Soloalben. Der „König
von Deutschland“ hatte bei diesen innig-politischen Alben
den einen oder anderen Text beigesteuert. „Bei Mondschein“
schrieb Reiser sogar die Liner Notes. Danach herrschte bis 2003
fast völlige Funkstille. Zwei Sampler des Pioniers Michels,
„The Essential Collection“ und „Das Beste“,
sind für die Neueinsteiger gedacht, die manch eine Querverbindung
entdecken mögen zu Kultbands wie „Wir sind Helden“.
Viktor Rotthaler
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