Die Strukturveränderungen an den NRW-Hochschulen gehen weiter
Proteste hagelte es Anfang 2003, als die nord-rhein-westfälische
Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft den Bericht der von ihr
eingesetzten Sachverständigenkommission zum Anlass nahm, um
den Musikhochschulen ihre ordnungspolitischen Vorstellungen für
die zukünftige Ausrichtung der akademischen Landschaft anzukündigen
(s. dazu „Ein Konzept für die zukünftige Orientierung“
in nmz April 2003 und „Neue Strukturen in NRW“ in Fermate
Heft 22/2, 2003, S. 8ff.). Die Musikhochschulen befanden sich dabei
nicht auf der „grünen Wiese“, sondern nahmen teil
an dem umfassenden Reformprozess aller Hochschulen des Landes. Die
Kommission hatte strukturelle Schwächen, dringende Notwendigkeiten
für eine größere Berufsnähe, internationale
Konkurrenzfähigkeit, Überschneidungen von Aufgabenbereichen
untersucht und eine Reihe inhaltlicher Vorschläge gemacht.
Sie setzte sich zusammen aus Vertretern von Musikhochschulen anderer
Bundesländer, von Rundfunkanstalten und Medieninstituten, aus
Praktikern des Veranstaltungsbereichs wie Wissenschaftlern, und
zollte trotz aller kritischen Vorschläge der Qualität
der Ausbildung in Nordrhein-Westfalen hohes Lob.
Nach intensiven internen Diskussionen in allen Hochschulen und
langwierigen Verhandlungen zwischen Ministerium und den Instituten
wurden dann in 2004 die so genannten Zielvereinbarungen abgeschlossen,
in denen die grundsätzlichen Landesziele wie auch die neue
Ausrichtung der Hochschulen im Detail festgelegt wurden bei einer
Laufzeit zunächst bis Ende 2006. Den Wortlaut dieser Zielvereinbarungen
kann man entweder auf den Homepages der Musikhochschulen oder auf
der des Ministeriums nachlesen (siehe unten).
Zielvereinbarungen
Trotz grundsätzlicher Skepsis, Kunsthochschulen mit dem Instrumentarium
oder Vokabular zeitgenössischen Organisationswesens zu konfrontieren,
schätzen heute die Leitungen aller Musikhochschulen die Entwicklung
als sehr positiv ein. In ihren Budgets haben sie nichts hinzugewonnen,
einmal von der Aufteilung der Stellen der Detmolder Abteilung in
Dortmund nach deren Auflösung abgesehen, aber viele neue Wege
zu einer sehr viel größeren Hinwendung der Ausbildungen
zu größerer Berufsfertigkeit der Absolventen eingeleitet.
In allen Zielvereinbarungen heißt es dazu: „Die Hochschulen
brauchen Studienangebote, die auf die heutigen gesellschaftlichen
Anforderungen an Ausbildung und Berufsfertigkeit eine befriedigende
Antwort geben.“ Auch ging es dem Ministerium darum, „einen
Prozess einzuleiten, der den Musikschulen künftig im Wege der
Selbststeuerung die laufende Veränderung und Erneuerung ermöglicht“.
Insoweit zog sich das Ministerium auch aus Verwaltungsprozessen
heraus, die nun von den Hochschulen ohne zusätzliche Ausstattung
zu erledigen sind.
Für alle wurde die Einführung der Bachelor-/Masterstudiengänge
im Zeitrahmen der Zielvereinbarungen festgelegt. Weitere wichtige
Punkte sind neben der Berufsfeldorientierung die Stufung und Modularisierung
mit der damit verbundenen inhaltlichen Erneuerung. Vor allem mit
Hilfe der Modularisierung sollen die wenig durchlässigen bisherigen
Studiengänge dem Studenten ermöglichen, eine möglichst
breite Ausbildung zu absolvieren, die ihm verschiedene Berufsfelder
öffnet, dem Instrumentalsolisten nicht nur den Zugang zur Alten
oder Neuen Musik, Orchesterarbeit wie Kammermusik, sondern auch
den Einstieg in die Musikpädagogik und Musikwissenschaft. Auch
wird Wert gelegt auf die Stärkung von Musiknetzwerkstrukturen
in die regionale Musiklandschaft hinein. Die in Erwägung gezogene
Verlagerung des Kölner Standortes Wuppertal nach Düsseldorf
wurde nicht realisiert. Die bisherige Detmolder Abteilung Münster
wurde als neue Abteilung in der Qualität einer Kunsthochschule
der Universität Münster zugeordnet. An die Stelle der
Detmolder Abteilung in Dortmund trat das neu gegründete Orchesterinstitut
NRW als gemeinsame Einrichtung aller Musikhochschulen, angebunden
an die Folkwang-Hochschule in Essen.
