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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 21
52. Jahrgang | Februar
Internet/Computer
Netzwerke für selten gehörte Musik
Das Kölner Label Sonig im Rahmen des „Under Construction“-Festivals
in Frankfurt am Main
Zweieinhalb Minuten elektronische Musik. Es quiekt, zischelt und
schnauft an allen Ecken und Enden. Eigentlich schunkelt das Instrumental
ganz gemütlich dahin, wie eine virtuelle Spielzeug-Lok. Das
Frequenzspektrum jedoch ist enorm, von den Sub-Bässen bis in
die Tinitus-Bereiche. Und das fordert Aufmerksamkeit. Ebenso der
Titel: „transformation 19 mal einfach hergestellter komplizierter
musik in einmal kompliziert hergestellte einfache musik”.
Dieses Remix-Experiment der Kölner Musiker FX Randomiz und
Jan Werner entstand im Verlauf eines Jahres durch mehrfaches elektronisches
Hin- und Herschicken der Sounds und ihrer Bearbeitungen. Es erschien
unter dem Projektnamen Dü vor drei Jahren auf der Zusammenstellung
„comp.” des Kölner Labels Sonig. Aufgrund seiner
Entstehung, seiner Kurzweil, und nicht zuletzt wegen des kantig
einleuchtenden Titels nutzte man es seinerzeit gern als Öse,
um sich in die große Welt einer kleinen Firma wie dieser samt
ihres musikalischen Anspruchs einzuklinken. Jetzt ist die Folge-Sammlung
„.ilation” erschienen.
Vernetzungen spielen in dieser Welt eine zentrale Rolle, sowohl
musikalisch wie organisatorisch. In einer Selbstbeschreibung auf
http://www.sonig.com
heißt es: „Sonig zielt auf konzeptuelle und differenzierende
Strategien, die ein kreatives Ventil wie auch ein zugängliches
Diskussionsforum über neue Verhältnisse zur Musik zur
Verfügung stellen.“ Im Gespräch formuliert Jan Werner
es so: „Wir finden Verzweigungen gut. Man kann immer wieder
neue Türchen aufmachen. Zum Beispiel zu Labels, die einige
der Künstler auf Sonig wie die Brüsseler Scratch Pet Land
selbst betreiben. Andere, wie der Kölner Gitarrist Joseph Suchy,
verteilen ihre Musik sowieso gern bei verschiedenen kleinen Plattenfirmen.
Dieses Verwachsene ist für uns interessant.“ Sonig, von
Jan Werner, Andi Thoma und Frank Dommert gegründet, verwächst
nun ins sechste Jahr. Werner und Thoma zählen vor allem als
Mouse On Mars zu den weltweit respektierten Musiker in dem Bereich,
der nach wie vor „Avantgarde“ genannt wird – in
den unendlichen Räumen und Nischen der vornehmlich elektronischen
Club- und Kompositionsmusik. Dommert ist ein langjähriger Produzent,
Labelmacher und Organisator in der Kölner Szene der freien,
experimentellen Musik: Netzwerke und Verwachsungen allerorten. Die
Adresse „Kleiner Griechenmarkt 28-30“ ist nicht nur
die von Sonig, sondern eben auch die von Georg Odjiks a-Musik-Plattenladen
und -Label sowie die des renommierten Normal Mailorders.
Aufgrund solcher Zusammenschlüsse – und mit der Historie
im Rücken, speziell Herbert Eimerts Studio für elektronische
Musik im WDR der 50-er Jahre – gilt die Domstadt als eine
Kernzelle neuer elektronischer Musik. Und die Fäden werden
weiter gespannt. Der Kölner Autor und Musikjournalist Olaf
Karnik, der ebendort zusammen mit Frank Dommert 2001 die Musikvortragsreihe
mit dem schönen Titel „selten gehörte musik“
ins Leben rief, sorgt zur Zeit in Frankfurt am Main für abenteuerliche
Abende. Seit Januar bis in den Mai hinein finden im TAT an der Bockenheimer
Warte zehn Termine mit Konzerten und Vorträgen statt. Den Titel
hat Karnik gemeinsam mit dem zweiten Kuratoren, dem Frankfurter
Musiker Ekkehard Ehlers, geschickt gewählt: „Under Construction“.
Das ist natürlich der gewünschte Dauerzustand, in dem
sich die zeitgenössische elektronische Musik mit aller Muße
weiterentwickeln soll. Gleichzeitig ist es ein Verweis auf die unerschütterliche
Liebe der Macher zur modernen Pomusik, „Under Construction“
ist auch der Titel des aktuellen Missy Elliott-Albums. Es geht hier
einfach um Musik „jenseits starrer Genre-Konventionen und
festgelegter Formate“, wie es schon im Einleitungstext des
Programmheftes heißt.
Und weil die Idee der autarken Netzwerke die Dinge wie ein Motor
vorantreibt, präsentierte der Eröffnungsabend auch musikalisch
Kollaboration, „Duette“, oder, im Sinne improvisierter
Musik, „Zwiegespräche“. Ein Abend fest in Kölner
Hand im übrigen – mit Thomas Lehn & Markus Schmickler
sowie Joseph Suchy & Felix Randomiz aus dem Sonig-Umfeld. Die
kreierten in einem steten Fluß von Suchys Gitarrenspiel in
Randomiz’ Laptop und zurück ein frei schillerndes musikalisches
Gebilde, in dem die Quellen der Klänge rasch ihre Eindeutigkeit
verloren.
Diese Prinzip der permanenten Bewegung, der unaufhörlichen
Veränderung entgegen dem in dieser Szene häufig übermächtigen
Primat der puren Repetition, ist in der Musik, die über Sonig
oder im Umfeld des Labels veröffentlicht wird, grundsätzlich
zu erkennen. Jene neue Labelschau „.ilation“ veranschaulicht
geradezu beispielhaft die dadurch fortschreitenden Verästelungen
– mit neuen Bands und Projekten, als wunderbares Panoptikum
detailverliebter Musik ohne Grenzen. Ob im Anarchofunk „Little
Bug Eyed Boy“ von Wevie De Crepon aus Brighton, in den Kinderspielzeug-Soundzerschnipselungen
von Scratch Pet Land oder in Schlammpeitzigers Träumereien
im digitalen Schlick: Überall ist „Musik, die angehört
werden will“ (Werner). Und Dü sind ebenfalls wieder dabei,
mit ihrer Aufnahme „Live in Innsbruck #2“ endet „.ilation“.
Anhören kann man Musik aus dem Sonig-Umfeld live auch weiterhin
bei der „Under Construction”-Reihe in Frankfurt. Im
März treten beispielsweise Schlammpeitziger (5.3.) und der
Scratch Pet Land Ableger namens Fan Club Orchestra (19.3.) auf.
Und Frank Dommert ist, ebenfalls am 19.3., für einen Musikvortrag
gebucht.
Stefan Raulf
• „Under Construction”: das komplette Programm
unter http://www.dastat.de
• „.ilation” (Sonig/ Zomba), als CD und Doppel-LP
im Handel.