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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 36
52. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Ironisch oder nicht, das ist hier die Frage
Konzert der Band „Fehlfarben“ in der Centralstation,
Darmstadt
Darmstadt ist nicht Hamburg. Oder Berlin. Und die Centralstation
hat wirklich so gar nichts vom Ratinger Hof in Düsseldorf anno
1980. Das war der Ort, wo die Fehlfarben sich die Hörner abstießen
an den Bierflaschen, die ihnen während des ein oder anderen
Konzertes an die Köpfe flogen.
Hier in der modernen Mehrzweckkulturhalle ist es voll, aber ohne
Punkgehabe. Hier ist es so voll, dass Sänger Peter Hein nach
eigenen Worten geradezu unwohl wird, wenn er bis in den hintersten
Winkel Zuschauer stehen sieht („Wir sind doch nicht die Toten
Hosen“). Dabei fliegt hier nicht einmal ein Alete-Fläschchen
auf die Bühne. Braucht doch auch kein Mensch. Brauchen die
Fehlfarben schon gar nicht. Die haben ihre Ironie und insofern keine
Probleme mit den Hits von früher: „Oldies but Goldies“,
grinst Thomas Schwebel ins Mikro – kurz bevor es alle anderen
denken. Die Häuser wollten sie nochmal rocken, hatten die sechs
Forty-Somethings kundgetan, als sie sich zur Tour aufmachten. Und
dass Schwebel, Jahnke (beide Gitarre), Kemner (Bass), von Klitzing
(Drums) und Hein rocken, ist sowieso klar. Aber auch die beiden
Computerfachleute der Band, Fenstermacher und Dahlke (zwei Drittel
von Der Plan), haben einen Heidenspaß an diesem Wall-Of-Sound
für Fortgeschrittene. Vor allem der schlacksige Frank Fenstermacher
hängt sich gern per Standtrommel und Tambourin beseelt in die
satten Rhythmen. Ein entzückender Blickfang, da hinten rechts
in der Ecke.
Der offensichtlichere Blickfang ist selbstverständlich Peter
Hein. Auch der lässt sich mit Vergnügen in die rockmusikalische
Midlifecrisis fallen und übertreibt es etwas mit der Selbstironie.
Er hat ebenfalls keine Probleme mit seinen Gassenhauern für
Indie-Hörer: Einmal „Grauschleier über der Stadt“
bitte und dann sein Kommentar: „Die Butterfahrt ist eröffnet,
Heizdecken gibt es hinten am Verkaufs-Stand.“ Dazu wird eine
geloopte Diaserie projiziert, die Fehlfarbens Deutschland zeigt:
Einkaufswägen, Bild-Zeitung, Plattenbauten, Persil. Und das
TV-Sendeschluss-Testbild, das heute niemand mehr kennt.
Aber dazu hört man eben auch Textfetzen aus der Zeit des
Testbildes: „Was ich haben will, das krieg ich nicht. Was
ich kriegen kann, gefällt mir nicht“, keift Hein in der
sehr gelungenen neuen Liveversion von „Paul ist tot“.
Und da ist sie dann wieder, diese ewig gültige, popkulturelle
Verbalisierung der Unzufriedenheit. Dieses treffsichere Genöhle,
das die Verweigerungsstrategien der Fehlfarben dem eindimensionalen
Denken gegenüber so eingängig formulierte (und das sie
immer auch auf Seiten ihrer Fans bemängelten). Mag ihre Reunion-Platte
mit dem großartigen Titel „Knietief im Dispo“
aus dem vergangenen Jahr hier und da ein wenig altrockig klingen,
so finden sich die Reflektionen über die Dinge, die nicht so
einfach sind, wie sie scheinen, auch in neuen Liedern wie „Die
Internationale“, „Sieh nie nach vorn“ oder „Schnöselmaschine“,
das live faszinierend kompakt erklingt.
Einen Moment. Sagten wir eben „ewig gültige, popkulturelle
Verballisierung der Unzufriedenheit“? Kann sein, dass auch
die, wie das Testbild, heute niemand mehr kennt. Es heißt,
mehr als die Hälfte der Erstwähler habe Anfang Februar
2003 in Hessen die bestehende Landesregierung bestätigt. Und
das stellt man dann doch angesichts der Fehlfarben-Evergreens ganz
unironisch fest.