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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 57
52. Jahrgang | Februar
Dossier:
Musikmesse Frankfurt
rock‘n‘popmuseum in Gronau: ein Zuhause für die
Popkultur
Ein Ortstermin mit Jürgen Stark im ersten Museum für
Popularmusik des 20. Jahrhunderts in Deutschland
Wer die Kulturgeschichte der Popularmusik des 20. Jahrhunderts
in zeitgenössisch-multimedialem Ambiente erzählen will,
der braucht ein effektives Netzwerk. Wer das auch noch ausgerechnet
im kulturell zerstrittenen und nach Weltkrieg Zwei desorientierten
und 50 Jahre geteilten Deutschland erledigen möchte, der braucht
selbst geschichtlichen Atem, Geduld und den langen Weitblick bei
der Ausdauer.
Exponat für Gronau:
der Fanta 4 Ford – Antwort auf die amerikanischen
Boom-Cars. Foto: Frank Schürmann
Keine Frage, man kann Devotionalien sammeln und das in Ausstellungsräumen
aufgebahrte kurzfristig „Museum“ nennen, man kann es
als Fan weit bringen, wie die zahllosen Automobil-, Schnaps- und
Erotikmuseen derzeit landauf, landab künden. Wer dagegen die
meist schrillen Ergebnisse aus Underground und Subkultur an der
Schnittstelle zum heute allgegenwärtigen Pop einer Nachwelt
erhalten und erklären will, der muß zum Handwerkszeug
der Hochkultur greifen, sich seriös absichern um kommendem
Streit ein wirklich relevantes Forum bieten zu können. In Gronau
entsteht so gesehen derzeit ein äußerst ambitioniertes
Projekt, welches per illustrem Kuratorium keine Auseinandersetzung
scheut und den produktiven Streit sucht. Das rock‘n‘popmuseum
will Informationslücken schließen, dabei gut unterhalten
und der Szene endlich einen Think-tank mit offener und kreativer
Haltung liefern – geschlossene Gesellschaften gibt es schließlich
schon zur Genüge. Content? Für die Sängerin Dee Dee
Bridgewater ist es selbstverständlich, dass „heute jeder
Jazzmusiker, der was auf sich hält, zwei, drei Titel von Brecht
und Weill im Repertoire hat.“ Aber weiß das auch der
14-jährige Schüler aus Bottrop? Auch Sting hat „Meckie
Messer“ gesungen; Coco Schumann wurde unlängst endlich
als „deutscher Django Reinhardt“ von der Kritik um Jahrzehnte
zu spät entdeckt, und als die Comedian Harmonists vor Jahren
den „Lifetime Award“ beim deutschen Schallplattenpreis
Echo erhielten, da geschah es mit dem Hinweis, dass diese Popgruppe
eigentlich die erste gecastete Boygroup der Welt gewesen war. All
diese Namen finden im Rahmen einer chronologisch geordneten Dauerausstellung
ihren Platz im neuen Haus der Popgeschichte – geordnet nach
Epochen vom Ragtime über das Berlin der 20-er Jahre bis zu
HipHop und Dancefloor am Ausklang des Jahrtausends. Vis-á-vis
zur holländischen Grenze und zum Grenzbereich Twente/Enschede
liegt Gronau. Dessen berühmtester Sohn Udo Lindenberg hatte
gemeinsam 1997 mit seinem inzwischen verstorbenen Freund Hermann
Eiling und Elmar Hoff, Leiter des Kulturamtes der Stadt, die Idee
für ein Museum dieser Art – Lindenbergs „Atlantic
Affairs“ bewegt sich interessanterweise auf ähnlichem
Erinnerungskurs. Das ehemals florierende Textilgeschäft liegt
am westfälischen Zipfel am Boden, zahlreiche Fabrikgebäude
stehen leer. 2001 dirigierte Bürgermeister Karl-Heinz Holtwisch
persönlich jenen Gronauer Kran, der die letzte Platte der Dachkonstruktion
an den Platz der Bestimmung brachte, danach war Richtfest.
