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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 36
52. Jahrgang | Februar
Oper & Konzert
Die Welt soll betrachtet, nicht gerettet werden
Doppelpremiere: Carola Bauckholts „Stachel der Empfindlichkeit“
und „Es wird sich zeigen...“ in Köln
In den 60er und den 70er-Jahren, der Pionierzeit des Neuen Musiktheaters,
keimten Hoffnungen, mit der alten Tante Oper eines Tages die Plätze
tauschen zu können: großes Haus gegen Studiobühne,
große Beachtung gegen bloß große Absicht. Doch
statt besser kam’s allenfalls noch schlechter, wie wir wissen,
und eine Musiktheater-Pionierin der zweiten Generation wie Carola
Bauckholt kann sich heute glücklich schätzen, wenn in
Köln, der einstigen Hochburg der Avantgarde, das Opernhaus
zumindest seine rückwärtige „Schlosserei“
für drei Abende frei gibt. Vorn wird wie eh und je und ausschließlich
Oper gespielt, scheinbar aus Mangel an Alternativen.
Doch die gibt es weiterhin – Musiktheater, das zur Selbstbesinnung
kommt, seine originären Mittel sucht, sortiert, auf ihren Gehalt
an Sinn und Möglichkeiten abklopft und dabei meist außen
vorlässt, was dem Betrieb so unverzichtbar scheint: Narration
und die große moralische Geste, das Heldentum.
Bei Carola Bauckholt ist die Abkehr von traditionellen Erzählmustern
dabei weit weniger charakteristisch als eine radikale Bescheidenheit.
Die Welt soll betrachtet, nicht gerettet werden. Sogar das ist noch
ein wenig übertrieben: es geht genau genommen nicht einmal
um die Welt, sondern allenfalls um einen winzigen Ausschnitt davon,
um Momente des Alltäglichen. Eine Bühne ist für solche
Momente fast immer schon zu groß: ein Zimmer täte es
wohl auch. Nicht nur stumpfe Kunstpolitik hält solches Theater
im kleinen Haus – längst hat es sich freiwillig in der
Nische wohnlich eingerichtet.
Auch Bauckholts jüngste musiktheatrale Arbeiten „Stachel
der Empfindlichkeit“ von 1997/1998 und das nunmehr revidierte
„Es wird sich zeigen...“ von 1998/2002 sind geradezu
radikal unheroisch – ihr Maß ist der Mensch, nichts
ist überlebensgroß. Es tut diesem Theater gut, wenn das
Publikum nah dabei sein kann. Bauckholts Raumkonzept unterstützt
in „Stachel“ wohl auch sehr bewusst diese intime Erlebnissituation:
vier Schlagzeuger und drei Celli umrahmen nicht nur die beiden Darsteller,
sondern nach Möglichkeit auch das Publikum. Augen und Ohr sind
dicht am Geschehen.
Obwohl für die Uraufführung in Bielefeld als Gegenstück
zu Purcells „Dido und Aeneas“ entworfen und eigentlich
mit einem Mann (Kontratenor) und einer Frau (Mezzosopran) zu besetzen,
bilden A und B – so heißen die Figuren – kein
Paar im eigentlichen Sinne. Was sie verbindet ist ihr Befinden:
A wartet (auf einen Bus, einen Zug?), will fort, B dagegen wartet
in einem Zugabteil darauf, anzukommen. Beide sind an einem Ort,
wollen aber an einem anderen sein. Beide sind von Unruhe getrieben,
nervös, brausen auf in Selbstgesprächen, beruhigen sich
wieder, hadern, warten. Bauckholts musikalisches Vokabular aus sehr
gelenkig rhythmisierten Figuren mit überwiegendem Geräuschanteil
schaffen eine klangliche Szenerie von hoher Konkretheit: deutlich
erkennbar sind die Fahrgeräusche eines Zuges, man hört,
wie er über Schwellen und Weichen rollt, in Kurven quietscht,
wie er durch Tunnel fährt. A (Claudia Immer) und B (Truike
van der Poel), zunächst auf entgegengesetzten Warten, finden
schließlich noch zusammen: Etwa auf Höhe des goldenen
Schnitts setzt Bauckholt ein Blackout und sorgt nach dieser Zäsur
für eine auch musikalische Verständigung – die Tonalität,
die nun durch die Geräuschfelder durchdringt, wird man wohl
als gemeinsame Sprachebene zu deuten haben.
„Es wird sich zeigen...“ ist weit abstrakter. Die musikalischen
und auch die theatralen Mittel sind vergleichbar, doch sind sie
nun nicht mehr dicht um ein inhaltliches Zentrum gruppiert, sondern
eher lose gereiht. Wenn es überhaupt um etwas geht, dann um
– im weitesten Sinne – soziale Situationen, um das Arrangement
theatralischer Zustände, den Wechsel ihrer Intensität
und Ausdehnung und Kontraste im Nebeneinander und im Gleichzeitigen.
In der Kölner Inszenierung von Nora Bauer treten die drei Vokal-Akteure
(Francesca Best, Yosemeh Adjei, Jaap Blonk) und die fünf Instrumentalisten
(Schlagzeug, Streichquartett) als Team auf: in orangenen Baseball-Outfits
gleichgekleidet spielen sie ihre Differenzen aus. Gruppendynamik
und Einzelaktion greifen ineinander, doch so wie die Partitur, so
findet auch ihre szenische Umsetzung keinen verbindlichen Halt.
Gewinnt „Stachel der Empfindlichkeit“ festes Format
durch Redundanz, bleibt das reichhaltige Material im theatralen
Gegenstück zu zersplittert und wirkt im Fortgang eher addiert
denn komponiert.