Deutsche Musikhochschulen ziehen Interessenten aus aller Welt
an
Vor etwa elf Jahren in Tokio: Die junge Pianistin Yoko Dozaka besucht
das Konzert einer deutschen Klavierprofessorin und ist davon so
angetan, dass sie Kontakt zu ihr aufnimmt. Inzwischen hat Yoko,
die in Japan bereits ein Musikstudium abgeschlossen hatte und dort
auch eigene Schüler unterrichtete, ein weiteres Klavierstudium
„made in Germany“ bestritten. In einem Kölner Straßencafé
versucht sie sich zu erinnern, wie das alles kam. „Das war
ein Traum, ne.“ Eigentlich wollte sie nur einen Monat bleiben
– um Privatunterricht zu nehmen. Daraus ist dann ein Jahrzehnt
geworden.
Der Ausländeranteil an Deutschlands Musikhochschulen liegt
bei etwa 35 Prozent – an den Universitäten dagegen ist
er allerhöchstens halb so hoch. Im Sommersemester 2005 studierten
an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf gut 25 Prozent
Nachwuchsmusiker aus dem Ausland, an der benachbarten Hochschule
für Musik Köln sind es 43 Prozent. An den baden-württembergischen
Hochschulen sei ein Prozentsatz von über 40 Prozent üblich,
bemerkt Professor Michael Uhde, Ansprechpartner für das Austauschprogramm
Erasmus/Sokrates an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Ein
Großteil der ausländischen Studierenden stamme aus den
osteuropäischen Staaten und aus dem asiatischen Raum, erwähnenswert
dabei sei ein hoher koreanischer Anteil, so Tino Stöveken vom
Akademischen Auslandsamt der Düsseldorfer Hochschule.
Was macht Deutschland für Musikstudenten aus nah und fern
so beliebt? Yoko hatte sich immer gewünscht, irgendwo in Europa
zu studieren – und wenn, dann am liebsten in Deutschland oder
Österreich. „Unsere Tradition und eure, die sind sehr
verschieden; und was ich studieren wollte, ist eure Tradition.“
Bach, Beethoven, Brahms, Schumann… Das sind die Namen, die
gerade asiatische Musiker nach Deutschland locken. Man will mit
dem eigenemnKörper das Land erkunden, die Gebäude sehen,
die Plätze und Straßen riechen, an denen die Musik entstanden
ist, mit der man sich täglich umgibt. Deutschsprachige Komponisten
bestimmen noch immer das Programm im internationalen Konzertgeschehen.
Yokos Erwartung, „echte Musik“ zu erleben und viele
Konzerte besuchen zu können, hat sich in der Kölner Philharmonie
erfüllt. Wie viele andere Studenten hat Yoko dort so manchen
Abend auf Stehplätzen verbracht. „In Japan spielen zwar
auch weltberühmte Pianisten, aber es ist schwer, ein Ticket
zu kriegen und auch sehr teuer.“
Ausgezeichnete Lehrer, international anerkannte Künstler
und Professoren, die an deutschen Hochschulen unterrichten, sind
ein weiterer wichtiger Grund, warum so viele junge Musiker unterschiedlicher
Herkunft nach Deutschland ziehen. „Ich wollte unbedingt zu
meinem Professor kommen, Arbo Valdma“, begründet Galja
Vraneševic ihr Studium an der Kölner Musikhochschule.
Da sie parallel zum Abitur bereits einen Diplomabschluss in Serbien
erworben hatte, wurde Galja in Deutschland direkt ins fünfte
Semester der Künstlerischen Ausbildung für das Fach Klavier
eingestuft. Direkt anschließend begann sie das Aufbaustudium
mit dem Abschluss Konzertexamen. Leicht wurde ihr der Anfang jedoch
nicht gemacht: Nach bestandener Aufnahmeprüfung musste Galja
sieben Monate auf ihre Aufenthaltsgenehmigung warten und verpasste
dadurch notgedrungen ihr erstes Semester.
Viele Studenten folgen dem Ruf einer bestimmten Hochschule oder
eines Lehrers, bei dem sie Unterricht haben möchten. Mit Professor
Arbo Valdma aus Estland ist eine ganze Schülerschar nach Köln
gelockt worden. Nach der Teilnahme an zwei Meisterkursen hat Valerij
Lisac aus Novi Sad im Norden Serbien-Montenegros bereits mit 17
Jahren sein Elternhaus verlassen, um ein reguläres Studium
bei Arbo Valdma zu beginnen – ohne überhaupt die Sprache
seines zukünftigen Studienortes zu verstehen.
Ebenfalls wegen ihrer Lehrerin ist Yael Barolsky für das Konzertexamen
in Deutschland an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule.