„Ich freue mich, dass dieses ungewöhnliche Studio,
die Magie dieser Produktionsstätte, nun auch kommenden
Künstlergenerationen zur Verfügung stehen wird
und werde gerne mithelfen, dass es in Gronau zu einer kreativen
Institution ersten Ranges wird.“
Dieter Gorny
Vorstandsvorsitzender der VIVA Media AG und Mitglied des
Kuratoriums des rock‘n‘popmuseums
Udo Lindenberg dankte „dem Oberindiander“ für
dessen Engagement, auch Konzertveranstalter Fritz Rau war voll des
Lobes. Eine zentral gelegene ehemalige Turbinenhalle, um die herum
ebenfalls ein neues Gelände für ganzjährige Landesgartenschauen
entsteht, bildet das Zentrum. Diese umfasst eine Nutzfläche
von 2.600 qm, wovon 2.200 qm für Wechsel- und Dauerausstellungen
zur Verfügung stehen. Vieles von der historischen Bausubstanz
konnte gerettet werden, für die Stadt ein Kraftakt, denn inzwischen
wurden mehr als zehn Millionen Euro als Investitionsvolumen für
das Projekt aufgebracht, an denen sich das Land NRW, der Landschaftsverband
Westfalen-Lippe, der Kreis Borken und die Bundesanstalt für
Arbeit beteiligen. Für Gronau bedeutet dieses – vor allem
auch im Rahmen angestrebter binationaler Kooperationen mit den Holländern
– eine gewaltige Investition in die Zukunft und einen riesigen
kulturpolitischen Spatenstich. Die Einmaligkeit dieses Projektes
wird seit geraumer Zeit nicht nur allen Beteiligten immer klarer,
denn tatsächlich findet man weltweit nichts vergleichbares.
Die Ausrichtung des Museums soll daher auch international sein,
dargestellt wird populäre Musikkultur hier dreisprachig: deutsch,
holländisch und englisch. Dieses ist dem Projektleiter und
Geschäftsführer des Museums, Andreas Bomheuer, wichtiges
Anliegen. Bomheuer sammelte Erfahrungen als Leiter der soziokulturellen
Zentren in Nordrhein-Westfalen und war auch maßgeblich daran
beteiligt die Zeche Carl in Essen nicht nur als Kulturdenkmal zu
erhalten, sondern darin auch ein lebendiges Zentrum für Musik
und Szene entstehen zu lassen. Seit seinem Amtsantritt wurde die
Kommunikation mit den Holländern intensiviert, bietet sich
hier im Grenzland doch auch die Chance zu europäischer Musikkultur
zu finden und gemeinsam dem internationalen Phänomen Popmusik
konkrete Projekte und Events folgen zu lassen. Das benachbarte Musikkonservatorium
der Saxion Hogschool Enschede befindet sich bereits mitten im Aufbau
einer Popakademie, daran beteiligt unter anderem der auch auf deutscher
Seite bekannte Künstler Nippi Noya. Das Museum soll Brückenfunktion
haben und ein Magnet für die Region werden. Einen wesentlichen
Beitrag hierzu liefert die Karlsruher Agentur Unit-E unter der Leitung
von Gilles Piot, der über viele Erfahrungen aus den Bereichen
Museen und Ausstellungen verfügt. Der Experte für „Wissenschaft,
Architektur und Graphik“ plant eine spektakuläre Konstruktion
an den Aussenfassaden, so soll es hier Übertragungsflächen
für Popkonzerte auf riesigen Bildschirmen und auch Licht-Kunst-Installationen
geben, die von virtuellen Welten künden. Im Museum wird bereits
der Eingangsbereich mehr Pop als Museum sein, ein Shop und ein Internet-Café
sind geplant, bereits vor der Tür und im Eingangsbereich erwarten
die Besucher erste Exponate.
