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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 39
56. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Siebenmal Hören und Sehen an besonderen Spielorten
Die 9. A•Devantgarde für Neue Musik in München
mit sieben Konzert- und Musiktheaterabenden
Anders als die im zweijährigen Wechsel stattfindende „Biennale
für zeitgenössisches Musiktheater“, ist die A•Devantgarde
ein kleines, gering dotiertes, kaum subventioniertes, aber ambitioniertes
Festival, das für alle Genres und Richtungen der Neuen Musik
offen ist, sich experimentellem Musiktheater ebenso verschrieben
hat wie einem vielfältigen Spektrum an Konzerten unterschiedlichster
Couleur.
In
kleinen Gruppen wurde das Publikum in den Keller der Musikhochschule
geführt zu Rochus Austs „La/Cri/Mare“ (Mithrasmaschine),
einer Klanginstallation mit Live-Musikern von Rochus Aust.
Foto: Regine Heiland
„Rotkäppchen.Lauf!“ war dieses Jahr die gelungenste
unter den musik-theatralischen Produktionen. Denn die vier Kurzopern
für Kinder und Erwachsene ab sechs Jahren kreisten ihr Thema
nach dem Grimm-schen Märchen auf einen Text von Andrea Heuser
lustvoll und virtuos ein. Einziger Spielort im i-camp: das riesige
Bett der Großmutter samt Fenster. „Rotkäppchens
Schlaflied“ von Jan Müller-Wieland blieb da anfangs
noch recht konventionell, doch schon die lebenden, gruselig anzusehenden
Bäume wie aus dem Fantasy-Film und die unheimlich zitternde,
beklemmend schwebende Musik von Charlotte Seither nahm bei „In
den Bäumen“ dem Märchen alle Harmlosigkeit. Dies
verstörte einen dreijährigen Besucher so, dass er von
seinem markerschütternden Schreien wie im Horrorfilm noch
draußen im Foyer nicht ablassen wollte.
Bei Markus Schmitts wunderbar ironisch heiterem Terzett von Weinflasche
(exzellent gesungen und entfesselt komisch gespielt vom Bariton
Marco Vassalli), Brot (die freche Mezzosopranistin Eva Schneidereit)
und Blume (nicht minder keck: die Sopranistin Irene Kurka, die
auch da Rotkäppchen gab) fühlte er sich dann schon wohler.
Gerne hätte man mitgeschrieben, was die drei sich als Feuerwerk
an Schimpfwörtern an den Kopf warfen.
Nicht minder lustig war zum Abschluss Claus Kühnls „In
Rotkäppchens Bett“, das musikalisch und in seinen Zitaten
direkt an Schmitt anknüpfte und das Märchen zu einem
glücklichen Ende führte. Die fünf Musiker (Harfe,
Viola, Horn, Flöte, Kontrabass) des coproduzierenden Theaters
Osnabrück unter Leitung des auch auf der Bühne mitspielenden
Marius Stieghorst stellten sich perfekt auf die vier verschiedenen
Musikstile ein und erzielten ein Maximum an farbigen Klängen.
Die ambitionierteste Veranstaltung des Festivals musste leider
in einer schnell zusammengeschusterten Schlecht-Wetter-Version
ablaufen. So wurde der zweite Abend einer Erkundung der NS-Geschichte
des Königsplatzes und seiner angrenzenden Bauten arg kastriert.
Doch schon am ersten Abend wurde bei „Rise and Fall“ die
Geduld der Zuschauer im nördlichen Lichthof der Musikhochschule
auf eine harte Probe gestellt – mit zwei kryptischen Kurzopern
zu Aufstieg und Fall von Diktatoren samt einem enervierend langen „Bagdad-Monologue“.
