Weiter kontroverse Diskussion zum Thema Studienfinanzierung
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar 2005,
wonach ein bundesweites Verbot von Studiengebühren nicht zulässig
ist, hat erneut die Diskussion über Studiengebühren in
Deutschland angefacht. Das Thema steht bei den Bundesländern
ganz oben auf der Agenda. Die Einführung von Studiengebühren
dürfte langfristig nicht zu verhindern sein. Laut politischen
Prognosen sollten schon ab dem Sommersemester 2006 in Nordrhein-Westfalen
und Hamburg allgemeine Studiengebühren für alle Studierenden
eingeführt werden. Als nächstes wären dann Niedersachsen
(ab Wintersemester 2006/07), Baden-Württemberg und Bayern (ab
Sommersemester 2007) an der Reihe. In sechs anderen Bundesländern
(Bremen, Hessen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Schleswig-Holstein)
wurde die Einführung zwar noch nicht beschlossen, jedoch wird
sie, neben anderen Lösungen, in Erwägung gezogen.
In der Realität verschieben sich aber diese Termine noch nach
hinten. Auch wenn bei den Landesregierungen entsprechende Gesetze
erlassen werden, sollen sie den Hochschulen lediglich die Möglichkeit
bieten, Studienentgelte zu erheben. Ob, wie und wann davon Gebrauch
gemacht wird, sollen die Hochschulen selbst entscheiden. Und die
wissen es meistens noch nicht, sondern warten auf konkrete Regelungen
seitens der Landesregierungen. Das betrifft auch die meisten Musikhochschulen,
die über die eventuelle Einführungszeit oder Höhe
der Gebühren noch keine Informationen erteilen können.
An der Hamburger Musikhochschule sei ab nächstem Jahr mit
den allgemeinen Studiengebühren zu rechnen, es ist jedoch noch
nicht beschlossen worden, ab welchem Semester. Konkretere Regelungen
gibt es noch nicht. An der Musikhochschule Saar kommen die Entgelte
frühestens im Wintersemester 2006/07. Zwar ist man sich darüber
einig, dass sich diese Pläne auf die Zahl der Studierenden
negativ auswirken können. Es heißt aber, ein Studium
soll trotz Gebühren für alle offen stehen. Es müsse
eine soziale Komponente enthalten sein, „sodass sozial Benachteiligte
nicht am Studium gehindert werden“, so zum Beispiel der Prorektor
der Musikhochschule Nürnberg-Augsburg, Bernhard Tluck. Seitens
der Hochschulen werden jedoch zur Zeit noch keine konkreten Förderprogramme
für sozial Schwache entwickelt.
Die Debatte um Studiengebühren wird aus mehreren Perspektiven
geführt. Studiengebühren seien aus Gründen der sozialen
Verteilungsgerechtigkeit erforderlich, da öffentliche Hochschulen
aus dem Gesamtsteueraufkommen finanziert werden, meinen die Befürworter.
Mit einer Studiengebühr werden mit hoher Wahrscheinlichkeit
die letzten kläglichen Reste von Studenten aus unteren sozialen
Schichten aus den Unis entfernt, erwidern die Gegner. Der Ring Christlich-Demokratischer
Studenten spricht sich für Studiengebühren aus, solange
sie sozialverträglich ausgestaltet werden. „Sozial ausgestaltete
Studiengebühren verhindern die gegenwärtige Verteilung
von unten nach oben in der Bildungsfinanzierung. Im Moment bezahlt
der weit überwiegende Bevölkerungsanteil von Nichtakademikern
das Studium der Akademiker“, meint Dorlies Last, Bundesvorsitzende
des Rings Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) und Studentin
an der Franz-Liszt-Musikhochschule Weimar. Die Einführung der
Studiengebühren sollte mit einem Finanzierungssystem wie etwa
Stipendien oder Darlehen verbunden sein, welches es jeder und jedem
ermögliche, unabhängig vom Einkommen des Elternhauses
zu studieren. Von der anderen Seite (u.a. vom Aktionsbündnis
gegen Studiengebühren, ABS) wird dagegen argumentiert, dass
für sozial schwache Gruppen keine zusätzlichen Hürden
beim Erwerb eines Hochschulabschlusses geschaffen werden sollten.
