An deutschen Musikhochschulen wird gegenwärtig viel über
Studienreformen gesprochen. Vielerorts sind bereits Arbeitsgruppen
gebildet worden, die neue Strukturen entwickeln sollen. Teilweise
liegen bereits Konzepte in den Schubladen, und in Münster (die
nmz berichtete) und Mainz laufen bereits Studiengänge, die
mit dem Bachelor-Abschluss enden. Begriffe wie Bologna, Credits,
Modularisierung und Profilbildung werden häufig im Munde geführt.
Was hat es mit alledem auf sich? Ein kleines alphabetisches Glossar
soll ein wenig Klarheit bringen.
Dabei soll gleich mit dem zentralen Begriff des Bachelors
begonnen werden. Der Bachelor soll als erster Studienabschluss das
bisherige Diplom – oder im Falle der Schulmusik das Staatsexamen
– ersetzen. Genau wie diese bisher üblichen Abschlüsse
soll ein Bachelor-Abschluss zur Ausübung eines Berufs auf dem
Arbeitsmarkt qualifizieren. Bachelor-Abschlüsse gibt es bisher
schon in anderen Ländern. Prototypisch sind gewissermaßen
die Studiensysteme in den USA und in Großbritannien, wenngleich
sich auch hier nicht alles einheitlich darstellt.
Die europaweite Umstellung der Studiensysteme hin zum Bachelor
hat ihren Grund und Ausgangspunkt in den Konferenzen der europäischen
Bildungsminister, insbesondere in der so genannten Bologna-Deklaration,
verabschiedet 1999 in Bologna (nachzulesen etwa unter http://www.crus.ch/deutsch/Lehre/bologna/europa/umwas.html),
in der die Minister ihren Willen zur Schaffung eines europäischen
Hochschulraumes mit größerer Kompatibilität und
Vergleichbarkeit der Hochschulsysteme erklären. Es heißt
in der Erklärung unter anderem, dass ein Bachelor-Abschluss
erst nach mindestens drei Jahren Studium vergeben werden soll. Die
Konferenz der Rektoren der deutschen Musikhochschulen hat darin
von Anfang an auch die Gefahr gesehen, dass die Ministerien diese
Mindestforderung zur Norm erklären und sechssemestrige Musikstudien
fordern könnten. Sie hat daher erklärt, dass künstlerische
Studiengänge in jedem Fall acht Semester dauern sollen. Die
Arbeitsgemeinschaft der Leitenden Musikpädagogischer Studiengänge
in Deutschland (ALMS) hat betont, dass auch ein Studium zum Musikschullehrer
oder zur selbstständigen Instrumentallehrerin (das gilt natürlich
auch für Hauptfächer wie Gesang, Elementare Musikpädagogik
oder Musiktheorie) ein künstlerisches Studium darstellt –
genauer: ein künstlerisch-pädagogisches – und acht
Semester erfordert (vgl. den Beitrag des Autors auf der Seite „Forum
Musikpädagogik“ der allgemeinen Ausgabe).
Es ist jedoch nicht nur der Abschluss, der sich ändern wird.
Ein wichtiges Element der Studienreformen stellt die so genannte
Creditierung dar. Den Studierenden werden in Zukunft ihre Studienleistungen
in Credits oder „Credit points“ bescheinigt. Ein Credit
entspricht dabei 30 Arbeitsstunden. Die Credits sind also ein Maß
für die Quantität der geleisteten Arbeit, den „work
load“. Natürlich braucht die eine Studentin länger
für denselben Stoff als der andere Student. Die Dozentinnen
und Dozenten legen daher vorher für jeden Kurs eine genaue
Anzahl an Credits fest, die sie für das erfolgreiche Absolvieren
dieses Kurses bei einem durchschnittlichen Studenten veranschlagen
und schließlich im Anschluss an den Kurs nach einer entsprechenden
Prüfung jeweils vergeben. Andererseits finden sich Credit-Werte
auch in den Prüfungsordnungen, wo festgelegt ist, wie viel
Credits in einem bestimmten Fächerkomplex gesammelt werden
müssen. Pro Semester sollen insgesamt 30 Credits erworben werden,
was also 900 Arbeitsstunden bedeuten würde. Darin ist dann
auch die häusliche Arbeit enthalten, die während des Semesters,
aber auch in der vorlesungsfreien Zeit anfällt. Geht man von
drei Wochen Ferien im Halbjahr aus, so bleiben etwa 23 Wochen mit
je 39 Arbeitsstunden. Die Hochschullehrkörper müssen sich
bei ihren Forderungen also grundsätzlich bescheiden und untereinander
absprechen, um von den Studierenden nicht mehr zu verlangen, als
in diese Zeit passt, die ja etwa auch der Arbeitszeit eines Angestellten
entspricht.
