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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 24
52. Jahrgang | Februar
Forum Musikpädagogik
Den Weg frei machen für das Neue
Das ganze Leben ist Übung: Ein Tagungsbericht vom Klavierpädagogischen
Forum in Halle
Professor Marco de Almeida begrüßte die teilweise weit
angereisten Teilnehmer der bereits etablierten jährlichen Veranstaltung
des Instituts für Klaviermethodik der Universität Halle-Wittenberg
und des Vereins Pro Musica –unter ihnen zahlreiche Studenten.
Mit einigen Worten zu Inhalt und Organisation des Tages bekundete
er seinen Dank an die Mitarbeiter und seine Freude über die
rege Teilnahme und damit die gute Akzeptanz der Veranstaltung. Mit
einem Zitat von Arnold Schönberg „…der Lehrer muss
den Mut haben, sich zu blamieren. Er muss sich nicht als der Unfehlbare
zeigen, der alles weiß und nie irrt, sondern als der Unermüdliche,
der immer sucht und vielleicht manchmal findet“, eröffnete
er den inhaltlichen Teil der Veranstaltung, der dieses Mal mit sehr
unterschiedlichen Beiträgen dem Klavierpädagogen neue
Denk- und Handlungsansätze bot.
Rudolf Kratzert bekam reichlich Zeit, sein neu erschienenes Buch
„Technik des Klavierspiels – ein Handbuch für Pianisten“
vorzustellen. Zunächst schilderte er, wie wenig Zeit ihm für
ein solch wichtiges Werk vom Verlag zur Verfügung stand: er
bekam nur eineinhalb Jahre Zeit, seine jahrzehntelange geistige
Vorarbeit und Erfahrung zusammenzufassen. Eine ausführliche
Einführung zu seiner Person, seinem Werdegang und seinen grundlegenden
Gedanken bildete den Schwerpunkt seines Vortrages. Er schilderte
auch die vielen Probleme, die das Schreiben eines solchen Buches
mit sich brachte, bevor er dann noch kurz dem Zuhörer einige
Gedanken zum Inhalt seines Buches mit auf den Weg gab: In Anlehnung
an die Alexandertechnik herrsche in diesem Buch das Prinzip des
Experiments: „Das ganze Leben ist Übung“ mit dem
Ziel „von selbst heranzugehen“, denn Gewohntes stehe
meist dem Erlernen von Neuem im Weg. So stehe die Erfahrung, weil
sie mit Erinnerung gekoppelt ist, oft der neuen Erfahrung und der
dafür nötigen Offenheit im Weg. Ziel des Buches sei es,
mit einer praktischen – nicht etwa theoretischen – Systematik
Lösungsvorschläge ähnlich einer verständlichen
Gebrauchsanweisung zu geben. Die fünf Hauptteile des Buches
definierte er sodann wie folgt: I. „Einleitende Betrachtungen“
mit Hinweisen für den Benutzer; II. „Funktionelles Denken
vor aller Pianistik“; III. „Die pianistische Technik“
hingegen gehe dann ins Detail, während sich in den Teilen IV.
„Die Technik des Klavierübens“ und V. „Die
Technik des pianistischen Vortrags“ kleine Essays aneinander
reihten.
Gesangliches Spiel
Professor Sigrid Lehmstedt zeichnete in ihrem Vortrag zunächst
sehr ausführlich den Lebenslauf von Friedrich Wieck nach. Sie
beleuchtete sodann seine eigene musikalische Ausbildung und formulierte
ausführlich seine „Prinzipien für den Anfangsunterricht“.
Hier betonte sie, dass sich Wieck in seinen Ansichten zum Klavierunterricht
erheblich von seinen Zeitgenossen unterschied. Als seine Prinzipien
zum Anfängerunterricht stellte sie heraus: Ausbildung des Gehörs,
Spiel nach Gehör, Spielen von Übungen, die vom Schüler
selbst erfunden wurden, frühes Transponieren, Kennenlernen
der Klangmöglichkeiten des Klaviers, Orientierung über
schwarze und weiße Tasten und Übungen zur Entwicklung
des Rhythmus. Dann widmete sie sich den nach dem Tode des Vaters
von der Tochter Marie Wieck im Peters Verlag und vom Sohn Alwin
Wieck bei Simrock herausgegebenen Materialien von Friedrich Wieck.
