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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 49
52. Jahrgang | Februar
Dossier:
Musikmesse Frankfurt
Eine neue Ära der Kooperationen zeichnet sich ab
Zukunftsinitiative Musik auf der Frankfurter Musikmesse ·
Von Barbara Haack
Ein „Ruck“ geht durchs deutsche Musikleben. Nicht zuletzt
zeigte sich dies bei der Generalversammlung des Deutschen Musikrates
im Februar. Die Delegierten vertrauten die Geschicke des Dachverbandes
einem Präsidium an, das sich von früheren Gremien erheblich
unterscheidet. Waren in alten Zeiten die „Klassiker“
und Pädagogen mehr oder weniger unter sich, so halten mit Jens
Michow und Udo Dahmen nun Musikwirtschaft und Popularmusik Einzug,
mit Dieter Gorny und Oliver Schulten gar die dazumal „böse“,
weil kommerzielle Musikschiene.
Gut und Böse gibt es nicht mehr, in Zeiten der Krise rücken
Verbände und Musikfunktionäre zusammen, die sich sonst
nur aus der Ferne betrachteten. Während in Bonn dem Musikrat
noch die letzten Schritte zur Bewältigung seiner Insolvenz
bevorstehen, formiert sich anlässlich der Musikmesse bereits
eine Partnerschaft, die die neue Nähe und Kooperationsbereitschaft
überzeugend präsentiert, die im Übrigen kein geschlossener
Zirkel ist, sondern offen für weitere Partner und Mitstreiter.
Unter dem Motto „Zukunftsinitiative für die Musik in
Deutschland“ signalisieren der Deutsche Musikverleger-Verband
(DMV), die GEMA, die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände
(BDMV) und die Bundesfachgruppe Musik in ver.di ihre Kooperation
durch einen gemeinsamen Auftritt auf der Musikmesse, der verschiedene
im Rahmen der Zusammenarbeit entstandene Projekte umfasst. Ursprünglich
mitinitiiert von Ex-Musikrats-Generalsekretär Thomas Rietschel
muss die Partnerschaft auf den Musikrat nun verzichten. Insolvenzverwalter
Ludger Westrick wütete auch hier und gab die für den Messeauftritt
bereits zur Verfügung stehenden Gelder nicht frei. Die restlichen
Partner jedoch halten die Stellung und hoffen auf eine Einbeziehung
des Musikrats im kommenden Jahr.
Zum ersten Mal also präsentieren sich die genannten Verbände
mit einem gemeinsamen Stand, der nicht nur eine Plattform zum Auslegen
von Informationsmaterial sein will, sondern auch Kontaktpunkt für
Besucher wie Aussteller, ein „Treffpunkt Musik“ im Areal
der Verlage in der Halle 3.1. Darüber hinaus konzipieren sie,
gemeinsam mit der nmz, ein Diskussionsprogramm für die Messebühne,
das illustre und kompetente Gäste zu musikpolitisch und -wirtschaftlich
aktuellen Themen wie dem Urheberrecht oder der musikalischen Bildung
zusammenbringt (das gesamte Bühnenprogramm finden Sie in diesem
Dossier als Einlegeblatt nach dieser Seite). Dieter Gorny hat seine
Teilnahme ebenso zugesagt wie Kulturausschussvorsitzende Monika
Griefahn, Rolf Zuckowski wird Kostproben seiner Musik für Kinder
präsentieren und auch Gäste, die die Verlagshalle der
Musikmesse bisher links liegen ließen, „talken“
am Wochenende auf der Bühne. „Knorkator“ zum Beispiel
unterhalten sich mit Lotto King Karl über die Frage, ob es
in Zeiten des Mainstream noch Chancen für Verrücktes gibt.
Nicht von ungefähr lautet eines der Schwerpunkt-Themen der
Messebühne „Musikvermittlung im 21. Jahrhundert“.
Unter anderem die Aktualität dieses Themas könnte eine
Erklärung sein für die plötzliche Sehnsucht nach
Nähe und Kooperation, die die gesamte Musiklandschaft erfasst.
Leiden doch alle Branchenteilnehmer am Rückgang der Musikrezeption
im Lande, die Plattenindustrie ebenso wie Verleger, Musikpädagogen
und letztlich auch die Laienmusiker. Um dem zu begegnen liegen konzertierte
Aktionen nahe. Und auch die Musikmesse hat erkannt, dass sie sich
neben ihrer Hauptfunktion als Order- und Verkaufsmesse inhaltlichen
Fragen öffnen muss, um der rückläufigen Tendenz ein
Schnäppchen zu schlagen. Doch Verkaufs- und Konsumentenrückgänge
können nicht der einzige Grund, schon gar nicht der einzige
Erfolgsfaktor für Kooperationen dieser Art sein. Ein neues
Denken, das Feindbilder hinter sich lässt, streckt hier seine
Fühler aus; es manifestiert sich in den handelnden Personen
wie in diesem Falle Herwig Geyer von der GEMA, Heinz Stroh vom Verleger-Verband,
Heinrich Bleicher-Nagelsmann von ver.di und Stefan Liebing vom Laienmusikerverband.
Eine Generation der „Kooperativen“ zeichnet sich ab,
von der man hoffen muss, dass sie sich durchsetzt. Startschuss der
Zukunftsinitiative war eine Pressekonferenz in Frankfurt. Der eigentliche
Start aber ist die Messe. Hier muss sich die Initiative bewähren.