Angestrebt ist bei alledem eine gewisse Wahlfreiheit für
die Studierenden. Die Hauptsache ist, dass am Ende die Summe der
gesammelten Credits für die Fächerkomplexe stimmt. Damit
potenzielle Arbeitgeber aus dem Zeugnis ersehen können, was
eine Studentin während ihres Studiums genau belegt hat, wird
es das „Diploma supplement“ (deutsch: Diplomzusatz)
geben, ein Zusatz zum Zeugnis, der genau darüber Auskunft gibt.
Da die Dozentinnen und Dozenten für jede Veranstaltung angeben
müssen, welche Kompetenzen am Ende erworben sein sollen, sollte
also solch ein Diploma supplement auch die berufsrelevanten Kompetenzen
des jeweiligen Studenten erkennen lassen.
Weil die Credits gewissermaßen eine internationale Währung
darstellen, können Studierende ihre Leistungen und Kompetenzen
dereinst überall an europäischen Hochschulen anerkennen
lassen und sammeln. Auch können sie Credits, die sie im Rahmen
eines bestimmten Studienganges erworben haben, auch in andere Studiengänge
einbringen. Damit erreicht man eine Durchlässigkeit, Flexibilisierung
und schließlich auch Internationalisierung der Studien. Natürlich
war derlei auch bisher schon nicht unmöglich; nun aber stellt
es ein ausdrückliches Ziel der Reformbemühungen dar, schafft
es doch zum einen den angestrebten „Hochschulraum Europa“
und trägt zum anderen der vom Arbeitsmarkt geforderten Flexibilität
Rechnung, die ja durchaus Umorientierungen und Mehrfachqualifikationen
beinhalten kann.
Wesentlicher Inhalt der neuen Studienformen ist die Zweistufigkeit.
An das erste Studium (undergraduate), das mit dem Bachelor abschließt,
kann ein zweites (graduate) im gleichen Fach angeschlossen werden.
Ein solches Studium wird konsekutiv genannt und führt zum akademischen
Grad des Masters. Der Master sollte an Musikhochschulen einen höherwertigen
Abschluss darstellen, als es das bisherige Diplom war. Das Master-Studium
ist dann etwa mit Aufbaustudien vergleichbar, wie es sie an deutschen
Musikhochschulen schon immer gab. Allerdings wäre dies für
den künstlerisch-pädagogischen Studiengang zum Musikschullehrer
und selbstständigen Musiklehrer in Deutschland ein Novum und
durchaus eine attraktive Option; bei unserem Nachbarn Österreich
gibt es dagegen auch bisher schon ein erstes und ein zweites Diplom
für die Musikerzieher. Die ALMS wünscht sich in diesem
Zusammenhang, dass man auf einen Bachelor in Musikerziehung verschieden
ausgerichtete Master-Studien aufsatteln können soll, etwa auch
ein rein künstlerisches Master-Studium, ein wissenschaftlich
orientiertes oder ein pädagogisch ausgerichtetes Master-Studium
mit einer fachlichen Spezialisierung. Master-Studiengänge müssen
also in diesem Sinne nicht streng konsekutiv sein, immer aber sollen
die entsprechenden Veranstaltungen auf einem höheren Niveau
angesiedelt sein als beim Bachelor-Studium.
Ein weiteres wichtiges Bestreben der Reformen ist ebenfalls in
aller Munde: die Modularisierung. Veranstaltungen, die inhaltlich
aufeinander bezogen werden können, sollen – durchaus
auch fachübergreifend – zu größeren Komplexen,
den „Modulen“ zusammengefasst und als Block geprüft
werden. Denkbar wäre beispielsweise ein Modul zur Musik des
16. Jahrhunderts, das die Einstudierung von Stücken dieser
Zeit, die musiktheoretische Analyse entsprechender Musik und eine
musikhistorische Grundlagen-Vorlesung umfassen würde. Ein Modul
zum Anfangsunterricht könnte Veranstaltungen aus der Fachdidaktik
ebenso beinhalten wie solche aus Entwicklungspsychologie und Musikpädagogik
sowie Praktikumsteile. Mit solchen Modulen soll eine größere
Vernetzung der Veranstaltungen erreicht werden. Module sollen in
sich geschlossene Blöcke darstellen, die bestimmte Kompetenzen
ausbilden und je nachdem in verschiedene Studiengänge eingebracht
werden können.
