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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 35
52. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Klänge aus anderen Welten
Schlussszene des LICHT-Zyklus von Karlheinz Stockhausen in Gran
Canaria
Stockhausen war 50 Jahre alt, als er das gigantomane Projekt „LICHT,
die sieben Tage der Woche“ als Komplex von sieben Opern 1978
in Angriff nahm. Er veranschlagte damals die Arbeit auf gut zwanzig
Jahre. Nie schien er Zweifel zu haben, dass seine psychischen und
physischen Energien nicht ausreichen könnten. Stück für
Stück schritt Stockhausen voran, die ersten fünf Opern
erlebten in Mailand (Donnerstag, Samstag und Montag) und in Leipzig
(Dienstag und Freitag) Gesamt-Uraufführungen, immer wieder
aber gab es Teilpremieren, Derivate, herausgelöste Einzelstücke.
Mittwoch und Sonntag konnten, die Krise der Opernhäuser war
mit verantwortlich, bislang nur in Einzelteilen vorgestellt werden.
Der Schluss vom Sonntag, die finale Rundung erklang nun beim „19.
Festival de Música de Canarias“ in Las Palmas mit dem
WDR Sinfonieorchester und dem WDR Rundfunkchor Köln. Auch hier
schlossen sich wie von weiser, höherer Hand geführt Kreise:
Vom Teatro alla Scala, dem Sinnbild der großen Operntradition
des 19. Jahrhunderts, zum futuristisch anmutenden, kühn auf
einer Klippe in den Atlantik (und ins 3. Jahrtausend) hinausgebauten
Auditorio Alfredo Kraus, getragen vom WDR, wo Stockhausen in den
50-er Jahren die ersten kompositorischen Schrittversuche unternahm
und der nun also die Conclusio des spiralzyklischen Weltbilds von
Stockhausen verwirklichte. Mit „Hoch-Zeiten“ ist dieser
Teil, der die Vision einer globalen Versöhnung ansteuert, überschrieben.
Bilder von Geburt, Krieg,
Liebe, Tod und spiritueller Aufhebung: Karlheinz Stockhausens
Musiktheater. Foto: Charlotte Oswald
Musiktheater heißt, nur wenige haben das so einfach tief
wie Stockhausen begriffen, Spielraum lassen. Man mag sich an Trivialitäten
des Entwurfs stoßen, am Menschenbild, am Frauenbild, an simpel
anmutenden Bildern von Geburt, Krieg, Liebe, Tod oder spiritueller
Aufhebung. Stockhausens buddhistisch unterminierter Kreislauf des
Daseins ist optimistisch. Er traut dem Menschen den Gang zu höherer
und gereinigter Existenz zu und stellt sich demonstrativ gegen das
Untergangs-Szenario von Wagners Ring. Der szenischen Deutung stehen
in Zukunft alle Türen offen und solange es Oper gibt, wird
man immer wieder den Großversuch wagen und die immense Herausforderung
von „LICHT“ annehmen. Garant hierfür sind (musiktheatertypisch)
nicht der inhaltliche Entwurf, sondern die kompositorischen, die
musikalischen Herausforderungen. Jede Szene des über 20-stündigen
Komplexes, stellt sich neuen Konstellationen, neuen Problemen. Das
Verhältnis von agierenden Personen und musikalisch Ausführenden
wurde auf immer neue Weise entzerrt, Raumkomposition mit bewegten
Klangquellen ragt in ganz neue Dimensionen. Der Oper als Miteinander
von Szene, Theaterraum, Solisten, Orchester und Chor wurden neue
Dimensionen eröffnet. Die Utopie des Spirituellen legte sich
neue Gewänder an.
Stockhausen, das ist sein Stärkstes, lässt nicht locker.
Mit dem „Hubschrauber-Quartett“ zum Beispiel (die Spieler
eines Streichquartett sitzen in vier fliegenden Hubschraubern),
das zum „Mittwoch“ gehört (man kann sich den, sich
die Haare raufenden Operndirektor gut vorstellen), ist er in Bereiche
abgehoben, die den Sachverstand operndramaturgischer Zweckmäßigkeit
mit den Füßen traten. Klänge aus anderen Welten,
parallele Universien, Kommunikation jenseits der Lichtgeschwindigkeit,
spirituelle Kontakte zu Aliens – all diesem spürt mit
der Überzeugung eines Auserwählten nach. Und wer die Welt
aus solchen Perspektiven betrachtet, der findet immer wieder Lösungen,
die jenseits des common sense Modelle anbieten, die als Gefundene
eine ganz natürliche Selbstverständlichkeit reklamieren.