Zuvor hat sie in London ihre Ausbildung als Geigerin absolviert,
die Grundlagen dazu erhielt Yael durch Privatunterricht in ihrem
Heimatland Israel. Sie wollte sehen, was es draußen in der
Welt so gibt und fand es ohnehin an der Zeit, einen Lehrerwechsel
zu vollziehen. Außerdem ist sie wie viele andere überzeugt,
dass sich ein ausländischer Abschluss in einer Musiker-Biografie
einfach gut macht. „Wir sind ein so kleines Land – beinahe
alle Studenten aus Israel gehen mal ins Ausland. Aber egal wo du
studierst, am Ende zählt, wie du spielst.“
Wie Yoko oder Galja haben die meisten der ausländischen Studierenden
an deutschen Hochschulen bereits in ihrem Herkunftsland eine Ausbildung
begonnen, wenn nicht gar abgeschlossen. Nun holen sie sich noch
mal einen Feinschliff. Im Bereich der Kunst gilt es als eine Art
Gütesiegel, ein Studium in Deutschland zu absolvieren: Ein
anerkannt hohes Ausbildungsniveau sowie zahlreiche Praxismöglichkeiten
sprechen dafür – sei es Konzerte zu besuchen, selbst
zu veranstalten oder vielfältige Unterrichtsmöglichkeiten
nutzen zu können. „Man findet viele gute Namen auf einem
Haufen, in einem Land“, so Yael. Außerdem – und
das ist wohl kein unwesentliches Merkmal – ist das Studium
in Deutschland noch günstiger als andernorts, beispielsweise
in England oder den USA.
Auch wenn Studiengebühren anstehen, bleibt Deutschland als
Studienort weiterhin attraktiv.
Die meisten der ausländischen Studenten finanzieren sich aus
eigenen Mitteln – nicht anders als ihre deutschen Kommilitonen.
Letzteres gilt vor allem für diejenigen, die nicht nur ein
bis zwei Semester im Rahmen eines Austauschprogramms wie Erasmus/Sokrates
eine deutsche Hochschule besuchen. Erasmus gewährt eine monatliche
so genannte „Mobilitätshilfe“, durch die die entstehenden
Mehrkosten abgedeckt werden sollen. Die Beträge dafür
sind von Jahr zu Jahr und auch zwischen den Hochschulen unterschiedlich,
die Obergrenze, die nur selten erreicht wird, liegt bei 200 Euro.
Ein großer Prozentsatz ehemaliger Erasmus-Studenten an der
Karlsruher Musikhochschule bleibe auch nach dem Auslandssemester
bzw. -jahr, bemerkt Professor Uhde, wobei dann allerdings noch eine
Aufnahmeprüfung fällig wird.
Diejenigen, die aufgrund des Auslandsstudiums höhere Reise-
und Lebenshaltungskosten haben, sind oft darauf angewiesen, eine
Förderungshilfe zu finden. Für Valerij Lisac war das die
einzige Möglichkeit, ein Studium hier aufzunehmen. Nachdem
seine Bewerbung um ein Stipendium beim DAAD aus Unklarheit darüber,
wie mit Ex-Jugoslawen verfahren werde, nicht bewertet wurde, musste
er nach alternativen Stipendienmöglichkeiten suchen.
Die Angebote an Fördermöglichkeiten können je nach
Hochschule verschieden ausfallen: Von regional über privat
bis international, in Form von Auslandsstipendien und Studienabschlussstipendien,
über Stiftungen oder durch Wettbewerbe. Vollstipendien werden
allerdings sehr selten vergeben.
An der Musikhochschule Düsseldorf beispielsweise richten sich
die Studienabschlussstipendien ausschließlich an Ausländer,
das Auslandsstipendium „DAAD FreeMover“ an ausländische
sowie an deutsche Studenten, die hochschulinternen Wettbewerbe sind
offen für die gesamte Studentenschaft. Letztere finden sehr
guten Zuspruch während das Interesse an den Ersteren anscheinend
auf eher verhaltenes Interesse stößt. Tino Stöveken
vermutet dahinter einen guten finanziellen Background. Wahrscheinlich
stehen auch mangelnde Kenntnis über die bestehenden Möglichkeiten
sowie Scheu vor den Formalitäten, die diese Anträge mit
sich bringen, mehreren Bewerbungen im Wege. Eine Anlaufstelle für
ausländische Studierende stellt das Akademische Auslandsamt
dar; dort gibt es Informationen zu den Stipendien, Betreuung und
Beratung. Aber ein Akademisches Auslandsamt, wie beispielsweise
an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, gibt es in ganz
Baden-Württemberg nicht. Professor Michael Uhde bezeichnet
dies klar als Missstand.