„Bisher konnte weder empirisch noch theoretisch nachgewiesen
werden, dass ‚sozialverträgliche‘ Studiengebühren
überhaupt möglich sind“, meint das ABS.
Die Studentenvertretung der Musikhochschule Nürnberg-Augsburg
lehnt Studiengebühren in der jetzigen Form ab, da die Finanzierung
für die Studenten völlig unklar sei – „da
geht es um Existenzen“. Vor allem die ausländischen Studenten,
die kaum an Studentenjobs gelangten, hätten Probleme, das Studium
zu finanzieren. Außerdem komme noch der wenig flexible Stundenplan
der Musikstudenten hinzu, der das Jobben zusätzlich erschwere.
Auch an anderen Musikhochschulen sind die Studierenden nicht gerade
begeistert. In Saarbrücken gab es sogar „musikalische
Proteste“ in Form eines Konzertes auf dem Markt. Nicht alle
aber drücken ihre Meinung auf solch raffinierte Art und Weise
aus. Studiengebühren seien, laut einigen Studierenden, „ein
faules Ei von ganz oben“, „Steine im Weg“ oder
„Geldbeschaffung auf Kosten der Studenten“.
Auch wenn viele ihre Empörung nicht verbergen können,
sind selbst unter den Studierenden die Meinungen geteilt. „Studiengebühren,
wenn richtig gemacht, sind das Beste, was uns passieren kann. Wenn
das Geld nur für die Lehre verwendet wird, können mehr
Übungsleiter, Studienberater, eingestellt werden oder Gastprofessoren
können angeworben werden“, meint Martin, Student im vierten
Semester. „Gut, wenn die Betreuung besser wird!“, pflichtet
ein anderer Student bei. In einem Punkt sind sich aber alle einig:
„Studiengebühren sollen direkt in die Ausbildung einfließen
und nicht in andere Haushaltstöpfe wandern.“
Ein anderes, ziemlich neues Modell der Studienfinanzierung läuft
zur Zeit in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Es handelt
sich um Studienkonten, deren Einführung auch in Berlin und
Brandenburg erwägt wird. Beim Studienkontenmodell erhalten
alle Studierenden ein „Bildungsguthaben“, das sich an
der Regelstudienzeit und der Semesterwochenstundenanzahl des gewählten
Studienganges orientiert. Die in der Prüfungsordnung vorgesehene
Anzahl an Semesterwochenstunden (SWS) plus ein gewisser Puffer (im
Gespräch sind hier häufig 25 Prozent) werden auf einem
Konto gutgeschrieben. Mit dem Besuch von Lehrveranstaltungen werden
diese SWS abgebucht. Ist das Konto leer oder wird die Regelstudienzeit
um ein bestimmtes Maß überschritten, werden die Studentinnen
und Studenten zur Kasse gebeten. Beide Länder haben derzeit
eine so genannte Regelabbuchung, die im Endeffekt darauf hinausläuft,
dass das Konto nach der 1,5-fachen (NRW) beziehungsweise der 1,75-fachen
(RLP) Regelstudienzeit leer ist und dann Langzeitgebühren fällig
werden.
Auch an den Musikhochschulen gibt es zur Zeit die Regelabbuchung,
die sich nach der Semesterzeit und nicht nach der faktischen Stundenzahl
richtet. Im Sommersemester 2007 soll die individuelle Abbuchung
(pro Fach) eingeführt werden, „das ist aber immer noch
Zukunftsmusik“, so die Musikhochschule Detmold. Zukunftsmusik
umso mehr, dass das Ministerium für Wissenschaft in Nordrhein-Westfallen
„in naher Zukunft“ (wahrscheinlich ab Wintersemester
2007) allgemeine Studiengebühren zu ermöglichen plant.
