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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 55
52. Jahrgang | Februar
Dossier:
Musikmesse Frankfurt
Vor dem Lauschen steht Kreativität
Schulung des Bewusstseins um den Wert geistigen Eigentums ·
Von Hans-Herwig Geyer
Hammer – Amboss – Steigbügel, der kleine „Hammering
Man“ sitzt in unserem Ohr und treibt die Schallwellen voran.
Musik ist allüberall: Der besternte Gastronom wählt die
musikalische Würze zum Fünf-Gänge Menü, auf
dem Fahrrad-Ergometer strampelt auch das Ohr noch mit und selbst
manch stilles Örtchen wird malerisch vom Soundteppich umspült.
Daniel wird vom Publikum geliebt, schließlich geht es ja
auch eher um die Show bei „Deutschland sucht den Superstar“.
„DSDS“ erzielt bundesweit 12,93 Millionen Zuschauer,
RTL ist Quotenkönig mit 40,3 Prozent. Wie in der Kunst lässt
sich auch hier über das Gebotene rein geschmacklich streiten
– die Kuh im Stall gibt allerdings mehr Milch, wenn Mozart
erklingt.
Vor dem großen Lauschen steht aber erst einmal das, was man
früher gerne Schöpfung nannte. Heute schöpft man
eher Papier, seit langem ist man lieber „kreativ“. Das
Wort „Kreativität“ wird inflationär verwendet
– Stellenausschreibungen suchen den kreativen Kopf, wenn nicht
gleich die ganze Persönlichkeit. Kreativität wird geschult,
Techniken und Seminarangebote in Hülle und Fülle, die
Gehirne dürfen in fast jedem Workshop im Brainstorming galoppieren.
Das Wort „Kreativität” wird überstrapaziert,
gerne genutzt für alles, was oft nur noch Konsum meint. Dabei
verfügt jeder Mensch über kreatives Potential, jeder hat
die Möglichkeit, schöpferisch, gestalterisch tätig
zu sein, ohne dass dann das Resultat gleich „Kunst“
ist. Kunst und Kreativität äußern sich in Malerei,
Plastik, Musik, darstellendem Spiel und Tanz, im Dichten, aber auch
im originellen Gestalten von Design, Umwelt und Kommunikation.
Der Wortursprung für Kreativität liegt im lateinischen
„creare“, was „zeugen, gebären, (er-)schaffen“
bedeutet. Kreativität ist ein dynamischer Prozess, besitzt
Ursprung und Ziel. Der Kreative ist Schöpfer und reich an vielem:
Einfällen, Ideen, Geist. Das Wortfeld von „kreativ“
bietet noch künstlerisch, originell, phantasievoll, produktiv
und genial an.
Über Kreativität verfügt nicht nur der Künstler,
Erfinder und Wissenschaftler. Das Potenzial, kreativ zu sein, schlummert
in jedem Menschen. Um die individuelle Kreativität eines jeden
zu entfalten und nutzbar zu machen, bedarf es jedoch Anregungen
und Angebote – möglichst vielseitig natürlich, und
Neugierde soll auch dabei sein. „Kreativitätsförderung“
nennen dann das die Bildungspädagogen, das klingt angestrengt,
meint aber nur, dass Bildung Kreativität braucht: In Erziehung
und Bildung von Kindern und Jugendlichen darf Kreativität nicht
unterdrückt werden, sondern sie muss in allen Schulbereichen
und in allen Fächern gefördert werden.
Musik macht Freude und Musik machen fördert den Gemeinschaftssinn.
Schon vor unserem schiefen Ergebnis zu PISA fand das bmb+f heraus,
dass Schüler mit musisch-kreativem Schwerpunkt in der Regel
weniger Probleme haben: weder mit der Sprache, noch mit Energie
und Ausdauer, Konzentration, Originalität, Toleranz und –
mit der Ablehnung von Gewalt. „Beats statt Schläge“
– wirbt die Jeunesses Musicales.
Kreativität ist der Kern künstlerischer Tätigkeit.
Durch die Verwertung ihrer kreativen Leistung können Künstlerinnen
und Künstler ihren Lebensunterhalt bestreiten. Mit dem Internet
stehen jetzt künstlerische Leistungen World Wide im Web. Gleichzeitig
schwindet World Wide das Bewusstsein für den kulturellen und
wirtschaftlichen Wert künstlerischer Leistungen. Der Wert der
Kreativität ist in Gefahr.
Der Schutz der Autoren und ihrer Kreationen muss eine der vornehmsten
Aufgaben der Menschheit bleiben, ungeachtet aller technischen und
gesellschaftlichen Wandlungen. Künstlerische Kreativität
muss als ein weltweit gültiger kultureller Faktor verstanden
werden. Wo kulturelle Vielfalt gelebt werden kann und gelebt wird,
ist der Gedanke der Freiheit anwesend. Wo diese Freiheit fehlt,
verkümmern die Ausdrucksmöglichkeiten.
Es gilt also das Bewusstsein zu schärfen, dass Kreativität
an keinem Ort und zu keiner Zeit zum Nulltarif zu haben ist. So
trägt die deutsche Autorengesellschaft GEMA seit 100 Jahren
Sorge dafür, dass die Leistung von musikalisch Kreativen angemessen
entlohnt wird. Sie ist eine der bedeutendsten Verwertungsgesellschaften
der Welt. In ihr haben sich 60.000 Komponisten, Textdichter und
Musikverleger zusammengeschlossen. In Deutschland vertritt sie über
eine Million Rechteinhaber.
Die GEMA hat in ihrer 100-jährigen Geschichte bewiesen, dass
Kreativität und die Entlohnung der Kreativen untrennbar miteinander
verbunden sind. Nur wenn Künstlerinnen und Künstler von
ihrem Schaffen auch leben können, entsteht neue Kunst.
Bewusstseinsbildung ist auf der Agenda, die Schulung des Bewusstseins
um den Wert geistigen Eigentums gehört bereits in die Schule.
„Kreativitätsförderung“ muss auch den Wert
der Kreativität vermitteln.
Vor dem großen Lauschen steht die künstlerische Kreativität
und ohne Vergütung bleibt für Hammer, Ambos und Steigbügel
nur das Rauschen. Der kleine Mann in unserem Ohr wird diese Wahrheit
noch eine Weile verkünden müssen – tapferer „Hammering
Man“.