Wer an einer Musikhochschule studieren will, muss eine Aufnahmeprüfung
ablegen. Damit nehmen die Hochschulen in Deutschland wohl eine Art
Vorbildfunktion gegenüber den Universitäten ein: Immer
mehr universitäre Studiengänge suchen sich inzwischen
ebenfalls anhand zusätzlicher Aufnahmebedingungen ihre Studenten
selbst aus. Dabei entscheidet Qualität – und nicht das
Herkunftsland oder der Umfang des vorbereitenden Unterrichts. In
der Regel geht der Aufnahme eines Musikstudiums jahrelanger Unterricht
voraus, privat oder an Musikschulen. Hängt die Messlatte für
das künstlerische Niveau an den deutschen Musikhochschulen
hoch, so geht der musikalisch-allgemeinbildende Anteil doch etwas
unter. Auch an den meisten Musikschulen Deutschlands wird weniger
auf theoretische und allgemein-musikalische Ausbildung geachtet.
Vorbereitende Kurse für die Aufnahmeprüfung müssen
zusätzlich bezahlt werden.
Valerij und Galja haben in ihrem Heimatland ganz andere Erfahrungen
gemacht: Die Musikschule, die in Serbien viele Kinder besuchen,
hat eine feste Dauer von sechs bis sieben Jahren und folgt einem
Lehrplan. „Das ist die Norm“, erzählt Valerij,
„man geht vormittags in die normale Schule und nachmittags
eben zweimal in der Woche in die Musikschule.“ Zusätzlich
zum Instrument werden die Schüler einmal wöchentlich in
Gehörbildung geübt. Wer nicht ein gewisses Mindestmaß
an Leistung erbringt, muss sogar ein Musikschuljahr wiederholen.
Unterricht in Formenlehre, Kontrapunkt, Musikgeschichte oder Kammermusik
hat Galja im Musikgymnasium erhalten, an der Kunst-Akademie kamen
weitere Fächer dazu: Philosophie-, Kunstgeschichte- oder Ästhetik-Seminare,
die Musikstudenten ebenso wie angehende Schauspieler oder Kunststudenten
belegen müssen. Früher hat sie sich über diese strenge
Ausbildung oft geärgert, aber bei ihrem späteren Studium
in Deutschland stellte Galja fest, dass sie dadurch doch einen Vorsprung
hatte. Der Anteil an theoretischem Unterricht der künstlerischen
Ausbildungen an deutschen Musikhochschulen ist ziemlich reduziert.
Yoko erinnert sich, dass sie in Japan mindestens dreimal so viele
Fächer in ihrem Studium integriert hatte wie hier in Deutschland:
„Kein Vergleich.“
Fehlt uns etwa eine entsprechende Ausbildung? Wird der musikalische
Nachwuchs in Deutschland nicht ausreichend gefördert? Diese
Fragen stellen sich spätestens, wenn man feststellt, dass in
einigen instrumentalen Hochschulklassen gerade mal zwei „Quotendeutsche“
auftauchen. Die meisten der ausländischen Studenten würden
diese Fragen bejahen, haben sie sich doch einige Jahre gequält
mit zusätzlichem Stoff, von dem sie nun als Basiswissen profitieren.
Inzwischen bieten zwar einige Hochschulen ein Früh-Studium
an – so startet an der Kölner Musikhochschule zum Wintersemester
2005/2006 das Pre-College Cologne für hochbegabte junge Musiker
– aber noch ist dieser Weg eine Seltenheit. Haben sich bisher
kaum Spitzenförderungen etabliert, wird in der Breite schon
längst abgebaut: die Mittel für die städtischen Musikschulen
werden weiter gekürzt und in den allgemeinbildenden Schulen
gibt es gelegentlich noch nicht einmal Musikunterricht.
Wen wundert es da, wenn er sich morgens gegen acht Uhr in die
Kölner Hochschule schleicht und einer kleinen „Übe-Schlange“
mit vorwiegend asiatischen Augen entgegenblickt?
Die meisten der ausländischen Studierenden kehren nach ihrem
Abschluss in ihr Heimatland zurück, sind dort zum Teil als
Lehrer tätig. Yoko möchte zunächst aber noch in Deutschland
bleiben. „Auch wenn ich 50 Jahre hier wäre, wäre
ich immer noch Ausländerin. Das ist einerseits sehr streng,
andererseits sehr spannend: Leute kennen zu lernen als Ausländerin.“
Ihre Schüler sind ausnahmslos Deutsche und lachen oft über
die lustige Aussprache der jungen Lehrerin. Aber an den Tasten herrscht
Respekt.