In den Erklärungen zu den Studienreformen ist häufig
von den Anforderungen des Arbeitsmarktes zu lesen. So haben auch
die Rektoren der deutschen Musikhochschulen zusätzlich zu den
traditionellen Inhalten des Musikstudiums neue Inhalte gefordert.
Besonders dicht an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes ist dabei
ein Komplex von Veranstaltungen, den sie Professionalisierungsbereich
nennen. Gedacht ist hier an Inhalte aus der Betriebswirtschaft,
an Selbstmanagement, Fragen des Vertrags- und Urheberrechts, Marktanalyse,
Auftrittstraining und dergleichen mehr. Verbindlich soll weiterhin
Projektarbeit werden. Hier geht es im Hinblick auf die spätere
Berufstätigkeit um fächerübergreifende Kooperationen
und Erfahrungen mit verschiedenen Sparten und Berufsfeldern. Bei
alledem hatten die Rektoren die Tatsache vor Augen, dass man heutzutage
weniger denn je davon ausgehen kann, dass Studiengänge bruchlos
und sicher in bestimmte Anstellungen und Berufstätigkeiten
führen. Es ist – das zeigt auch eine entsprechende Studie
von Heiner Gembris – eben nicht so, dass Studierende des Studienganges
Orchestermusik samt und sonders in Orchestern unterkommen oder Studierende
der Musikerziehung sich Festanstellungen an Musikschulen holen.
Zunehmende internationale Konkurrenz auf der einen und die Nöte
der öffentlichen Kassen auf der anderen Seite haben die Situation
für Absolventen von Musikhochschulen deutlich verschärft.
Ein beträchtlicher Teil der Absolventinnen und Absolventen
wird selbstständig arbeiten. Das heißt dann häufig
auch, sich ein persönliches Mosaik von Tätigkeiten aufzubauen.
Das könnte beispielsweise heißen: Privatschüler,
Auftritte im Bereich der Salonmusik, der Alten Musik, der Neuen
Musik und der Kammermusik, einen Nachmittag an einer Musikschule
mit Kindergruppen, Instrumentalschüler an einer anderen, einen
Tag in der Kindertagesstätte, einen Lehrauftrag an der Universität,
Wochenenden mit Kursen für Erzieherinnen, CD-Produktionen im
Pop-Bereich (alles das hat zum Beispiel der Autor dieser Zeilen
eine Zeit lang als persönliches Mosaik betrieben) und vieles
mehr.
Mancher schätzt die Abwechslung und individuelle Note seines
privaten Patchworks gar höher ein als eine lebenslange Musikschul-
oder Orchesterstelle. Andererseits ist es nicht immer leicht, sich
mit einem solchen Mosaik eine solide und verlässliche finanzielle
Basis zu erarbeiten. Vor diesem Hintergrund fordern die Rektoren
schließlich, einen so genannten Schwerpunktbereich in die
Studiengänge zu integrieren. Die Studierenden sollen so die
Möglichkeit erhalten, einen Teil der zu absolvierenden Stunden
bereits in einen persönlich zu wählenden Schwerpunkt zu
investieren und sich damit ein individuelles Profil zu schaffen,
das sie für Musikschulen, Ganztagsschulen, Kulturämter,
freie Träger sowie private Auftraggeber und potenzielle Kunden
interessant machen könnte. Einige Hochschulen verwirklichen
dies bereits heute mit Wahl- oder Wahlpflichtfächern. In Saarbrücken
kann etwa im Studiengang Musikerziehung freiwillig eines der folgenden
13 Fächer als Wahlfach belegt und dann auch in die Diplomprüfung
einbezogen werden: Alte Musik, Neue Musik, Kammermusik, Korrepetition,
Ensembleleitung, Chorleitung, Jazz, Körperarbeit, Elementare
Musikpraxis, Musik und Computer, Erziehungswissenschaft, Musikwissenschaft
und Betriebswirtschaft. Die Studierenden machen von diesem Angebot
noch etwas zögerlich Gebrauch. Möglicherweise nimmt die
Ausrichtung auf das eigene Hauptfach oder den angestrebten Traumberuf
sie so in Anspruch, dass der Gedanke an persönliche Profilbildung
oder an einen Broterwerb jenseits der Sicherheiten einer Festanstellung
weit weg ist. Sollte sich dies mit den Reformen ändern, die
nun allerorts vorbereitet werden, so hätten sie sicher schon
ein wesentliches Ziel erreicht.