nmz 2002 | Seite 5
51. Jahrgang Sonderausgabe
Hintergrund
Wie der Dinosaurier zum Elefanten wird
Kultur-Ratschläge · Von Olaf Zimmermann, Geschäftsführer
des Deutschen Kulturrates
Der Deutsche Musikrat ist der Dinosaurier unter den deutschen
Kulturverbänden. Er ist größer als die anderen Verbände.
Er ist gewichtig, er war besonders in seinen Jugendjahren sehr mächtig
und er steht jetzt in der Gefahr auszusterben.
Die im Deutschen Musikrat zusammengeschlossenen rund 100 Verbände
aller Bereiche des Musiklebens haben sehr viel früher als die
Verbände anderer künstlerischer Sparten erkannt, dass
es mitunter wesentlich erfolgreicher ist, gemeinsam für Anliegen
zu streiten als sich voneinander abzugrenzen oder gar sich auseinanderdividieren
zu lassen. Vor fast fünfzig Jahren, im Jahr 1953, wurde der
Deutsche Musikrat als deutsche Sektion des Internationalen Musikrates
gegründet.
In seiner fast fünfzigjährigen Geschichte hat es der
Deutsche Musikrat vermocht, ein nicht nur in Deutschland, sondern
weltweit viel beachtetes System der Förderung des musikalischen
künstlerischen Nachwuchses aufzubauen. Hinter diesem System
der Nachwuchsförderung steht, und das wird oft vergessen, eine
kulturpolitische Idee, die sich aus der Geschichte des Deutschen
Musikrates erschließt.
Keimzelle des Deutschen Musikrates waren die musikpädagogischen
Verbände. Sie erkannten bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit,
dass künstlerischer Nachwuchs nicht einfach in den Schoß
fällt, sondern langsam aufgebaut und kontinuierlich begleitet
werden muss. Die initiierten Projekte wie „Jugend musiziert“
oder die „Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler“
sind nur zwei Beispiele von vielen Projekten, die der Deutsche Musikrat
zur Künstlerförderung durchführt. Die Aufstellung
der Absolventen der „Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler“
liest sich heute wie ein „who is who“ des deutschen
und internationalen Musiklebens und macht augenfällig, wie
sinnvoll und notwendig diese gezielte Förderung des künstlerischen
Nachwuchses ist.
Bis auf das „Bundesjazzorchester“ sowie die „Begegnung
Jugend jazzt“ steht im Mittelpunkt der Bemühungen des
Deutschen Musikrates die so genannte „Ernste Musik“.
Rock- und Popmusik hatte im Deutschen Musikrat nie die Bedeutung,
die es für einen großen Teil der Bevölkerung hat.
Und auch die Musikwirtschaft, obwohl sie innerhalb der Kulturwirtschaft
zu den großen Branchen gehört, führt in der Außendarstellung
des Deutschen Musikrates ein wenig beachtetes Schattendasein.
Bis zur Gründung des Deutschen Kulturrates im Jahr 1981 übernahm
der Deutsche Musikrat als einzige Spitzenorganisation, die für
sich in Anspruch nehmen konnte, die verschiedenen Bereiche des kulturellen
Lebens von den Künstlerinnen und Künstlern über die
Kulturvermittler und die Kulturwirtschaft hin zu den Laien zu vertreten,
zusätzliche Funktionen in der Interessenvertretung des Kulturbereiches.
Zu nennen sind hierbei zum Beispiel die Auseinandersetzungen um
die Verabschiedung des Künstlersozialversicherungsgesetzes
oder der Streit um die Gründung der Nationalstiftung. Im Gründungsprozess
des Deutschen Kulturrates diente der Deutsche Musikrat den anderen
Sektionen als Vorbild. In allen künstlerischen Sparten wurden
„Räte“ oder „Sektionen“ gegründet,
die die Verbände der Künstlerinnen und Künstler,
der Kulturvermittler, der Kulturwirtschaft und der Laien vereinen.
Diese Sektionen wiederum bilden den Deutschen Kulturrat, zunächst
die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kulturrat, später dann ab
dem Jahr 1996 den Deutschen Kulturrat e.V.
Der Deutsche Musikrat als Vorbild oder auch Pate hat in der Geschichte
des Deutschen Kulturrates stets eine herausragende Rolle gespielt.