Nach der Installation einer neuen Landesregierung infolge der
Landtagswahl vom 22. Mai 2005 fragen sich die Musikhochschulen,
ob sie nun vor Beendigung der strukturellen Veränderungen neue
zu erwarten haben beziehungsweise wie es nach dem Ablauf des Jahres
2006 weitergeht. Auch fragen sie sich, welche Konsequenzen das in
dem neuen Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung
und Technologie geplante so genannte Hochschulfreiheitsgesetz für
sie haben wird. Andre Zimmermann, Pressesprecher des Ministeriums,
betont, dass sein Haus davon ausgeht, dass viele Entwicklungen auf
einem guten Weg sind. Ziel des neuen Gesetzes soll sein, die Autonomie
der Hochschulen zu stärken, damit diese ihre individuellen
Standortbedingungen optimal gestalten können. Welche Änderungen
etwa in der Hochschulverfassung zu erwarten sind, lässt der
Sprecher zur Zeit angesichts der gerade erst begonnenen Diskussionsprozesse
offen. In Gesprächen mit den Leitungen der Hochschulen wurde
der derzeitige Verfahrensstand erfragt.
Hochschule für Musik Köln
Froh ist Rektor Professor Josef Protschka über den Verbleib
der Abteilung Wuppertal, deren Kompetenz für die pädagogische
Arbeit dringend gebraucht wird. Gerade in diesem Bereich sind viele
Veränderungen in Arbeit, sei es bei berufsbegleitenden Angeboten
für fertige Musiklehrer, in der Breitenförderung mit modellhaften
Versuchen an Grundschulen oder bei besonderen Anstrengungen in der
Hochbegabtenförderung, bei der die Unterstützung bereits
ab dem zehnten Lebensjahr beginnen soll.
Die Jazzabteilung ist um den Bereich populäre Musik mit zusätzlicher
stellenmäßiger Ausstattung erweitert worden, mit der
Folge einer sehr viel größeren Vielseitigkeit der Ausbildung.
Die Beibehaltung der Qualitäten der akademischen Ausbildung
unterscheidet diesen Weg von der Popakademie in Mannheim, ohne dass
dem Absolventen die notwendigen theoretischen wie praktischen Kenntnisse
und Fertigkeiten fehlen. Auch der Schwerpunkt Alte Musik wie die
Musikwissenschaft wurden verstärkt.
Ein bisher einzigartiger Zugewinn ist die Gründung des Zentrums
für Internationales Kunstmanagement (CIAM) gemeinsam mit der
Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, der Kunstakademie Düsseldorf
und der Kunsthochschule für Medien Köln.
Schließlich ist der Ausbau des Standorts Aachen zu einer
Opernschule geplant. Abgerundet wird das Bild einer aktuellen Ausbildung
durch eine immer enger werdende Verzahnung in die Region hinein
vor allem durch Kooperationen mit der Kölner Philharmonie,
dem WDR sowie den Theatern und Opern in Köln, Bonn und Aachen.
