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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 22
52. Jahrgang | Februar
Bücher
Idealer Nährboden für Komponisten
Juan Martin Kochs Untersuchung zum Klavierkonzert des 19. Jahrhunderts
Juan Martin Koch: Das Klavierkonzert des 19. Jahrhunderts und
die Kategorie des Symphonischen. Zur Kompositions- und Rezeptionsgeschichte
der Gattung von Mozart bis Brahms (Musik und Musikanschauung im
19. Jahrhundert Bd. 8), Studio Verlag, Sinzig 2001, 382 S., Notenbeispiele,
€ 38,00, ISBN 3-89564-060-3
Nur durch eingehendere Beschäftigung mit dem Werkumfeld und
mit den Kompositionen selbst kann die Diskussion symphonischer Aspekte
zu Ergebnissen gelangen, die über die in Frage gestellten pauschalen
Etikettierungen hinausgehen.“ Mit dieser Maxime und der aus
ihr resultierenden Schlussfolgerung geht Juan Martin Koch effektiv
in seiner Dissertation an seine Untersuchung heran. Dabei erörtert
er ausführlich die Rezeptionsgeschichte der besprochenen Konzerte,
flicht hier vor allem zeitgenössische Zitate ein, analysiert
die Wechselbeziehungen zwischen den Kompositionen und der Wertschätzung
der Gattung bei den Zeitgenossen und liefert fundierte Untersuchungen
von Einzelwerken unter dem Aspekt des heute gemeinhin als Dichotomie
dargestellten Begriffspaares konzertant-symphonisch. In seiner Einleitung
weist er auf die Gefahr des „methodischen Spagats“ hin:
Der Aspekt des symphonischen Charakters könne den Blick für
das Eigentliche des Klavierkonzerts verstellen, und bestimmte kompositorische
Eigenschaften könnten von vornherein als symphonisch definiert
werden. Dieser Spagat gelingt Koch mit Bravour, behält er doch
immer die gattungsspezifischen Merkmale des Konzerts im Auge. Bevor
Koch sich an den Kern seiner Arbeit heranmacht, die Analyse der
Konzerte von Litolff, Schumann, Liszt und Brahms, geht er ausführlich
auf die Begriffsgeschichte („Symphonie mit obligatem Klavier“,
„Symphonisches Konzert“) und die Situation des Klavierkonzertes
bis 1840 ein. Dabei fehlen Zitate von Theoretikern wie A. P. Schulz
und J. G. Sulzer ebenso wenig wie Bemerkungen von J. P. Kirnberger
und A. B. Marx. Mit Marx bricht eine neue ,Ära‘ der Gattungskritik
an, denn er vertrat die Auffassung, das Konzert per se könne
wegen seiner Zugeständnisse an die Virtuosität nicht denselben
Kunstcharakter in Anspruch nehmen wie andere Gattungen. Somit schließt
er die Möglichkeit eines ,symphonischen Konzertes‘ kategorisch
aus, stand doch die Sinfonie in der Hierarchie der Gattungen ganz
oben.
Zu Mozarts und Beethovens Zeit hatte das Klavierkonzert einen
idealen Nährboden für Komponisten geboten, die ihre Werke
einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen
wollten. „Das Klavierkonzert stellte tendenziell eine stabile
und eher unproblematische Gattung dar, nicht nur, weil in ihm die
verschiedenen Aspekte einer sich in zunehmendem Maße aufspaltenden
Musikkultur in besonders ausgeprägter Form wirksam waren, sondern
weil es sogar die Möglichkeit bot, diese Aspekte im Rahmen
eines Werkes und in einer Form mit langer Tradition integrierend
zusammenzuführen.“ Koch analysiert in diesem Zusammenhang
Mozarts Moll-Konzerte und Beethovens letzte drei Konzerte. Er folgert:
„Vielmehr wurde das, was sich aus heutiger Sicht als eine
von Mozart maßgeblich beeinflusste und von Beethoven konsequent
zu Ende gedachte Tendenz zur Dramatisierung und Individualisierung
der Gattung darstellt, primär mit der Orchesterbehandlung in
Verbindung gebracht und forderte aus diesem Grund den Vergleich
mit der Symphonie heraus.“ Während dann die beiden Dekaden
vor 1840 stark von einer Verlagerung des Schwerpunktes auf die Virtuosität
geprägt waren und damit eine Trivialisierung der Gattung in
Kauf genommen wurde, erfolgte ab 1840 eine Konsolidierung der dreisätzigen
Großform.
Es mag verwundern, dass einem heute fast in Vergessenheit geratenen
Komponisten wie Henry Charles Litolff eine verhältnismäßig
große Gewichtung beigemessen wird. Doch er war es, der durch
Werktitel wie „Concerto-Sinfonie“ oder „Concerto
Symphonique“ diesen Gattungsbezeichnungen den Weg ebnete und
somit auch den entsprechenden Etikettierungen endgültig zum
Durchbruch verhalf. Außerdem erweiterte er die Satzfolge durch
das Scherzo und vollzog somit eine zumindest äußerliche
Angleichung an die Symphonie. Aber, so Kochs Fazit: In Litolffs
Konzerten ist eine Reaktion auf die gewachsene Bedeutung der Kategorie
des Symphonischen zwar auszumachen, insgesamt aber können sie
den suggerierten Anspruch nicht einlösen. Nach Analysen von
Schumanns, Liszts und Brahms’ Konzerten, jenseits von theoretischen
Verallgemeinerungen, stellt Koch klar heraus, dass diese Komponisten
„das Klavierkonzert als eigenständige Gattung auch jenseits
der beschriebenen Integrationsfunktion weiterentwickelt und im sich
verändernden Umfeld etabliert haben – nicht zuletzt dank
eines kompositorischen Niveaus, welches dasjenige zeitgenössischer
(auch eigener) symphonischer Werke fraglos erreicht, teilweise sogar
übersteigt.“
Das Buch bietet einen fundierten Einblick in einen Aspekt des Klavierkonzerts
und befreit den Gattungsbegriff von abwertenden Etiketten.