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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 22
52. Jahrgang | Februar
Bücher
Der lauschende Leser steht im Vordergrund
Diether de la Mottes musikalische Gedichtanalysen bei Bärenreiter
Diether de la Motte: Gedichte sind Musik. Musikalische Analysen
von Gedichten aus 800 Jahren, Bärenreiter Verlag, Kassel 2002,
202 S., € 19,50. ISBN 3-7618-1572-7
Analogien zwischen Musik und Sprache gibt es verführerisch
viele. Ein oft strapaziertes Bonmot behauptet gar eine gewisse Deckungsgleichheit:
Die Musik sei diejenige Sprache, die überall verstanden werde.
Was also liegt näher, als das eine aus dem anderen erklären
zu wollen? Tatsächlich arbeiten musikalische Deutungsversuche
viel mit sprachwissenschaftlichem Rüstzeug; der umgekehrte
Fall allerdings ist bislang eher selten. Diether de la Motte, der
nicht nur Musiktheoretiker und Komponist, sondern auch Dichter ist,
geht diesen Weg in seinem neuen Buch. Er untersucht, inwieweit deutschsprachige
Gedichte mit musikanalytischen Mitteln neu verstanden werden können
und welche (musikalischen) Eigenheiten sie dadurch preisgeben.
De la Motte ist ein Autor, dem bei aller Exaktheit von Aufbau und
Darstellung die Emphase nahe liegt; das ist in diesem Buch nicht
anders als in seiner „Harmonielehre“ oder im „Kontrapunkt“.
Oft klingt die pure Bewunderung über das Auffinden von Takt-
und Rhythmus-Spielen durch, von „komponierten Pausen“
und ihrer Wirkung, von Verschiebungen oder gar „Modulationen“
vorherrschender Vokalklänge. De la Motte arbeitet peinlich
genau und erreicht damit klare Ergebnisse; Ergebnisse, die oft verblüffen
mögen, die manches Mal vielleicht den Kommentar eines sprachwissenschaftlichen
Fachmanns nötig scheinen lassen, die aber einleuchten. Der
Leser ist gehalten, laut zu lesen, das Lauschen steht im Vordergrund.