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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 22
52. Jahrgang | Februar
Bücher
Ratten im Studio und andere Geschichten
Ein öffentlich-rechtlicher Musikus erzählt: Harald
Banter
Harald Banter: Ton-Folgen. Ein Leben mit richtigen und falschen
Noten, ConBrio Verlag, Regensburg 2002, 212 Seiten, zahlreiche
Fotos, Hardcover, € 12,80, ISBN 3-932581-57-1
Die
Geschichte der deutschen Unterhaltungsmusik zwischen Kabarett, Kaffeehaus,
Kino und Konzertsaal, sie ist bis heute noch nicht geschrieben worden.
Und so muss man dankbar sein über jedes neue Buch, das dieses
Thema behandelt. In den letzten Monaten erschienen Biografien über
einst populäre Komponisten und Texter wie Ralph Benatzky, Robert
Stolz, Fritz Löhner-Beda oder Bert Kaempfert. Gewissermaßen
Protagonisten aus der A-Klasse der populären Musik des 20.
Jahrhunderts wurden dort vorgestellt. Aber was ist mit all jenen,
deren Namen selbst Fachleuten kaum geläufig sind? Harald Banter,
Komponist, Bandleader und langjähriger Chef der Unterhaltenden
Musik beim Westdeutschen Rundfunk, gehört zu dieser anderen
Klasse – was durchaus nicht als Deklassierung zu verstehen
ist. Banter, Jahrgang 1930, gehört seit den fünfziger
Jahren zum Urgestein des WDR. Seine sympathisch naive Autobiografie
„Ton-Folgen“ erlaubt nun einen kleinen Einblick in das
Alltagsgeschäft eines öffentlich-rechtlichen Musikus.
Banter begann seine Karriere als Programmgestalter: „1950
gab es beim NWDR 350 Angestellte, einschließlich der Orchester
und des Chores. Es war sehr gemütlich, und jeder kannte jeden.
Wir saßen wie die Heringe aufeinander. Vier bis fünf
Kollegen teilten sich ein kleines Zimmer von zehn Quadratmetern.
Gearbeitet wurde schichtweise, weil alle auf einmal nicht in das
Zimmer hineinpassten.“
Damals stellte er noch brav seine Programme zusammen – bis
er das George Shearing-Quintett hörte: „Der bis dahin
nie gehörte, legendäre Sound aus Block-Akkorden von Vibraphon,
Klavier und elektrischer Gitarre riss mich derart mit, dass diese
Begeisterung ausschlaggebend für meinen ganzen weiteren beruflichen
Werdegang werden sollte.“ Auch für Joe Zawinul und Friedrich
Gulda gehörte George Shearing in der Nachkriegszeit zu den
musikalischen „Göttern“, die ihnen den Weg wiesen.
Der Gedanke jedenfalls, diesen Sound zu kopieren, ließ Gerd
von Wysocki – so lautet sein bürgerlicher Name –
keine Ruhe, und er beschloss: „Ich gründe ein Ensemble!“
Als Harald Banter – so nannte er sich jetzt – leitetete
er bald die Media-Band des NWDR. Rundfunkaufnahmen jedenfalls konnten
dort manchmal in dieser Zeit durchaus der Gesundheit schaden: „Eines
Tages, wir waren gerade mitten bei der Arbeit und sehr bemüht,
eine gute Aufnahme zustande zu bringen, wurde der Aufnahmesaal von
einem unerträglichen Geruch erfüllt, dessen Intensität
und Pestilenz sich von Minute zu Minute derart steigerte und uns
allen so schlecht wurde, dass ich die Aufnahmesitzung abbrechen
musste.“ Woher kam der Gestank? Es stellte sich heraus, dass
beim Bau der Lüftungsschächte tote Ratten eingemauert
wurden, die nun nach und nach durch die Belüftungsanlage in
den Aufnahmesaal gepustet wurden.
Es sind solche Anekdoten, die dieses kleine Büchlein lesenswert
machen für all diejenigen, die sich für ein Kapitel deutscher
Musikgeschichte zwischen E und U der Nachkriegszeit interessieren
. Den vielleicht wichtigsten Beitrag zu dieser Geschichte leistete
Harald Banter im übrigen seit Mitte der achtziger Jahre als
Produzent vorzüglicher Ersteinspielungen von unbekannten Kurt-Weill-Opern
wie „Der Zar läßt sich fotografieren“ oder
„Der Kuhhandel“, die alle bei Capriccio auf CD erschienen
sind. Sie sind Banters Vermächtnis.