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Ausgabe 2003/03
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nmz 2003/03 | Seite 30
52. Jahrgang | Februar
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Fachgruppe Musik

Pop, Protest und World Wide Web

Wie man sich gegen eine doppelte Zensur wehrt · Von Martin Büsser

Diejenigen, die nach dem 11. September das „Ende der Spaßgesellschaft“ ausgerufen hatten, dürften sich darüber im Klaren gewesen sein, damit nur einen frommen Wunsch zu formulieren. Kaum hatten sich die letzten Rauchschwaden über Manhattan verzogen, blödelten auch schon wieder die ganzen Spaß-Spezialisten von „Switch“ bis Stefan Raab, und auch die Popmusik – immer wieder in einem Atemzug mit der Spaßgesellschaft genannt – ist von der weltpolitischen Entwicklung keineswegs auf die Knie gezwungen worden. Als gelte es, auf Schrecken mit größtmöglicher Banalität zu reagieren, konnte „Wer wird Popstar?“ hierzulande zum größten Medienereignis neben dem Irak-Konflikt werden. Spaßkultur und Krise, scheint es, bedingen einander so sehr, dass es unmöglich ist, das eine aufgrund des anderen abschaffen zu wollen.

Es greift allerdings zu kurz, eine so weit verzweigte Ausdrucksform wie Pop generell mit Spaß und Verantwortungslosigkeit gleichsetzen zu wollen. Schon das Argument, dass Popmusik früher, zur Blütezeit von Bob Dylan und Jimi Hendrix, noch als wirkungsvoller Protest funktionieren konnte, heute dagegen völlig von herrschenden Interessen instrumentalisiert ist, übersieht die lautstarke Politisierung, die längst in alle Sparten, über Mainstream- und Underground-Grenzen hinweg, Einzug erhalten hat. Zugegeben, die Politisierung lässt sich leicht übersehen, weil Fernsehen und vor allem das Radio darüber kaum berichten. Musiker sind mehr denn je auf das Internet angewiesen und zwar in zweifacher Hinsicht: Ökonomisch wie politisch.

All die Independent-Bands, deren Videos nicht täglich auf MTV rotieren, nutzen das Internet, um überhaupt auf sich aufmerksam zu machen – MP3-Files ersetzen hier das fehlende Airplay. Aber auch die Möglichkeit, sich als Band politisch zu verorten, bleibt immer stärker dem Auftritt im Netz überlassen.

Offiziell gab es keine Zensur. Als sich die US-amerikanischen Radiosta-
tionen nach dem 11. September entschieden, gewisse Songs vorerst nicht mehr im Radio zu spielen – von ACDCs „Highway To Hell“ bis zu „Another One Bites The Dust“ von Queen – sollte dies nicht als politische, sondern als Pietäts-Entscheidung verstanden werden. Zugleich war die Popkultur schnell vor Ort, um den Zusammenhalt des amerikanischen Volkes zu demonstrieren.

Das reichte vom spektakulären New Yorker Konzert, auf dem Paul McCartney sein „Freedom“ anstimmte, bis zu Neil Youngs patriotischem „Let’s-Roll“-Song, der den Insassen des vierten, vorzeitig abgestürzten Flugzeugs gewidmet war und im Refrain dazu aufforderte, geschlossen in den Krieg zu ziehen. Heute, mehr als ein Jahr nach den Anschlägen des 11. September, sieht die Situation bereits ganz anders aus: Popmusiker, die sich für die Irak-Politik von George W. Bush aussprechen, lassen sich an einer Hand abzählen – auch unter Musikern ist wenig von Vergeltung, sondern viel von Empörung gegenüber einer Regierung zu hören, die jene Terroranschläge für ihre eigenen Interessen instrumentalisiert.

Im Internet lassen sich hunderte von Protestbekundungen finden, die Homepages US-amerikanischer Musiker wimmeln nur so von Kommentaren, die von einem knappen „No War“ bis zu langen Manifesten reichen. Dabei kristallisiert sich schon nach kurzer Recherche Noam Chomsky als der eigentliche Popstar heraus: Zu niemand anderem führen so viele von Musikern und kleinen Plattenlabels gesetzte Links wie zu den Texten des Sprachwissenschaftlers und unermüdlichen Kritikers der US-Politik. Die Politisierung findet nicht zuletzt deshalb im Netz statt, weil nur wenigen Musikern möglich ist, die eigene Stimme anderorts öffentlich zu machen – man muss schon zu den ganz großen Superstar gehören, um kritische Statements in MTV platzieren zu können.

Einer der Ersten, dem das erfolgreich gelungen ist, war George Michael. Sein Video zu „Shoot the Dog“ zeigt Tony Blair in einem Cartoon als Schoßhündchen von George W. Bush, der wie einst „Dr. Seltsam“ begeistert auf einer Bombe reitet. Auf seiner offiziellen Homepage hält sich George Michael mit politischen Kommentaren zurück – dort gibt es aber ein Forum, in dem Fans über das Video diskutieren können. In diesem Forum erfahren wir auch, dass Madonna derzeit an einem nicht minder eindeutigen Clip arbeitet. Es soll die Musikerin bei einem Auftritt vor Soldaten im Irak zeigen – zum aufpeitschenden Rhythmus schleudert sie Granaten, während die Kamera immer wieder Leichen von Frauen und Kindern einblendet.
Auch Rapper Ice-T meldet sich mit seinem berüchtigten Body-Count-Projekt zurück, das einst den Soundtrack zu den „L.A. Riots“, den schwarzen Aufständen in Los Angeles nach einem brutalen Polizeieinsatz, gebildet hatte. „Aufgrund Bushs Weltpolitik im Stile eines Julius Cäsar“, so Ice-T laut „dpa“-Meldung, müsse „die Musik wieder ernste Themen aufgreifen.“ Jenseits von „Superstars“ und Britney Spears ist also nichts mehr zu spüren von einer Liaison zwischen Pop und Spaßgesellschaft.

