nmz 2002 | Seite 5
51. Jahrgang Sonderausgabe
Hintergrund
Über die Praxis des Wandels
Der Neue Deutsche Musikrat steht nicht zur Disposition ·
Von Udo Dahmen
Die aktuelle Situation des Deutschen Musikrates nach der Generalversammlung
vom 25./26. Oktober 2002 gäbe genügend Anlass darüber
nachzudenken, warum es zu einer solchen Enwicklung kommen konnte.
Ich möchte jedoch im Augenblick dafür plädieren,
darauf zu verzichten, die Vergangenheit aufarbeiten zu wollen, sondern
den Blick in die Gegenwart, und darauf aufbauend, in die Zukunft
zu richten. Um mit Paul Watzlawick in seinem Buch „Lösungen“
zu sprechen: Es ist nicht entscheidend für die Lösung
eines Problems warum es dazu gekommen ist, sondern was die Betreffenden
jetzt und hier tun, um die Situation zu verbessern.
Folgende Dinge sind nach der Generalversammlung festzustellen:
Der Deutsche Musikrat ist unverzichtbar für die deutsche
Kulturlandschaft und unbedingt notwendig für die Struktur
des deutschen Musiklebens.
Mit Thomas Rietschel ist ein hervorragender neuer Generalsekretär
gefunden worden.
Die begonnene schonungslose Aufklärung der finanziellen
Situation des Deutschen Musikrates und deren Veröffentlichung
in der Generalversammlung ist heilsam.
Die Solidarität aller Kräfte verbunden mit einem
„Ja” zur Erhaltung des Deutschen Musikrates ist Voraussetzung
für alle jetzt folgenden Anstrengungen. (Diese Entschliessung
ist auf der Generalversammlung am 26. Oktober 2002 erfolgt).
Die Lösung der Probleme des Deutschen Musikrates muss auf
verschiedenen Ebenen erfolgen. Ein Teil davon ist bereit eingeleitet
worden:
Erster Schritt:
Erkennen der schwierigen Situation
Überprüfung der Liquidität des Deutschen Musikrates
Aufdeckung aller buchhalterischen Zusammenhänge.
(Diese Punkte sind bereits durch das jetzige Präsidium und
den neuen Generalsekretär Thomas Rietschel begonnen worden).
Zweiter Schritt:
Übereinkunft mit den Zuschussgebern über die weitere
Vorgehensweise und über entsprechende kurz- und mittelfristige
Finanzierungsmodelle. Wir hoffen alle, dass dies gelingt. Dieser
Artikel möge helfen, die politische Stimmung in diesem Sinne
aufzuhellen.
Dritter Schritt:
Für mich der entscheidende im Zusammenhang mit dem ersten
und zweiten, da hier eine Neuorientierung im Sinne eines Paradigmenwandels
eingeleitet werden kann: Die Krise als Chance.
Inhaltlich-programmatische, strukturelle und handlungsorientierte
Neuausrichtung des Musikrates
Ein Interesse der Zuschussgeber an einem weiterhin bestehenden
starken Deutschen Musikrat kann nur damit verbunden sein, dass interessante
Ansätze programmatischer und struktureller Art sich schnellstmöglich
auf die derzeitige Situation auswirken.
Der Deutsche Musikrat ist eine entscheidende Institution für
die Vernetzung aller Initiativen im Musikbereich:
als Sprachrohr in die Öffentlichkeit
als Interessenvertreter gegenüber den politischen Entscheidungsträgern
als Akteur für modellhafte Projekte für das Deutsche
Musikleben.
Der Deutsche Musikrat muss sich entwickeln zu einer Institution,
die
alle musikgesellschaftlichen Strömungen nicht nur strukturell,
sondern auch gefühlsmäßig miteinander vernetzt
für seine Mitglieder Problemthemen aufgreift
Meinungen und mögliche Problemlösungen dazu zeitnah
in die Medienöffentlichkeit bringt
als Interessenvertreter des Musiklebens und der Musikwirtschaft
in beratender Funktion vertrauensvoll mit den politischen Entscheidungsträgern
(und Zuschussgebern) zusammenarbeitet.