Was dann mit den Studienkonten und dem von Studierenden bereits
erhaltenen Bildungsguthaben passiert, scheint keiner zu wissen.
Die Musikhochschulen warten in dieser Hinsicht auf die Regelungen
der Landesregierung.
Studienkonten sollen ein Instrument zur Sicherung der Studiengebührenfreiheit
des Erststudiums und dadurch ein wesentlicher Schritt zu mehr Gerechtigkeit
und bildungspolitischer Chancengleichheit sein. Auch dieses Modell
wurde jedoch zum Zankapfel. Wie auf den Internetseiten des ABS zu
lesen ist, werde die Intensität und die Zeitdauer des Studiums
durch den durch das „Guthaben“ definierten gebührenfreien
Zeitraum abnehmen. „Wer mehr besuchen möchte, als im
Curriculum vorgegeben ist, wer versucht, während des Studiums
über den viel zitierten Tellerrand hinauszublicken, kann dies
nicht mehr ohne Einschränkungen tun. Interdisziplinäres
Studieren und zusätzliche Qualifikationen wie Sprach- und EDV-Kurse
und Nichtbestehen von Prüfungen gehen dann auf Kosten des „Guthabens“.
Auch ein Doppelstudium, ein Wechsel des Studienfaches oder ein Zweit-
beziehungsweise ein Aufbaustudium werden künftig nicht mehr
gebührenfrei möglich sein. Die Tendenz, ein Studium mit
einem Minimum an (finanziellem) Aufwand an den Anforderungen des
Arbeitsmarkts auszurichten, wird verstärkt: Fächer, die
nicht im Trend liegen, fallen dabei unter den Tisch“ –
prophezeien die Gegner dieses Systems, das nur das kleinere Übel
im Vergleich zu den allgemeinen Studiengebühren bedeute.
Eines der Hauptargumente für Studiengebühren ist ihre
regulative Wirkung, wodurch die Zahl der so genannten Langzeitstudenten
reduziert werden soll. Unter Langzeitstudium versteht man das Überschreiten
der Regelstudienzeit um mehr als vier Semester. Ein anderes Mittel
zur Disziplinierung der „ewigen Studentinnen und Studenten“
sind so genannte Langzeitgebühren, die an Universitäten
ab dem 14. und an den Fachhochschulen ab dem 10. Semester erhoben
werden können. Solche „Langzeit-Studiengebühren“
gibt es bislang in Baden-Württemberg, Niedersachsen, Saarland,
Bayern, Hamburg, Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Berlin,
Brandenburg und Bremen wird diese Möglichkeit überlegt.
Auch dazu gibt es heftige Diskussionen. Das Klischee, dass Langzeitstudentinnen
und -studenten lediglich im Studierendenstatus verharrende Faulenzer/-innen
seien, wird vom ABS zurückgewiesen: „Ein Langzeitstudium
ist immer ein Einzelfall. Vergegenwärtigt man sich die Gründe,
die ein Studium verlängern, ist leicht abzusehen, dass es schnell
zu einer Überschreitung der Regelstudienzeit um mehr als vier
Semester kommen kann. Von einem exorbitant langen Studium in Deutschland
kann nicht die Rede sein.“
Andere Lösungen für die Hochschulen sind Zweitstudiengebühren
(beschlossen in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen), Studiengebühren
für „Nicht-Landeskinder“, also solche, die ihr
Abitur in einem anderen Bundesland gemacht haben (in der Diskussion
in Berlin und Rheinland-Pfalz) oder für „Externe“,
die nicht am Hochschulort wohnen (bereits beschlossen in Hamburg,
diskutiert in Bremen und Mecklenburg–Vorpommern). Zur Zeit
werden auch an vielen Hochschulen in Baden-Württemberg, Bayern,
Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen und Niedersachsen verschiedenartige
Verwaltungskostenbeiträge, Rückmelde- oder Immatrikulationsgebühren
erhoben. Auch in Hamburg und Sachsen gibt es Pläne, diese einzuführen.
