nmz 2002 | Seite 12
51. Jahrgang Sonderausgabe
Bestandsaufnahme
Musikalische Elite und Botschafter in die Welt
Das Bundesjugendorchester steht für die Nachwuchsförderung
im Musikland Deutschland
Eigentlich ist in dieser Zeitung im Lauf der Jahre schon (fast)
alles geschrieben worden, was es über „Deutschlands jüngstes
Spitzenorchester“ zu schreiben gibt. Erstmals im Jahr 1969,
dem Gründungsjahr des Bundesjugendorchesters. Damals war noch
zu lesen, dass die Initiatoren des ersten nationalen Jugendorchesters
„wider eigenes Erwarten auf so freundliche und schnelle Bereitschaft
der zuständigen Abteilung (des Bundesfamilienministeriums)“
stießen, „dass die Realisierung des Plans in greifbare
Nähe rückte“. Zugegeben: die freundliche Bereitschaft
öffentlicher und privater Geldgeber hat – im Vergleich
mit anderen musikalischen Projekten – bis heute erfreulich
kontinuierlichen Bestand. Umso schlimmer, wenn eine solche stetige
und notwendige Förderung – aus welchem Grund auch immer
– wegbräche.
Die Erfolgsstory des BJO durchzieht seine inzwischen 33-jährige
Geschichte. Durch außergewöhnliche Projekte hat es immer
wieder Aufmerksamkeit erregt. Etwa mit der Aufführung des Verdi-Requiems
im ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt. Oder mit Gedenkkonzerten
für die Atombombenopfer in Nagasaki und Hiroshima. Solche musikübergreifenden
Projekte sind Teil einer kontinuierlichen pädagogischen wie
künstlerischen Arbeit der wertvollsten Art.
Die Freude am Musizieren
ist den jungen „BJOlern“ anzusehen. Foto: Bundesjugendorchester
Das Bundesjugendorchester ist die Zugspitze einer reichhaltigen
Jugendorchester-Landschaft in Deutschland. Dazu gehören Musikschul-
und Schulorchester, städtische und freie Jugendorchester, Studenten-,
Regional- und Landesjugendorchester. Jedes dieser Jugendorchester
ist ein kleines Biotop, das in unsere Gesellschaft hineinwirken
sollte. Junge Menschen lernen hier, was es bedeutet, Teil einer
Gemeinschaft zu sein und sich für diese zu engagieren. Sie
werden geschult in so genannten alten Tugenden wie Fleiß und
Disziplin. Sie verbringen einen Großteil ihrer Freizeit mit
und für die „Hauptsache Musik“. Das BJO versammelt
die künstlerische Elite dieser musizierenden jungen Menschen
und präsentiert sich damit als (Fern-)Ziel unzähliger
Jugendlicher, ähnlich einer Auszeichnung beim Bundeswettbewerb
„Jugend musiziert“. Musikalischer Begabung und künstlerischem
Ehrgeiz bietet sich damit ein Zielpunkt, auf den hinzuarbeiten sich
lohnt: eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Funktion
eines solchen Spitzenorchesters.
Musikalische Elite also ist dieses BJO. Künstlerisches Ziel
ist unbestreitbar die Erreichung eines möglichst hohen musikalischen
Niveaus und einer Perfektionierung technischen Orchesterspiels.
Eine Elite im positiven Sinne aber muss noch mehr leisten: das Wissen,
zu den Besten zu gehören sollte sich paaren mit Dankbarkeit
und einem Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem großen
Ganzen. Niemand könnte dies besser formulieren, als es Hans
Timm, der langjährige BJO-Geschäftsführer, in seinen
liebevollen und persönlichen Worten anlässlich des dreißigjährigen
Jubiläums des Orchesters in der nmz getan hat: „Eine
Minderheit. Aber diese ist – wie auch Minderheiten aus anderen
Bereichen – das Salz der Erde. Das verpflichtet. Diese jungen
Menschen haben eine Vorbildfunktion zu erfüllen. Sie dürfen
sich nicht elitär zurückziehen und ihre Erfahrungen für
sich behalten. Nicht als einzelne Person und nicht als Orchestergemeinschaft,
sondern sie müssen als Multiplikatoren wirken“. Angesichts
einer kulturell ärmer werdenden Gesellschaft, in der gesellschaftliche
Verantwortung nicht gerade zu den beliebtesten Tugenden gehört,
wird diese Aufgabe zukünftig noch wichtiger. Das Bundesjugendorchester
ist geradezu prädestiniert sie zu erfüllen.
Aber nicht nur musikalisch-pädagogischer „Kader“
ist das BJO. Es darf auch genutzt werden: als Botschafter Deutschlands
in die Welt hinein. Das politische Gewicht des Orchesters ist in
der Vergangenheit bereits verschie-dentlich erkannt worden, etwa
im Rahmen des Gedenkens an die Berliner Luftbrücke im Jahr
1998, oder, als der Deutsche Musikrat mit tatkräftiger Unterstützung
der Deutschen Stiftung Musikleben im September vergangenen Jahres
spontan und kurzfristig ein Benefizkonzert des BJO für die
Opfer des Terroranschlags in den USA auf die Beine stellte. Als
Repräsentant unseres Landes darf und sollte das BJO in der
Zukunft noch viel intensiver genutzt werden. Es eignet sich für
diese Rolle vorzüglich: Es steht für das Musikland Deutschland,
personifiziert Qualität, Engagement und Leistungsbereitschaft,
Innovation, Jugendlichkeit und damit auch Zukunftsfähigkeit
Deutschlands. Und nicht zuletzt transportiert es die Freude der
jungen Mitglieder an der Musik: eine Freude, die nur junge Menschen
in diesem Ausmaß zu zeigen in der Lage sind. Es erreicht damit
das Herz eines jeden Menschen, der dem Orchester zuhört. Das
Bundesjugendorchester liegt in der Trägerschaft des Deutschen
Musikrats. Dadurch wird es zu einem Instrument unter vielen, die
gemeinsam für den Stellenwert der Musik in unserer Gesellschaft
eintreten.
Eine tatkräftige Organisation kann die geballte Kraft, die
in diesen Instrumenten steckt, einsetzen, um für den Erhalt
und Ausbau musikalischer Strukturen und Inhalte zu kämpfen.
Das muss der Musikrat in Zukunft tun.