Die Zahl der Musiker, denen es aufgrund ihrer Bekanntheit gelingt, selbst noch auf MTV unbequeme Inhalte zu positionieren, ist also begrenzt. Nicht alle haben eine solche Lobby – selbst die relativ bekannten Beastie Boys mussten feststellen, wie wenig Reichweite ihre Form der Stellungnahme hatte. Beinahe zeitgleich zum New Yorker Megakonzert für die Familien der ums Leben gekommenen Feuerwehrleute hatten sie ein Festival organisiert, in dem auch kritische Töne zugelassen waren. Zwischen den Auftritten zweier Bands hielt der Politikwissenschaftler Benjamin Barber einen Vortrag, in dem er vor den möglichen Folgen eines amerikanischen Vergeltungsschlags warnte. Während das eine Konzert weltweit übertragen wurde, war diese Veranstaltung den meisten Zeitungen, vom Fernsehen ganz zu schweigen, nicht einmal eine Meldung wert. „Du kannst deine Meinung öffentlich machen“, sagte Chuck D von den Beastie Boys ernüchtert, „doch darüber, ob sie verbreitet wird, entscheiden andere.“

Wo die Verbreitung verhindert wird, hilft nur Eigeninitiative. „Die Medien versuchen, alles Politische und Unbequeme an Musik unter den Tisch zu kehren“, erklärt Dunstan Bruce von der britischen Band Chumbawamba und verweist auf deren Homepage: „Wenn du als Musiker politisch aktiv sein willst, kannst du nicht mehr nur auf die Kraft der Songs bauen. Den ganzen theoretischen Überbau, der zum Verständnis unserer Musik wichtig ist, haben wir ins Internet ausgelagert. Das Verfahren ist zweigleisig: Musik ist ein starker emotionaler Faktor, der die Menschen politisieren kann, die ganze Theorie ist aber besser im Netz aufgehoben.“

Auf der bandeigenen Homepage www.chumba.com findet sich ein ganzer Steinbruch an Material – Manifeste, Satirisches, Literaturtipps und eine lange Link-Liste, die vom Noam-Chomsky-Archiv und „Indymedia“, dem zentralen linken News-Forum, bis zur „Stop The War Coalition“ reicht. Hier wiederum, auf www.stopwar.com, wird für den CD-Sampler „Peace Not War“ geworben, der deutlich macht, dass Musik in Krisenzeiten keine Barrieren mehr kennt: Die Beiträge reichen von Country und Folk bis zu Punk, Weltmusik, HipHop und Techno, also von Ani DiFranco bis Billy Bragg, von Public Enemy bis Coldcut.

Obwohl die ambitionierte Popkultur geradezu von einer neuen Ernsthaftigkeit heimgesucht wurde, gibt es noch immer Stimmen wie die eingangs zitierte, die der Blütezeit von Bob Dylan nachtrauern und bedauern, dass Pop keine jugendkulturelle Bewegung mehr hervorbringe, sondern nur noch zahlreiche Sparten. Wie sehr sich Popmusik fragmentiert hat, zeigt der Gang in einen der großen Plattenläden, wo die Regalaufschriften von „Independent“ und „Hard & Heavy“ über „Dark Wave“ bis zu „HipHop“ und „Dancefloor“ reichen. Kaum ein Laden kann sich mehr alles hinstellen, weshalb gerade Musiker jenseits des Mainstreams auf das Internet als zum Teil letzte verbleibende Plattform angewiesen sind.

Was für die Musikindustrie größtenteils ein Schrecken ist – Tauschbörsen und kostenlose Mp3-Files –, wird von Newcomern und Sparten-Musikern genutzt, um möglichst kostengünstig auf sich aufmerksam zu machen. „Selten gab es so viele spannende, unkommerzielle Musik wie heute“, erzählt John Convertino von der nicht mehr so unbekannten Countryfolk-Band Calexico, „nicht zuletzt dank der Möglichkeit, sich im Netz zu präsentieren“. Er sieht in den US-Medien eine doppelte Zensur am Werk, eine, die sich gegen inhaltlich oppositionelle Musiker richtet und eine, die musikalisch Nonkonformes unterschlägt.

Selbst Phil Collins, ein Musiker, der sicher nicht unter fehlender Medienpräsenz leidet, klagte über diesen Zustand in einem Interview mit der „FR“: Als Studiogast wollte er ein paar unbekannte Bands im Radio vorstellen, was nicht möglich war, weil der Sender seine Musik vom Computer nach Hit- und Rotationsprinzip vorprogrammieren lässt.

Die dem gegenüber im Netz gewährte Vielfalt hat aber auch ihre Nachteile, wie John Convertino anmerkt: „Wenn du nicht über Radio, Fernsehen oder Zeitungen von ganz bestimmten Bands erfährst, wirst du auch nicht nach ihnen suchen, also auch nie auf ihre Seiten im Internet stoßen. Die Opposition ist verborgener geworden, es fällt schwerer, sie zu finden.“

 

 

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