nmz 2002 | Seite 16
51. Jahrgang Sonderausgabe
Bestandsaufnahme
Was steht auf dem Spiel?
Das Dirigentenforum des Deutschen Musikrates
„Der Einrichtung des Dirigentenforums messe ich ganz außerordentliche
Bedeutung zu“, sagte Kurt Sanderling vor Jahresfrist bei Gelegenheit
unseres 10-jährigen Jubiläums; sehr ähnlich äußerte
sich der Bundespräsident; Kurt Masur sprach beim selbigen Anlass
von der „glücklichen Entscheidung“ des Deutschen
Musikrates, eine ursprünglich aus DDR-Nöten geborene Gepflogenheit
– kaum einer durfte reisen – unter seine Fittiche zu
nehmen, zu institutionalisieren und zugleich eine offenkundig bestehende
Lücke zu schließen; Rolf Becker sprach im Namen der Deutschen
Orchestervereinigung von „positiven Auswirkungen dieses Projekts
bei weiteren Demokratisierungsprozessen im Bereich der Orchester
und Musiktheater“.
Nicht weniger deutlich spricht die Mitwirkung vieler bedeutender
Dirigenten und von mittlerweile fast 50 Orchestern und das vehemente
Interesse junger Dirigenten und Dirigierstudenten, ganz und gar
dasjenige der 25 bis 30 ins Dirigentenforum Aufgenommenen. Sie durchlaufen
in jeweils etwa zwei Jahren drei Förderstufen, besuchen Kurse,
Orchesterwerkstätten und so weiter – selten weniger als
5 bis 8 pro Stufe – und müssen sich für die nächsthöhere
in einem Abschlussdirigieren qualifizieren. Wer das durchlaufen
und bestanden hat, schließt in einem Konzert mit einem Spitzenorchester
(unter anderem Berliner Symphoniker, Symphonieorchester des Westdeutschen
Rundfunks, Staatskapelle Weimar, Orchester der Beethovenhalle Bonn)
ab, möglicherweise auch als Preisträger.
Wie selten hat ein lernender, werdender Dirigent sein „Instrument“,
das Orchester, im Vergleich mit einem Ins-trumentalisten zur Verfügung,
gar ein Orchester von der Qualität der hier angebotenen! –
und wie selten wird ihm, auf dem viele Augen ruhen und über
den viele reden, vertraulich kollegialer Bescheid zuteil! Dass wir
hier Abhilfe schaffen konnten, hat wesentlich dazu beigetragen,
dass die Jungen heute (da bin ich mir ziemlich sicher) besser dirigieren
als wir vor 40 Jahren, und dass die in Deutschland Tätigen
bzw. Studierenden von ihren Kollegen in anderen Ländern um
diese Möglichkeit glühend beneidet werden. Soll all das,
eingeschlossen die uneigennützige, aufwendige Arbeit von vielen
Dirigenten und Helfern, ernstlich aufs Spiel gesetzt werden? Selbst
wenn das – zweifellos unentschuldbare – Debet noch größer
wäre, würde es das Opfer des Musikrates und seiner weit
verzweigten Aktivitäten, darunter des Dirigentenforums, nicht
rechtfertigen. Wir würden damit so tief ins Fleisch der eigenen
kulturellen Identität schneiden, dass jeder halbwegs Verständige
bald fragen dürfte, ob wir, auf die leeren Konten starrend,
von den wahren Problemen und deren Dimensionen gar nichts mehr gewusst
hätten.