Dazu sollte eine grundsätzliche Modernisierung erfolgen:
Die Öffnung allen musik- und kulturgesellschaftlichen
Strömungen gegenüber ist unabdingbare Voraussetzung
für die zukünftige Arbeit.
Hierzu gehören ausgesprochenermaßen die Populäre
Musik und die so genannte „Weltmusik”, jede Art von
Gebrauchsmusik und die damit verbundenen gesellschaftlichen Phänomene
als Bestandteil unserer Kultur (der Gesamtheit an geistiger und
kreativer Leistung unseres Gemeinwesens, sozusagen das geistige
Bruttosozialprodukt).
Sowohl Habitus als auch Sprache, das Umgehen miteinander, sollte
stärker von der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Situation
geprägt werden als vom Beharren auf überkommene Verhaltensweisen
und Einstellungen. Dabei soll das Kind sicher nicht mit dem Bade
ausgeschüttet werden, aber eine Aktualisierung – und
dazu gehört das Bild in der Öffentlichkeit auch –
tut dringend Not.
Alle Projekte des Deutschen Musikrates gehören auf den
Prüfstand. Eine Aktualisierung der Projekte beziehungsweise
die Einrichtung modellhafter neuer Projekte (Populäre Musik,
Weltmusik, Percussion) ist notwendig.
Reformierung der Strukturen durch verstärkte Kompetenzen
der Bundesfachausschüsse.
Bundesfachausschüsse und die Zukunftsorientierung
Die Einrichtung des Bundesfachausschusses Populäre Musik,
die von der Generalversammlung am 26.10.2002 beschlossen worden
ist, ist in diesem Zusammenhang der Reformierung sehr sinnvoll und
zukunftsweisend.
Endlich ist damit die Vertretung eines wichtigen Bereiches unseres
Musiklebens gelungen. Vernetzung tut Not in diesem Bereich, so dass
alleine durch die Kommunikation, die nur auf Basis der Arbeit des
Deutschen Musikrates stattfinden kann, manches in Gang gesetzt werden
wird.
Der Bundesfachausschuss Populäre Musik wird darüber hinaus
seine Aufgaben auf folgende Weise wahrnehmen:
Ergreifen der Initiative auf verschiedenen Ebenen der kulturellen,
politischen und kulturpolitischen Willensbildung zum Thema Popmusik
Entwicklung eigener Initiativen im Bereich populäre Musik
(Coaching, Konzertaustausch, Artist Development)
Entwicklung und Förderung organisatorischer Strukturen
für die populäre Musik auch unter Business-Aspekten
Vernetzung der bestehenden Strukturen und Förderung der
Zusammenarbeit (Wettbewerbe, Fördermaßnahmen et cetera)
Unterstützung und Anregung des Ausbaus von Aus-, Fort-
und Weiterbildung im populären Musikbereich und auf allen
Ebenen der Edukation, des Artist Development und des Coachings
in diesem Zusammenhang
Förderung junger Musiker unter besonderer Berücksichtigung
des so genannten „Underground” als Grundlage für
Innovationen im Popbereich
Qualifizierung und Professionalisierung von Popmusikern, Produzenten,
Verwertern und Multiplikatoren
Flankierende Unterstützung anderer Fachausschüsse
für die Einrichtung eines Musikexportbüros
Flankierende Beratung anderer Fachausschüsse zum Thema
Quote in TV/Radio
Beratung des Präsidiums in fachlichen Fragen.
Fazit
Ohne den Deutschen Musikrat sind alle oben angeführten Visionen
nicht zu verwirklichen.
Wir brauchen den Deutschen Musikrat und der Deutsche Musikrat braucht
uns.
Lasst uns das alte Haus Musikrat modernisieren, den aktuellen
Bedürfnissen und Bedingungen entsprechend anpassen und eine
dynamische Struktur aufbauen, die den jetzigen Bedingungen des Musiklebens
in unserem Lande entsprechen.
Dieser „Neue Deutsche Musikrat” steht meiner Meinung
nach also nicht zur Disposition!