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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 16
52. Jahrgang | Februar
Portrait
Es geht auch ganz anders
Hans P. Ströers Weg · Von der Wandergitarre zu den
„Manns“
Dass einen musikalische Erlebnisse schon in der frühesten
Kindheit prägen, davon kann der Filmkomponist, Jazzer und Arrangeur
Hans P. Ströer ein Lied singen. Kaum konnte er in seinem Gitterbett
stehen, spielte ihm sein Vater, der Beamter und Hobby-Musiker war,
abends nach der Arbeit Zigeunerweisen auf der Geige vor, wobei der
regelmäßig einschlief „in der einen Hand die Geige,
in der anderen den Bogen“. Und auch der viermal pro Jahr in
der Wohnung stattfindende Quartett-Abend hat den Steppke tief beeindruckt:
„In einem kleinen Raum in unmittelbarer Nähe eines solchen
Quartetts – das ist ein Live-Klangerlebnis, das muss man erlebt
haben.“ Ursula Gaisa sprach mit dem Emmy-Gewinner.
Bedient sich der ganzen
Bandbreite von Musik: Hans P. Ströer. Foto: Gaisa
Ströers Karriere wurde und wird bis heute immer noch von solch
fast wundersamen Begegnungen und Zufällen geprägt. Als
junger Beatles-Fan verwandelte er mit Hilfe eines primitiven Tonabnehmers
und eines Radios seine erste Wandergitarre in eine E-Gitarre, parallel
dazu durfte er bereits in der ersten Grundschulklasse einen Zusatzkurs
in Gehörbildung besuchen: „So lernte ich schon früh,
was eine Quinte, was eine Oktave ist. Davon profitiere ich, glaube
ich, heute noch ungeheuer.“
Mit elf wollte er eine eigene Band, weil er es leid war, nur immer
allein Beatles-Lieder nachzuspielen und mobilisierte Mitschüler.
Der unsportliche schlaksige Junge, der die Kletterstangen nie hochkam,
war plötzlich anerkannt, in Sachen Musik konnte ihm keiner
das Wasser reichen. Für seine ersten Bands begann er bereits
selber Stücke zu schreiben, und mit 14 begann sein erstes „Parallelleben“:
Neben dem wilden Jimi Hendrix faszinierte ihn auch die Könnerschaft,
das Virtuose und Raffinierte von Jazzern wie Cannonball Adderley
oder neuerem Big Band Jazz. „Es war aber nie so, dass ich
das eine wegen des anderen hätte aufgeben wollen, mir hat beides
Spaß gemacht und ich war froh, dass ich mich an beidem bedienen
konnte.“
Schlüsselfigur wird ein Musiklehrer am Gymnasium, „ein
wilder Hund“, der seine Schüler in einem ausgedienten
Fahrradkeller Sessions statt theoretischen Unterrichts abhalten
ließ und Noten nach Beherrschung eines Instrumentes verteilte.
Er verschaffte Ströer auch seine ersten „richtigen“
Auftritte: Er engagierte das junge Talent für sein Jazztrio,
das in Ami-Clubs spielte –, aber auch auf Hochzeiten, „das
waren oft Situationen wie in einem Fellini-Film.“ Den mittelständischen
Beamteneltern ist die Sache nicht ganz geheuer, wenn schon Musik,
dann soll der Junge wenigstens Schulmusiker werden. Doch eine weitere
Begegnung stellte andere Weichen.
Besagter Lehrer war nämlich ganz nebenbei noch musikalischer
Leiter einer Dreigroschenoper-Produktion am Münchner Residenztheater
unter der Regie von Marty Freed und George Talbori und engagierte
das junge Talent. Ströer musste schnellstens Akkordeon und
Banjo lernen. Die Inszenierung wurde ein Riesenerfolg, mit in der
Band dabei waren unter anderem Frank St. Peter, Lee Harper, Johannes
Faber, Hanusz Berka, Tod Kennedy – und Bobby Jones. Ströer
macht zum ersten Mal Bekanntschaft mit einem waschechten Jazzmusiker:
„Zu einer Probe kommt da so ein dürrer eingefallener
Typ und trägt auf dem Kopf einen Lampenschirm und in der Hand
eine alte Konservenbüchse voll Schleim. Ich war fasziniert.“
Jones schien aber auch von Ströer beeindruckt gewesen zu sein,
denn er gründete bald darauf mit Lehrer und Schüler ein
Jazz-Trio.
Davon abgesehen, dass sich Ströer plötzlich Jazzstandards,
von denen er bis dahin „keine Ahnung“ hatte, aneignen
musste, hat ihn ein Erlebnis ganz anderer Art in dieser Zeit tief
beeindruckt. Vor einem Auftritt ging man gemeinsam zum Essen: „…
und Bobby hat nichts gegessen, nichts bestellt, ich mir ein Steak.