„Hoch-Zeiten“ (nur das deutsche Wort hat diesen doppelten
Einklang), die fünfte Szene des „Sonntag“ beschreiben
die globale Aussöhnung. Es ist der lebensstiftende Impuls des
körperlich-geistigen Miteinanders, das Aufheben von Trennung.
Zwei wird Eins. Das gibt die Kontur vor. Zwei 35-minütige Musikstücke,
eines für Chor, eines für Instrumentalisten, laufen zeitgleich
in zwei Räumen ab. Der Hörer ist statisch, bleibt Fixpunkt.
So hört er zum Beispiel zunächst den Instrumentalpart.
Lautsprechereinblendungen des gleichzeitigen Chorwerks aber geben
Kunde von anderer Existenz: Noch etwas tut sich also im Universum,
das sich auf merkwürdige Weise in den realen Vorgang einklinkt,
das Zusammengehörigkeit signalisiert. Wellen der einen Welt
verbinden sich mit denen einer anderen. Der Kontakt aber reißt
immer wieder ab. Selbst die Instrumentalisten (und auch der Chor)
sind in fünf Gruppen aufgeteilt: Unterschiedliche Lebensformen,
die sich in divergierenden Tempo- und Rhythmusebenen voneinander
abheben. Die Gewänder – rotviolett, orange, blau, grün
und hellblau – geben die Zuordnung wieder, nicht uniformiert,
sondern eher wie mit farblichen Erkennungszeichen: auch ein grelloranges
Halstuch mag solches leisten. Doch es kommt zum Austausch, Duette
formieren sich, einmal auch ein Terzett. Hochzeiten im Sinne des
Wortes werden gefeiert, interkulturelle Verbindungen. Das mag sich
über verwendete Tonsysteme mitteilen, mehr noch vielleicht
im Chorpart mit den fünf Weltsprachen Sanskrit, Chinesisch,
Arabisch, Englisch und Suaheli. Denn der, der zunächst den
Istrumentalpart erlebte, erfährt nach der Pause die chorische
Ebene (und umgekehrt). Allein im Geistigen, im Zusammendenken ergibt
sich das vollkommene Miteinander. Es ist ein schönes, ja ein
genial konzipiertes Bild des menschlichen Wunsches nach globaler
Versöhnung, nach Gleichklang, der im Jetzt nicht stattfindet
und der dennoch bewusst wird. Und am Schluss des Chorteils dringt
ein Trompeter aus der parallelen Welt in den von Chor besetzten
Raum ein: wie eine Samenzelle in das Ei. Symbole wie diese liebt
Stockhausen immer wieder. Oft sind sie naivem Denken abgezogen,
gerade da-
durch aber wächst ihnen Nachhaltigkeit zu.
Es ist erstaunlich: Man mag diese Musik aus verfließenden
Rhythmen, die sich über die Töne immer zum stationären
Raumklang binden, einfach vernehmen, man mag sich Gedanken machen
über die Komplexität der Koordination, über technische
Rahmenbedingungen, die alle reibungslos ineinander greifen müssen.
Aber darüber hinaus stellt sich etwas ein, das sich berechenbarer
Rationalität entzieht. Da ist die Vorstellung der parallelen
Ereignisse, da ist Sehnsucht des Miteinander. Musik-Erleben spielt
sich hier nicht allein auf der Ebene des Hörens ab, sondern,
sogar weit stärker noch, auf der Ebene des Vermissten, das
gleichwohl an anderem Ort erklingt. Globale Zusammenkunft aber heißt,
meint man es wirklich ernst, nicht die Akzeptanz des Anderen, auch
nicht bloße Toleranz. Sie heißt das freudige Näher-Kommen
des Vermissten.
Das will der letzte Teil aus Sonntag, die „Hoch-Zeiten“
vermitteln. Der WDR-Chor unter souveräner Leitung von Rupert
Huber, das WDR-Orchester unter Zsolt Nagy haben alle Kräfte
in Bewegung gesetzt, diesen großen Entwurf in Klang zu setzen:
Erlösung nicht im Tod, sondern in der Befruchtung. Ob Wagner
nun vom Kopf auf die Füße oder von den Füßen
auf den Kopf gestellt wurde, mag die Geschichte der Menschheit selbst
erweisen. Der heutigen Gegenwart scheint freilich Wagners Weltendämmerung
näher.