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nmz-archiv
nmz 2003/03 | Seite 18
52. Jahrgang | Februar
Rezensionen
nmz-Repertoire: Rudolf Serkin
Im böhmischen Eger kommt Rudolf Serkin vor 100 Jahren, am
28. März 1903 als Sohn russisch-jüdischer Eltern zur Welt.
Seine Hochbegabung zeigt sich schon im frühen Kindesalter.
Mit 13 debütiert er bei den Wiener Symphonikern und ist zugleich
Schüler von Richard Robert (Klavier) sowie Joseph Marx und
Arnold Schönberg (Komposition). Schönberg Mozart-Sonaten
vorzuspielen, betrachtete er im nachhinein als eine der größten
Herausforderungen seines Lebens. 1920 kommt es zur schicksalsträchtigen
Begegnung mit dem Geiger Adolf Busch, der ihn mit nach Berlin nimmt.
Busch wird fortan zum wichtigsten musikalischen Partner; der große
Stellenwert der Kammermusik in Serkins Wirken ist damit unumkehrbar.
Der Weggang beider aus Nazideutschland gehört zu den vielen
selbstverschuldeten Verlusten, den das Hitlerregime zu verantworten
hatte. In Amerika wird Serkin u.a. von Arturo Toscanini mit offenen
Armen empfangen. Serkin absolviert bis ins hohe Alter hinein jährlich
an die 100 Konzertauftritte, die für die, die sie erleben können,
zu Sternstunden werden. 1991 verstirbt er in Guidlford (Vermont).
Die diskografische Hinterlassenschaft umfasst etwa 200 Aufnahmen,
aus denen sich zahlenmäßig und vom interpretatorischen
Gewicht her zwei Schwerpunkte herausschälen: Beethoven und
Mozart.
Ludwig van Beethoven: Sonate f-Moll op. 57 „Appassionata“,
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzerte für Klavier und Orchester
Es-Dur KV 449, G-Dur KV 453, A-Dur KV 414, D-Dur KV 451, F-Dur KV
459, Adolf Busch Chamber Players (Adolf Busch), London Symphony
Orchestra (Claudio Abbado)
„Great pianists of the 20th century“ Polygram 456 964-2
In der Anthologie der „Großen Pianisten“ ist
Serkin mit der „Appassionata“, seiner ersten Soloaufnahme
überhaupt vertreten, aufgezeichnet 1936 in London. Schon
hier wird das enorme klangliche Spektrum hörbar, über
das Serkin verfügte, das er aber immer nur in den Dienst
der Werkstruktur stellte. Leidenschaft taucht als Eigenschaft
der Komposition auf, nicht als pianistischer Aktionismus. Gleich
der Beginn des Kopfsatzes macht deutlich: Serkin scheint die Musik
manchmal nur vorsichtig antasten zu wollen. Leicht und schwebend
wirken die musikalischen Verläufe. Diszipliniert und maßvoll
gerät das Forte. Vor allem beim Finale wird verständlich,
warum Serkin nie als Virtuose galt und gelten wollte, was nichts
anderes heißt, als dass er seine unglaublichen Spielfähigkeiten
niemals hat hervorkehren müssen.
Ludwig van Beethoven: Klaviertrio D-Dur op. 70 Nr. 1 „Geistertrio“,
Johannes Brahms: Klaviertrio C-Dur op. 87 mit Adolf Busch, Violine
und Hermann Busch, Violoncello
Sony Classical MPK 46447
Kaum ein Pianist von Weltrang hat sich so der Kammermusik verpflichtet
gefühlt wie Rudolf Serkin. Das hier geforderte Miteinander
beim Musizieren ist vermutlich der Schlüssel für die
geistige Höhe aller Interpretationen Serkins. Die 1948 beziehungsweise
1951 entstandenen Aufnahmen des „Geistertrios“ und
des C-Dur-Trios von Brahms gehören zu den letzten Zeugnissen
der kongenialen Zusammenarbeit. Der Sinn für die großen
Linien wie die stark polyphonen Verästelungen verbinden sich
mit Wärme und Intensität des Ausdrucks.
Johannes Brahms: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 d-Moll
op. 15
Cleveland Orchestra (George Szell)
Sony MK 48166
Die von George Szell gepflegte äußerst zuchtvolle
und präzise Klang- und Spielkultur des Cleveland Orchestra
dürfte in besonderem Maße im Sinne Serkins gewesen
sein. Mühelos kann sich sein Spiel über den von manchem
Ballast befreiten Klangapparat erheben. Es betont eher die lichten
und spielerischen Seiten des Werks. Ganz besonders in dem mit
selten so gehörter Brillanz gespielten Schlußsatz geht
der Willen aller Beteiligten zur unbedingten Artikulation eine
beeindruckende Einheit ein.