Und da schaut er mich so an, und schaut so auf mein Essen. Ich kam
gar nicht auf die Idee, dass der vielleicht kein Geld hat, um sich
ein Essen zu bestellen. Dann fragte ich ihn: ‚Bobby, why don’t
you eat?‘ Und er sagte nur: ‚Can I have a piece of your
meat?‘ Dann ist mir das erst aufgefallen... Ich kam aus einer
völlig anderen Welt. Das hat mich wahnsinnig schockiert, das
habe ich bis heute nicht vergessen.“
Eines Abends saß im Publikum des Domizil Jazzclubs der damals
schon sehr bekannte Volker Kriegel, neben Klaus Doldinger der „Erfinder“
von Jazz-Fusion. Ströer war ein großer Fan und konnte
Stücke von ihm nachspielen. Kriegel suchte einen neuen Bassist
und nach dem letzten Set sprach er den jungen Mann an. Das war 1975
und „mir war klar, ich mache Abitur und wenn der mich dann
will, dann ist es aus mit dem Musikstudium.“
Er fuhr zu Kriegel nach Frankfurt, sie spielten einen Nachmittag
zusammen und der alte Hase merkte, dass ihn der Youngster auf der
Gitarre perfekt imitieren konnte, was ihm imponiert und geschmeichelt
hat. Ströer war wieder einmal der Mann der Stunde, da er auch
den anderen Mitspielern diese Musik vermitteln konnte. Es begann
eine über zehnjährige Zusammenarbeit mit Open-Air-Festivals
vor 6.000 Zuschauern und einer Goethe-Institut-Tournee durch Afrika.
„Das war irre für mich, durch elf Länder, in jedem
Land haben wir mit einer ortsansässigen Band gespielt. Das
hat meine ganzen Wertvorstellungen geändert.“
Parallel dazu verkehrte er als Bassist „ganz kommerziell“
in der Münchener Studioszene, machte eine erste eigene Platte
mit Disco-Musik. „Das fand ich toll. Ihr versteht gar nichts
voneinander und ich verstehe von beidem etwas.“ 1982 kam Bruder
und Schlagzeuger Ernst Ströer ins Spiel, neue ambitioniertere
Produktionen wie „Flucht nach Madagaskar“ entstanden;
Ströer wollte wieder eine eigene Band.
Er entdeckte Horst Königstein, der die deutschen Texte einer
Peter Gabriel-Platte verfasst hatte, schrieb ihn an und Königstein
fand die Idee, deutsche und englische Texte auf einer Platte zu
mischen gut. Ströer fuhr auf eigene Kosten nach London und
suchte einen Sänger. Gern hätte er den damals noch völlig
unbekannten Sting engagiert, den er über eine WDR-Produktion
mit Eberhard Schoener (WDR-Produktion) kennen gelernt hatte, aber
ein paar Monate danach kam der Durchbruch von „The Police“
mit Roxanne, aus einer Zusammenarbeit wurde nichts (mehr).
Zur Film- und Theatermusik war es kein großer Schritt mehr.
Königstein brachte Ströer auf die Idee, und der sah einerseits
eine gesicherte neue Einnahmequelle, andererseits faszinierten ihn
die neuen Möglichkeiten. Plötzlich war das „Bild
der bestimmende Faktor, der alles gerechtfertigt hat. Vielleicht
fällt jetzt spätestens schon auf, dass ich keinen Stil
habe. Dass mir das aber auch immer egal war. Ich lebe damit hervorragend.“
Ein bestimmter Stil würde ihn einengen. „Ich bin ja nicht
Künstler geworden, um dann so zu sein wie mein Vater.“
Ein weiteres Groß-Projekt der Ströer Bros. dokumentiert
diese Vielfalt bestens: zur Olympiade in Seoul bekamen sie 1988
den Auftrag, eine nicht-kommerziell gestaltete Disko zu gestalten.
Nach einer eineinhalbjährigen Planungszeit entstand ein Gebäude
für 2.000 Zuhörer, 36 verschiedene Bands traten mit eigens
dafür produzierte avantgardistischer Musik auf. Ströer
könnte noch stundenlang weiter erzählen: von seiner langjährigen
Zusammenarbeit mit Udo Lindenberg, mit dem er unter anderem eine
seiner Lieblingsplatten „Hermine“ aufnahm, von einer
Theaterproduktion in Paris und und und…
Dass sich das alles wirlich gelohnt hat, wird klar, wenn man die
kongeniale Musik zur preisgekrönten Doku-Spielfilmserie „Die
Manns“ (2001/02) hört, für die Ströers enger
Freund Heinrich Breloer sogar den „Fernseh-Oscar“ Emmy
einheimsen konnte. Aber langsam, schließt er, „wird’s
wieder mal Zeit für etwas Neues.“