Er war die Sektion, die aufgrund der langjährigen Geschichte
und der Verbindungen in das politische Bonn am wenigsten den Deutschen
Kulturrat benötigte und konnte daher großzügig sein
gegenüber dem neuen jungen Mitspieler. Darin unterschied sich
der Deutsche Musikrat deutlich von anderen Sektionen oder anderen
Einzelverbänden, die viel stärker um ihren Einfluss fürchteten
und sich daher hin und wieder gegen und nicht für das gemeinsame
Ziel entschieden.
Der beispiellose Erfolg des Deutschen Musikrates im Bereich der
Förderung des künstlerischen Nachwuchses wurde ihm in
den letzten Jahren zum Verhängnis. Die Vielzahl an Projekten,
an deren Qualität kein Zweifel besteht, verdrängte die
musikpolitischen Anliegen. Der Deutsche Musikrat wurde behäbig.
In eine wunderschöne Villa in Bonn zog er sich zurück
und verwaltete fern ab vom politischen Leben in Berlin seine Projekte.
Seine Gediegenheit lässt ihn altbacken erscheinen. Und es scheint,
als habe er den Elan verloren, sich drängenden Problemen des
Musiklebens schnell und lösungsorientiert zuzuwenden.
Solche drängenden Probleme sind zum Beispiel die derzeitigen
Schwierigkeiten der Musikwirtschaft, die hohe Zahl von Hochschulabsolventen
im Fach Musik mit nur geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt und
nach wie vor die geringe Präsenz der Rock- und Popmusik in
den Diskussionen des Deutschen Musikrates. Dabei verfügt der
Deutsche Musikrat weiterhin über all die notwendigen Potenziale,
um ein wichtiger Mitspieler in der Kulturpolitik zu sein. Die Generalversammlung
im Oktober dieses Jahres hat gezeigt, dass seine Mitglieder den
Deutschen Musikrat wollen, dass sie ihn für unverzichtbar halten
und dass sie sich an seinen Projekten nicht schadlos halten wollen.
Jetzt kommt es auf den Deutschen Musikrat als Ganzen an, musikpolitische
Richtungsentscheidungen zu treffen. Er wird sich positionieren müssen
im Konzert der anderen Sparten. Zugleich wird er sich konzentriert
den spezifischen Problemen seines Bereiches annehmen müssen.
Übergreifende kulturpolitische Anliegen sollte er zusammen
mit den anderen Sektionen im Deutschen Kulturrat debattieren und
so in die politische Öffentlichkeit tragen. Seine Fähigkeit
als Teamspieler aus den Anfangsjahren kann er so nutzbringend in
die aktuelle kulturpolitische Diskussion einbringen. Der Deutsche
Musikrat ist nicht nur mit Blick auf seine Mitgliedsverbände
die größte Sektion im Deutschen Kulturrat. Mit den rund
acht Millionen Menschen, die sich aktiv oder passiv in seinen Mitgliedsorganisationen
zusammengeschlossen haben, repräsentiert er einen erheblichen
Teil des kulturellen Lebens. Diesem musikpolitisch wieder mehr Ausdruck
zu verleihen, ist die Zukunftsaufgabe des Deutschen Musikrates.
Um diese Zukunftsaufgabe bewältigen zu können, muss der
Deutsche Musikrat sich strukturell wandeln und inhaltlich professionalisieren.
Die zukünftige Struktur des Musikrates muss sicherstellen,
dass der Verband der Ort inhaltlicher Auseinandersetzungen ist.
Die Projekte wie „Jugend musiziert“ oder die großen
Wettbewerbe sollten als Dienstleistungen für das musikalische
Leben in Deutschland unter dem Dach des Deutschen Musikrats in größtmöglicher
juristischer wie inhaltlicher Autonomie, aber mit einer klaren,
unmissverständlichen Verantwortung geführt werden. Durch
diese Maßnahme könnte der Verband als eingetragener Verein
mit seinen Gremien sich in der Zukunft schwerpunktmäßig
für die Interessen seiner Mitglieder einsetzen.
Nur wenn er diesen notwendigen Entwicklungssprung vom vorgeschichtlichen
Dinosaurier zum quicklebendigen Elefanten schnell schafft, wird
er überleben. Die Mitglieder des Deutschen Musikrates haben
auf der Generalversammlung am 25. Oktober 2002 in Berlin diese Notwendigkeit
erkannt und das Präsidium zum Handeln aufgefordert. Sie wollen,
dass der Deutsche Musikrat auch in der Zukunft ein großes,
mächtiges Tier bleibt, nur einen Dinosaurier wollen sie nicht.