Auch wenn es zur Zeit noch möglich ist „umsonst“
zu studieren, belaufen sich die Kosten für ein gebührenfreies
Studium in Deutschland nach Angaben des Bundesbildungsministeriums
auf durchschnittlich 40.000 Euro. Schon genug, um junge Leute aus
ärmeren Familien vom Studium abzuschrecken. „Eine Studiengebühr
von bereits 500 Euro wäre eine finanzielle Mehrbelastung, die
ich nicht mehr in Kauf nehmen würde. Ich frage mich, warum
sich da noch Leute wundern, dass nur 18 Prozent der Leute studieren,
die dem so genannten Arbeitermilieu entstammen“, meint eine
Studentin im Internetforum der Website „Studentenpilot“.
„Als Student, der Gebühren bezahlt, ist man dann aber
zahlender Kunde. Und dann wäre man in einer anderen Situation
als jetzt. Wer was bezahlt, will dafür auch ein ordentliches
Angebot haben. Insofern sehe ich die Studiengebühren durchaus
positiv“, so die Meinung eines Studenten aus Halle gegenüber
dem nmz-Hochschulmagazin.
Die Behauptungen, dass Studiengebühren die Leistung und die
Qualität der Lehre verbessern würden, werden aber auch
in Zweifel gezogen. „Die Studiengebühren, jedenfalls
die des Studienkontenmodells, wurden bis dato fast ausschließlich
in den Haushalt geworfen. Somit wurde mit den Gebühren nicht
die Bildung, sondern der Haushalt saniert. Zwar wird versprochen,
dass die neu zu erhebenden 500 Euro Studiengebühren ausschließlich
den Universitäten zugunsten kommen sollen, aber versprochen
wurde und wird stets viel“ – schreibt ein Student im
Forum des WDR. „Die Studiengebühren werden doch aus dem
Grund von den Ländern forciert, weil diese auf gut Deutsch
völlig pleite sind“, pflichtet eine andere Stimme bei.
Ein Argument der RCDS für Studiengebühren ist die Situation
im Ausland. „Studiengebühren sind im internationalen
und europäischen Kontext üblich. Deutschland hat auf dem
Gebiet eine absolute Sonderstellung. Weltweit und auch in Europa
ist die Beteiligung von Studierenden an den Kosten ihrer Ausbildung
weit verbreitet.“ Laut ABS dagegen könne von Studiengebühren
als international üblicher Praxis und der deutschen Sonderstellung
eines „kostenfreien“ Studiums keine Rede sein. „Bloß
weil die Amis das machen, muss es nicht gleichzeitig gut sein!“
meint Marcel, Student im vierten Semester. Studiengebühren
gibt es jedoch nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch
in 15 von 27 Ländern West- und Mitteleuropas (die Europäische
Union plus Norwegen und Schweiz). Keine Studiengebühren werden
in den skandinavischen Ländern, Frankreich, Irland, Polen,
der Tschechischen und der Slowakischen Republik, Luxemburg, Malta
und bisher Deutschland erhoben. In Malta, Schweden und der Slowakischen
Republik müssen die ausländischen Studenten bezahlen.
Die Studienkosten in Europa sind aber weitaus niedriger als in den
Vereinigten Staaten.
Abgesehen von den Gebühren scheint eins sicher zu sein: Um
zu studieren braucht man Geld. Neben Jobben und staatlichem Darlehen
(BAföG) haben die Studierenden noch andere Finanzierungsmöglichkeiten
zur Verfügung, zum Beispiel Privatkredite. Eine Variante für
Begabte sind so genannte Bildungsfonds, wo das Geld unabhängig
vom Einkommen der Eltern und ohne Hinterlegung von Sicherheiten
gewährt wird (mehr dazu: www.career-concept.de). Unabhängig
von den Leistungen werden auch von verschiedenen Geldinstituten
Bildungskredite angeboten (z. B. Bildungskredit der KfW Förderbank:
www.kfw-foerderbank.de). Begabte oder politisch engagierte Studierende
können sich auch um Stipendien verschiedener Stiftungen bewerben.