Robert Schumann Hochschule Düsseldorf
Auch wenn die Verlagerung der Kirchenmusik von Essen nach Düsseldorf
nicht realisierbar war, bleibt die Kirchenmusik einer der Düsseldorfer
Schwerpunkte. Rektor Professor Raimund Wipperman verweist auf die
Anstrengungen zur Schaffung der Bachelor-/Masterstudiengänge,
bei denen man sich zunächst nicht an den formalisierten Rahmenbedingungen
orientiert hat, sondern den zentralen musikalischen Fragen. In umfangreichen
Rechen- und Bewertungsvorgängen des notwendigen Studienaufwandes
wird dabei auch schon einmal die Frage nach der Studierfähigkeit
eines Studiengangs aufgeworfen. Wippermann macht deutlich, dass
das in Europa eingeführte Akkreditierungsverfahren durch so
genannte Akkreditierungsbüros aus dem Budget der Hochschulen
zusätzlich finanziert werden muss. Das Grundmodell für
die neuen Studiengänge ist inzwischen erarbeitet, geht nun
in die Verfahren zur Akkreditierung ein. Ein weiterer zentraler
Schwerpunkt liegt in der Verbindung von Musik und Medien in den
Ausbildungsgängen der Ton- und Bildtechniker.
Folkwang-Hochschule Essen
Neben dem Mutterhaus verfügt das Institut über drei
weitere Standorte, die eigenständig bestimmte Aufgaben der
Hochschule wahrnehmen, so die Bereiche Klavier, Alte Musik und Kammermusik
in Duis-burg und Tanz in Bochum. Rektor Professor Martin Pfeffer
freut sich besonders über die positive Entwicklung des Orchesterinstituts
NRW in Dortmund, in dem seit Herbst 2004 die ersten Studenten auf
die Berufspraxis des Orchestermusizierens im Rahmen eines Aufbaustudiums
in besondere Weise vorbereitet werden, unterrichtet unter anderem
von Stimmführern aus namhaften Orchestern der Republik.
Musikhochschule Detmold
Interessante Wege zeigt Prorektor Professor André Stärk
für Detmold auf. So gibt es auch hier ein Modellprojekt für
Hochbegabte. Glücklich trifft es sich in Detmold, dass fast
der gesamte Gebäudebestand in den letzten Jahren saniert und
modernisiert wurde. Insofern sind hervorragende räumliche Bedingungen
gegeben.
Die Vorbereitung für die neuen Studiengänge sind auch
hier weit fortgeschritten. Dabei hat man sich modellhaft mit den
geforderten Evaluationsverfahren auseinander gesetzt. Exemplarisch
wird dabei an einem Berichtswesen gearbeitet. Schließlich
verfügt Detmold über eine außergewöhnliche
technische Ausstattung in der Tontechnikausbildung, die es nur noch
zweimal in der Welt gibt. Hier entwickelt die Hochschule einen neuen
Forschungsschwerpunkt.
Musikhochschule Münster
Einen organisatorisch besonderen Weg ist man in Münster mit
der Anbindung an die Universität gegangen. Dekan Professor
Reinbert Evers sieht in dieser Anbindung die positive Möglichkeit,
das ganze Spektrum zum Beispiel der Geisteswissenschaften der Universität
zu nutzen. Bei der Einrichtung der neuen Studiengänge ist sein
Haus am weitesten. Das Bachelor-Studium mit den drei Studiengängen
künstlerische, pädagogische und musikwissenschaftliche
Kompetenz hat bereits im letzten Wintersemester begonnen, der Master
wird spätestens 2006 folgen. Neu eingerichtet ist der Schwerpunkt
der Musik anderer Kulturen („Weltmusik“).
Fazit
Trotz anfänglicher umfangreicher Bedenken und langer Diskussionsprozesse
ist an den nordrhein-westfälischen Musikhochschulen in den
letzten Jahren ein Reformprozess in Gang gekommen, der vor allem
den Studenten in ihrer Vorbereitung auf das Berufsleben nutzt. Die
unveränderte akademische Ausrichtung verhindert glücklicherweise,
dass man auf die Idee kommt, die Strukturen am rechnerischen Bedarf
von Arbeitsplätzen zu orientieren. Und dennoch bemüht
man sich, an vielen Stellen die Kapazitäten den beruflichen
Anforderungen anzupassen. Zu wünschen ist, dass auch vonseiten
der Landesregierung die Fortführung des eingeschlagenen Wegs
garantiert wird.
Professor Protschka ist allerdings zuzustimmen, wenn er sagt,
dass letztlich alle Reformprozesse nicht wesentlich weiterführen,
solange es nicht gelingt, die Akzeptanz künstlerischer Berufe
und Ideen gesellschaftlich und vor allem bildungspolitisch angemessen
zu platzieren.