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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 8
52. Jahrgang | Februar
Kulturpolitik
Alte Hülle neu gefüllt – der Saalbau bleibt erhalten
Das Projekt „Philharmonie im Saalbau Essen“ aus architektonischer
Sicht
In den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts erlebten die Menschen
im Westen der deutschen Republik die wirtschaftliche Entwicklung
wie ein Wunder. Vielleicht erblickten die Bürger und die politische
CDU-Mehrheit im Rathaus der Ruhrgebietsstadt Essen etwas vom Elan
dieser Zeit im denkmalgeschützten Saalbau. Als multifunktionaler
Veranstaltungsort und Stätte gepflegten Musizierens erfreut
er sich in Essen jedenfalls ungeteilter Sympathie. Nur: der verkümmerte
Zustand des Saalbaus bereitete Sorgen. Die Alternativen waren: Neubau
oder Sanierung. Im Kommunalwahljahr 1999 fiel die Entscheidung für
ein Konzept „nachhaltiges Bauen im Bestand“, die alte
Hülle sollte also neu gefüllt werden.
Von allen Bewerbern um diesen Auftrag konnte sich das renommierte
Architektenbüro Busmann + Haberer GmbH aus Köln, bekannt
durch Entwurf und Bau der Kölner Philharmonie, durchsetzen.
Kai Büder, der das Projekt „Philharmonie Essen“
(vormals Saalbau) bei Busmann + Haberer leitet, erläutert die
architektonischen Überlegungen für die neue Gestaltung:
„Die Stadt Essen möchte in Zukunft regional, national
und auch international eine starke Position in der klassischen Musikszene
erlangen. Deshalb ist das Ziel, einen Konzertsaal allerhöchster
Güte entstehen zu lassen. Indem der bestehende Saal um die
untere Ebene (das Kellergeschoss) vergrößert wurde, war
zwanglos die geometrische Grundlage für ein optimales Volumen
geschaffen, das somit durch einen inneren Neubau realisiert wird.
So wurde Platz für die Belüftungs- und auch für die
Hubtechnik zur Veränderung der Grundfläche des Saales
geschaffen. Innerhalb weniger Minuten kann das Parkett mit ansteigenden
Sitzreihen auf die horizontale Foyerebene gefahren werden, so dass
Mehrfachnutzungen (etwa für Kongresse oder Tanzveranstaltungen)
zu allen Tageszeiten ohne logistische Kraftakte möglich sind.“
Draufsicht: Nachhaltiges
Bauen im Bestand in Essen. Foto: Philharmonie Essen
Rechtwinklig zum Saalbau mit seinem original grünen Kuppeldach
ist der flache, so genannte Mitteltrakt, dessen Foyerhalle und Bürgersäle
im Stil der 50er-Jahre wieder hergestellt werden. Hier war bisher
der einzige Eingang mit Weg zum Konzertsaal. Oberlichter mit opaken
Glasflächen und ein neuer Glaspavillon für Ausstellungen
sowie Matineen und Jazzkonzerte ergänzen und erhellen den zuvor
tristen Trakt und unterstützen die Entwurfsidee der Foyererweiterung,
so dass sämtliche Räumlichkeiten eigenständig bespielt
werden können. Der Konzertsaal wiederum erlangt mehr Aufmerksamkeit
mit einem neuen Entree auf der Seite zum Stadtpark, in direkter
Nachbarschaft zum für Drama und Oper zuständigen Aalto-Theater
und Anbindung an den Kulturpfad Essen. „Auf diese Weise verändern
sich die Wege- und Blickbeziehungen insgesamt, kurz, das Erscheinungsbild
und Erlebnispotenzial des Baus und seiner Umgebung werden gesteigert.“
Helles Licht, sowohl nach innen als auch nach außen leuchtend,
verstärkt dieses festliche Ambiente. Wechsel von geschlossenen
Holzvertäfelungen aus Birke und Feldern aus opakem Glas geben
der inneren Fassade des Saals einen Rhythmus, der vom Kontrast der
erdfarbenen Sitzplätze zum blauen Deckenhimmel unterstützt
wird.
Wegen der geometrischen Grundlage der Rechteckfigur (die so genannte
traditionelle Schuhschachtel) bieten die Abmessungen des Raumes
„beste Voraussetzungen für eine hervorragende Akustik.
Diese Voraussetzungen werden für die Gestaltungen der Wandoberflächen
mit ihren Faltungen und einer architektonischen Deckenskulptur genutzt,
die einerseits das Deckensegel (zur akustischen Wahrnehmung der
Orchestermusiker untereinander) beinhaltet, und andererseits ist
es notwendig, um technische Raffinessen in der Decke unterzubringen.
Über die TUP (=Theater- und Philharmonie GmbH) waren die Musiker
an der Ausgestaltung der Akustik beteiligt, die der erfahrene Akustiker
Karlheinz Müller von Müller BBM aus München leitet.
Er hatte großen Einfluss darauf, dass die akustischen Anforderungen
entsprechend den Grenzkurven 15 dB und 20 dB realisiert werden,
um eine akustische Qualität zu erreichen, die auch CD-Aufnahmen
im leeren Raum zulässt. Zugleich unterstützt die zeitgemäße
Gestaltung mit viel Tageslicht das festliche Ambiente im ganzen
Haus. Das haben wir geschafft“, meint Kai Büder zufrieden.
Darüber hinaus sieht dieser Umbau zur Philharmonie Essen,
dessen Konzept „auf dem Dialog der tradierten Elemente mit
den neu geschaffenen Einbauten, Materialien und Farben“ beruht,
außer Garderoben auch Foyers für die Künstler vor,
die sich über diesen seltenen Service freuen werden. Auch die
Finanzierung des Projekts ist durch langfristige Festpreise und
die Objektgesellschaft gesichert, das die TUP, den Intendanten Michael
Kaufmann und die Stadt Essen über 20 Jahre als Partner verbindet.
Aber die kommerzielle Bewirtschaftung des Gebäudekomplexes
ist noch nicht endgültig geklärt, da es noch keine(n)
Pächter für die vorhandenen Gastronomieflächen gibt.
„Aus meiner Sicht hat das Projekt Philharmonie Essen optimale
Bedingungen für einen Erfolg. Denn die Stilistik der 50er-Jahre
konnte ohne Nostalgie wieder entdeckt werden, so dass Denkmalschutz
und moderne Technik- und Sicherheitsstandards sich nicht blockieren.
Mit einer Auffrischung durch eine eigenständige Architektursprache
ist ein neues Ensemble entstanden.“
Wenn im Kommunalwahljahr 2004 das sanierte Gebäude mit einem
Konzert der Essener Philharmoniker unter der Leitung von Stefan
Soltesz eröffnet wird, dann könnten alle etwa 2000 Plätze
ausverkauft sein. Dieser Trend könnte sich fortsetzen, zumal
die Berliner Philharmoniker ihren Besuch schon bald danach angekündigt
haben. Dann wird sich zeigen, ob die Philharmonie Essen den erwartet
hohen Kommunikationswert hat und zu einem beachtlichen Kulturknotenpunkt
in Essen und im Ruhrgebiet wird.
Hans-Dieter Grünefeld
Alle Zitate entstammen dem Interview mit Kai Büder, Architekt
BDA.