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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 1
52. Jahrgang | Februar
Leitartikel
Wer Oper will, kann sie auch finanzieren?
Der Dirigent Ingo Metzmacher schmeißt Hamburg hin: Ein
Krisenszenario · Von Gerhard Rohde
Im Oktober 1989 fand im Forschungsinstitut für Musiktheater
auf Schloss Thurnau ein Symposion statt. Titel der Veranstaltung:
„Musiktheater – um welchen Preis?” Einer der Referenten
war Hilmar Hoffmann, damals erfolgsverwöhnter Kulturdezernent
von Frankfurt am Main mit neuem Museumsufer, Frankfurt Festen, Gielen-Oper
und dem höchsten Kulturetat einer westdeutschen Kommune. Hoffmann
formulierte in Thurnau: „Wenn wir sie wollen, dann gibt es
die Oper auch. Die Frage lautet nicht, ob sie objektiv finanzierbar
ist oder nicht, sondern ob man sie finanzieren will.” Was
danach in der Realität folgte, entsprach nicht immer den stolzen
Worten, die gleichwohl ihre Richtigkeit behielten – bis heute.
Auch vierzehn Jahre später hat sich nichts am Zustand der
Kultur, des Theaters und der Musik in diesem unserem Land geändert.
Im Gegenteil: alles ist noch schlimmer geworden, auch und besonders
für die Institutionen, in denen das abendländische Musikleben
bewahrt und fortentwickelt wird. Das einzige Wachstum auf diesem
Sektor verzeichnet das Roundtable-Geschwätz: Die neue Staatsministerin
für Kultur spricht mit dem Bundespräsidenten, dieser setzt
eine Expertengruppe ein, diese produziert nach ausführlichen
Diskussionen „Überlegungen zur Zukunft von Oper und Theater
in Deutschland” als Zwischenbericht für den Bundespräsidenten.
Tenor: „Es geht um nichts Geringeres als um unser Selbstverständnis
als Kulturnation.“
Inzwischen schreitet die schlimme Zeit voran. Opernbühnen,
Konzerthäuser, Orchester und Theater ächzen immer vernehmlicher
unter steigenden Kosten und sinkenden Subventionen. Tarifsteigerungen
fressen den Anteil für die eigentliche Kunstproduktion in den
Etats auf. Letzte Meldung: Hamburgs Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher
wird seinen Vertrag über das Jahr 2005 hinaus nicht verlängern,
aus den genannten Gründen. Und Hamburgs Kultursenatorin fällt
dazu laut Metzmacher als Antwort nur ein, dass sie dazu nichts sagen
könne.
Damit wäre man beim entscheidenden Punkt: Der Kultursenatorin,
den Kulturdezernenten fällt nichts mehr ein. Man möchte
deren Namen eigentlich nicht mehr nennen, um den Personen nicht
noch weiter öffentliche Beachtung zukommen zu lassen. Aber
wie Dana Horáková in Hamburg, Hans-Bernhard Nordhoff
in Frankfurt am Main oder Thomas Flierl in Berlin (um nur die derzeitigen
„Hauptdarsteller” zu erwähnen) mit dem Gegenstand
Oper, Orchester und Theater umgehen – es wäre mit dem
Wort Dilettantismus geradezu wohlwollend bezeichnet. Bevor man jedoch
ständig auf den Kulturpolitikern herumhackt, müsste man
auch einmal danach fragen, wer denn alle diese inkompetenten Worthülsenproduzenten
und parteiproporzionierten Bürohocker ins Amt gehoben hat.
Da fällt einem rasch das Zitat vom Mörder und Ermordeten
und der umgedrehten Schuldzuweisung ein.
Das Trostlose an der unendlichen Debatte aber ist, dass diese
nun schon seit ebenso unendlich vielen Jahren geführt wird.
Unsere Überschrift stand schon vor einem Jahrzehnt über
einem Kommentar zum selben Thema, nur damals noch ohne Fragezeichen.
Doch man soll ja nie aufgeben: Auch die kulturpolitische Predigt
ist eine unendliche. Wer für unsere Städte an der Vorstellung
einer Civitas festhalten will, kann einer umfassenden Definition
des dazugehörigen Kulturbegriffs nicht ausweichen. Die allgemeinen
Bildungseinrichtungen, Oper und Theater zählen ebenso dazu
wie Bibliotheken, Museen, Musikschulen, auch der Film sowie der
weite Bereich der neuen medialen Ausdrucksmittel. Das alles müsste
unter dem Oberbegriff „Kulturförderung” endlich
auch (wie zum Beispiel vorbildlich schon im Freistaat Sachsen geschehen)
Verfassungsrang erhalten, damit sich nicht jedes Land, jede Kommune
je nach Kassenlage und Tageslaune aus der kulturpolitischen Verantwortung
stehlen kann.
Hier hätten auch fachlich qualifizierte Kulturdezernenten
ein ideales Betätigungsfeld: diesen rechtlich fixierten Kulturanspruch
politisch durchzusetzen. Dazu muss man den politischen Diskurs mit
Parlamenten und Fraktionen aufnehmen, ebenso das ständige Gespräch
mit den Zuständigen „seiner” Kulturinstitute. Wer
bei Kultur nur an „Events”, Openairfestivals, Einschaltquoten
denkt oder mit Briefen in mürrischem Amtsdeutsch seinen Intendanten
Etatkürzungen ankündigt statt die Schwierigkeiten erst
einmal unter vier Augen zu besprechen, der ist für sein Amt
ungeeignet. Einige Namen stehen als Beispiele für viele andere
schon weiter oben. Dass unter solchen personellen Voraussetzungen
in den Kulturämtern die „Oper” künftig nicht
mehr finanzierbar sein könnte, möchte man unbesehen glauben.
Aber so nicht akzeptieren. Die Existenz der Kunstgattung Oper
legitimiert sich inhaltlich aus sich selbst: Die Oper gehört
zu den großen Hervorbringungen der abendländischen Kultur.
Sie diente und dient auch dem gehobenen Vergnügen, aber sie
ist zugleich ein Faktor unserer Identität, der Ausbildung unserer
Phantasie und Emotionalität. Alexander Kluge sprach einmal
vom „Kraftwerk der Gefühle“ . Man möchte das
Wort ergänzen: Oper hat auch mit Geist, Intelligenz, Bewusstheit
zu tun. In einem Land, das jeden siebten Wissenschaftler an Amerika
verliert, ist solche Erkenntnis wohl schwer zu vermitteln.