Während Marie die Übungen progressiv nicht geordnet und
auch Übungen von ihr selbst und anderen hinzugefügt hatte,
beteuerte Alwin, dass er nur die Skizzen seines Vaters mit Hilfe
seiner Schwester Clara geordnet und in einem praktischen und einem
theoretischen Teil veröffentlicht hätte.
Die Referentin stellte im weiteren Verlauf Ihres Vortrages einige
dieser Übungen zu Themenkomplexen wie Lagenspiel, ablösende
Hände, übergreifende Arme, Skalen, Chromatik, Terzen,
Sexten, Oktaven, Arpeggien, Akkorde, Repetition und Ornamentik bei
Marie und Alwin Wieck kontrastiv gegenüber, ließ den
Zuhörer die Notentexte per Overheadfolie mitlesen, zeigte die
praktische Umsetzung anhand von Schülervideos in Vorspielsituationen
und kommentierte die Übungen und Videos dezent.
Diskussion: „Basistechnik“
Die Organisatoren hatten in der Zeiteinteilung für das Klavierpädagogische
Forum viel Zeit für kleine Diskussionen und für Gespräche
in kleinen Runden ermöglicht und eine Podiumsdiskussion zum
Thema „Basistechnik“ in den Mittelpunkt gestellt.
Auf das Podium geladen waren Prof. Sigrid Lehmstedt, Prof. Elgin
Roth, Rudolf Kratzert sowie Gerhard Herrgott. Moderiert wurde die
Diskussion durch Prof. Marco Almeida. Vor dem Hintergrund eines
persönlichen Statements beleuchtete jeder der geladenen Diskutanten
das Thema jeweils aus sehr persönlicher Sicht.
Fantasie im Anfangsunterricht
Lájos Papp war mit seiner „Präsentation meiner
klavierpädagogischen Werke (Anfangsunterricht)“ der dritte
Referent. Sein erfrischend lebendiger Vortrag begann mit einem Appell
an die Pädagogen, mit dem Unterrichtsmaterial kreativ umzugehen
und mit den Kindern viel zu singen, wie es Kodály schon empfohlen
hatte. Die Stimme sei das Instrument im Menschen und immer dabei.
Kinderlieder seien überall ähnlich, Kind sei Kind und
damit Mensch.
Die Problematik unter den Menschen entstünde dann mit dem
Erwachsensein, mit dem Bewusstsein der Nationalitätszugehörigkeit.
Zum Vorstellen des umfangreichen Papp’-
schen Werkes reichte hier nicht die Zeit. So ging er kurz auf seine
Klavierschule ein und erläuterte die farbige Notation, die
in Band eins bis zum Spielstück No. 35 eingehalten wird. Des
Weiteren stellte er eines seiner neuesten Werke vor: „Der
himmlische Baum“.
Nachdem er dieses uralte Märchen inhaltlich erläutert
hatte, erklärte er, dass bei den Kindern über den Märchentext
die Klangvorstellung und die Fantasie angeregt würden, um Klangreichtum
zu erzeugen. Er spielte sein Werk am Flügel Stück um Stück
selbst vor und erklärte, wo und wodurch die Klangvorstellung
besonders angeregt werde und wie auch unterschiedliche Anschlagsarten
hier über den Text verlangt und vom Kind liebend gern umgesetzt
würden. Ähnlich verhalte es sich mit der Geschichte vom
Räuber Hotzenplotz, die er als zweites, ähnliches Werk
erklärte und teilweise vorspielte.
Alexandertechnik als Basis
Den Schluss des Klavierpädagogischen Forums bestritt wiederum
Rudolf Kratzert, der noch eine Einführung in die Alexandertechnik
als Basistechnik für Berufsmusiker vortrug – zum einen,
um dem interessierten Zuhörer einen Einblick in die Einheit
von Alexandertechnik und Musizieren zu vermitteln und zum anderen,
um seinen Workshop am nächsten Tag vorzubereiten.
Seine Ziele seien hier, so der Referent, dem suchenden Menschen
(zum Beispiel dem erkrankten Musiker) einerseits zu zeigen, wo ein
„gewohnheitsmäßiger fehlerhafter Selbstgebrauch
besteht“ und andererseits zu zeigen, wie „manuelle Stimuli
und verbale Anweisungen“ bei ihrer genauer Befolgung zu einem
„immer besser werdenden Gebrauch von sich selbst“ (das
heißt des betroffenen Musikers) führen.