Klassik goes Techno und vice versa. Nur wieder eines der zur Zeit
gern bemühten Crossover-Projekte? Es scheint so. Im Sommer nächsten
Jahres soll in Berlin die erste Techno-Oper der Welt auf die Bühne
gebracht werden – mit einer gigantischen Show und entsprechendem
Aufwand. Da werden Laser blitzen, Wasserfontänen meterhoch in die
Luft schießen und als technischer Overkill ein virtueller Caruso
auf der Bühne erscheinen, der mit spezieller und moderner Projektionstechnik
den Eindruck eines realen Carusos erwecken soll. Der Initiator Schaaf
propagiert vollmundig die Entstehung eines ganz neuen, eigenständigen
Genres. Wird das etwas werden? Mit einer Story, wie der geplanten?
Da trifft Technofreak „Techno“ beim Internet-Chat das Mädchen „Opera“,
das für die Opernarien alter Zeiten schwärmt und den hypen Jungen
mit auf eine virtuelle Reise durch die Geschichte der Oper nimmt.
In der Praxis bedeutet dies, dass Technobeats sich an die Klassiker
der Opernliteratur reihen, Madame Butterfly in Trance, Don Giovanni
ganz Ambient. Natürlich, so beteuert der Veranstalter Schaaf, habe
man bei der ausgesuchten alten Musik „eher gefällige Stücke“ gewählt,
„damit die Leute besseren Zugang finden.“ Also nicht ernstzunehmendes
Crossover mit neuen Perspektiven, sondern Konzession an ein vergnügungshungriges
Publikum über „drei Generationen“ hinweg? Es wird dann wohl kaum
für ein neues, eigenständig musikalisches Genre reichen, wenn man
ohne gegenseitige Befruchtung und Austausch aktuelle Popmusik neben
Musik klassischer Prägung stellt. Die Zuschauer erwartet ein gigantisches
Spektakel mit Staunen machendem Aufwand – nicht mehr.
Die offizielle Internetseite zum Event glänzt demgegenüber mit
Wenigem. Es ist zwar einzusehen, dass sie sich ca. ein halbes Jahr
vor dem tatsächlichen Veranstaltungstermin noch im Aufbau befindet.
Und trotzdem enttäuscht der geringe Umfang doch, zumindest ein paar
Klangproben von der Loveparade, wo Schaaf in diesem Jahr bereits
sein Projekt und die Sänger vorgestellt hat, hätte man sich gewünscht.
Da hilft nur, sich das Exposé per Acrobat Reader anzutun, dessen
Inhalt in schillerndsten Farben und mit Schaum vorm digitalen Mund,
Techno zur das „momentane Zeitgeschehen“ treffendsten „zeitgenössischen
Kultur“ stilisiert. Mit der Angst bekommt man es beinahe zu tun,
wenn dort von einem Netzwerk geschwärmt wird, dass von „technoiden
Aktivisten“ aufgebaut wurde. Klingt dann doch mehr nach „Terminator
goes Internet“ – hasta la vista, Baby! Es beruhigt dann aber doch,
dass Schaaf das Genuine der Technoszene, die ihr meint, maßlos überschätzt
und all die ernstzunehmenden und spannenden Projekt zahlreicher
Technokünstler weltweit ignoriert.
Diese Kritik sollte nicht als ein weiteres Beispiel von Kulturkonservativismus
missverstanden werden, denn sie beklagt eigentlich nur, dass hier
etwas zum zukunftsweisenden kulturellen Super-GAU stilisiert wird,
das nicht zu mehr taugt, als der gigantischen Fun-Industrie ein
weiteres Produkt hinzuzufügen. Denn weiterhin ist das Exposé voll
von Seltsamkeiten, die dann doch sehr befremden. Da ist von neuen
„Realitäten“ die Rede, die der Computer aus „Licht, Projektionen
und Musik“ entstehen läßt. Wohl zuviel im Netz gesurft und den Boden
unter den Füßen verloren?
Und der Anspruch, wie könnte es anders sein, gibt sich wie bei
der hochstilisierten Internet-Symphonie wieder nur mit „Welt-“ zufrieden,
kleine Brötchen sollen andere backen. Es ist so von einem „Weltkulturprojekt“,
gar von einem multimedialen „Brückenschlag über Generationen, Zeit
und Raum hinweg“ die Rede. Aber das ist ja noch harmlos, wenn man
weiterliest und den Guru der wunderbaren Zukunft Schaaf in Steinersche
Spähren abheben sieht. Da ist dann gar von „ganzheitlicher Kunst“
die Rede, die die wunderbare Message transportiert: „Es gibt Liebe
auf dieser Welt!“ Und während in Berlin die Lichter blitzen und
ein virtueller Caruso Gassenhauer der Opernliteratur plärrt, fallen
ein paar hundert Kilometer weiter ganzheitliche Bomben auf Köpfe
Unschuldiger.
Aber nein, Herr Schaaf ist nicht die folgerichte Antwort auf den
Antroposophen am Ende des Jahrhunderts, sondern ein geschickter
Marketingmensch, denn nur ein paar Zeilen weiter nennt er, was Sache
ist: „Marketingmaßnahmen ermöglichen ein Weltmusikwerk – ein Weltmusikwerk
wird zum Marketinginstrument.“
Vielleicht sollte man bei allem Frust über einen weiteren Beitrag
zu „Ach, werdets doch a bisserl locker!“ noch als positiv hervorheben,
dass ein Kompositionswettbewerb ausgelobt ist, der nicht nur viel
Geld bringt, sondern auch für die Ewigkeit unsterblich macht – allerdings
bleibt dabei die Frage, was der Veranstalter unter „technoid-ethnologischen
Kompositionen“ versteht. Pump up that volume!