Ebenfalls im Außenbereich befindet sich der „Walk of
Fame“, wo Namen bekannter Künstler für ewig in Stein
gehauen und ausgelegt werden. Eröffnet wurde dieser Weg der
Namenssteine mit der Rocklegende Can. Den im letzten Jahr verstorbenen
Gitarristen Michael Karoli und seine und die Leistungen der Band
würdigten zahlreiche Laudatoren, darunter auch Prof. Dr. Müller-Heuser,
Ex-Präsident des Deutschen Musikrates, der unter anderem auch
vor zahlreichen Persönlichkeiten aus Kultur und Politik, eine
„Überwindung der künstlichen Trennung von E- und
U-Musik“ forderte und Can ein gutes Beispiel für dieses
Ansinnen nannte. Im Museum gab es ebenfalls erste prominente Runden
bei denen Exponate wie die Totenmaske Rio Reisers und eine US-Militärjäcke,
die Elvis Presley in Deutschland während seiner Dienstzeit
hier getragen hat, an das Museum übergeben wurden. Anwesend
dabei auch Achim Reichel, der dem Museum seine erste E-Gitarre aus
alten Rattles- und Star Club-Zeiten versprach.
Auch Wolfgang Niedecken stiftete bereits seine erste akustische
Gitarre samt handgefertigtem Plattencover aus frühen BAP-Tagen
und die Fantastischen Vier fuhren unlängst in Gronau mit ihrem
alten knallroten Ford Admiral vor, dessen Kofferraum ausschließlich
aus einer riesigen Bassbox besteht und laut Smudo deren „deutsche
Antwort auf die amerikanischen Boom Cars“ war. Innen wird
es zahlreiche Installationen geben, in sogenannten „Emotionsbereichen“,
die sinnlich an Archetypen des Musikempfindes und kultureller Entstehungsprozesse
erinnern und in Themengebiete via Selbsterfahrung einführen.
Auf ebener Erde steht eine riesige Bühne, die einem Altar gleicht
und das wesentlichste der Musik in den Mittelpunkt rückt: die
Künstler. Hier soll es exklusive Konzerte, Workshops und Panel
geben, jede Menge Show in Verbindung mit der Rock- und Pop-Historie.
Im Untergeschoß dann neben archetypischen Emotionsflächen
zu den Themen Rhythmus und Bewegung, Trance, Provokation, Kult und
Gemeinschaft die Dauerausstellung, die als multimediale Patchwork-Fläche
mit unterschiedlichsten Elementen die Geschichte der Popularmusik
von den zwanziger Jahren bis heute erzählt. Das Kapitel DDR
darin vollendet integriert, hieran arbeiten DDR-Kenner mit. Gemeinsam
mit der Deutschen Phono-Akademie wurde bereits eine konkrete Zusammenarbeit
im Rahmen ihrer Initiative „MachtMehrMusik“ und eine
Vernetzung mit Schulen verabredet. Jüngster Coup des rnpm ist
die Ansiedlung des ehemaligen Can-Studios. Nach der oben genannten
Würdigung der Gruppe, die soeben beim Deutschen Schallplattenpreis
einen „Echo für ihr Lebenswerk“ erhielt, wurde
gemeinsam zwischen Can-Mitgliedern, ihrem Studio-Mastermind René
Tinner und dem rnpm die Idee entwickelt, das im Auflösungsprozeß
befindliche alte Can-Studio aus Köln-Weilerswist für die
Nachwelt zu erhalten und in Gronau neu zu installieren. Eine passende
Halle wurde schnell gefunden, das Studio, welches alte und neue
Technik sinnvoll vereint, soll nun neben dem Museum Geschichte fortschreiben.
Oder wie Irmin Schmidt meint: „Ich freue mich, dass dieses
ungewöhnliche Studio, die Magie dieser Produktionsstätte,
nun auch kommenden Künstlergenerationen zur Verfügung
stehen wird und werde gerne mithelfen, dass es in Gronau zu einer
kreativen Institution ersten Ranges wird.“ Und Andreas Bomheuer
ergänzt: „Die Kulturgeschichte der Popularmusik bedeutet
Erinnerung an mächtige und kraftvolle Epochen, der weitere
Verlauf ist unberechenbar und spannend. Das Can-Studio ist diesbezüglich
so relevant wie Goethes Arbeitszimmer – nur lebendiger.“
Jürgen Stark arbeitet als wissenschaftliche
Berater für das rnpm