Tags darauf hätte es in einem Wandelkonzert unter dem Titel „Die
Träne Mithras“ eine Begehung von Königsplatz, südlichem
Lichthof und der unterirdischen Bunker der Hochschule geben sollen,
doch das fiel buchstäblich ins Wasser. Also schallte das chorische „Kawumm!“ Helga
Pogatschars von der Treppe, bliesen die drei Märsche Moritz
Eggerts von der Empore, drehten sich auf einem riesigen weißen
Ballon, der an die Weltkugel von Chaplins „Großem Diktator“ erinnerte,
wie in einem Kaleidoskop eine Stunde lang abstrakte Video-Sequenzen
zu Musik zwischen Disko und Elektronik (Robert Voisey: „Munich-Mix
60x60“). Anfangs war das faszinierend, später, aus der
immer gleichen Perspektive betrachtet, zunehmend ermüdend.
Dabei machte die Beschallung um diese Kugel den zahlreichen Besuchern
sichtbar Lust, sich im Raum zu bewegen, was auf dem Königsplatz – mit
sieben Ballonen! – auch wunderbar möglich gewesen wäre.
So musste der kurze Spaziergang durch die spannende Keller-Installation
für vieles, das nicht stattfand, entschädigen. In den
einstigen Speisekammern der NS-Zeit, die an einen langen Gang mit
zahllosen von den Heizungsrohren hängenden Schläuchen
und Flaschen für Tröpfe grenzten, fanden sich junge Männer
wie in den unterirdischen Kultstätten der „Mithräen“,
wo sie das Blut der geopferten Stiere treffen sollte. Scheinbar
im Todeskampf erstarrt, lagen sie hier auf einem Meer aus blutroten
Bällen, ihre Blasinstrumente stumm nach oben gereckt. Doch
plötzlich erwachten sie dank eines Führers und spielten
einige wenige, versprengte Töne (Rochus Aust: „La/Cri/Mare“).
Auch die Konzerte konnten mit einigen Highlights aufwarten: Trotz
Dauer-Intensität und mehrfach wiederkehrender harmonischer,
melodischer und rhythmischer Muster stellte sich im Eröffnungskonzert
bei „Pierced“ von David Lang für Cello (Felix
Fan), Klavier (Andrew Russo), Schlagzeug (David Cossin) und die
Streicher des Münchener Kammerorchesters unter Christoph Ahlstaedt
keine Ermüdung ein. Morgan Hayes‘ „Futurist Manifesto“ führte
mit seinen dichten, expressiven Unisono-Stellen geradewegs darauf
zu. Von ganz leiser Intensität und fein gewobenen Strukturen
geprägt war dagegen „The Inner Future“, während
Markus Muench in seinen „data.strings“ virtuos mit
aus Handy-Klängen, Klavier- und Sinustönen sowie dem
weißen Rauschen destillierten Elektronikeinsprengseln die
klaren Streicher-Strukturen seiner Musik infizierte, ja „verschmutzte“.
Als Ganzes noch faszinierender war das Konzert von „Singer
pur“ in der Allerheiligen Hofkirche mit virtuoser Verschränkung
Alter mit Neuer Musik. Perfekt passten Wolfgang Rihms „Passionstexte“ zu
Gesualdos „O dolorosa gioia“ und „Moro, lasso,
al mio duolo“, Carl Christian Bettendorf verschärfte
die Kontraste in der Uraufführung seiner „Due madrigali
decomposti di Don Carlo Gesualdo“ noch, ließ symbolisch
Folterwerkzeuge erklingen und nahm die Rede von Schmerz und Ersterben
wörtlich. Auch in Bernhard Weidners „Dufay-Reflex ‚Im
Regenwald‘ mit Ivan Goll“ ging der Keim von „Flos
Florum“ wie eine exotische Blüte auf. Georg Haider implantierte
mit chirurgischer Präzision sein bizarr sich spreizendes „Amen“ in
Heinrich Isaacs „Optime pastor“, ohne dass man die
Nahtstellen bemerkte. Nicht minder frappierend klang die Bach-Reflexion
Hans Schanderls unmittelbar nach Bachs „Ruhet wohl, ihr heiligen
Gebeine“ aus der Johannes-Passion.
Schöner als mit einer Hommage an Tristan Murail, gespielt
von „piano possibile“ unter Leitung des Murail-Schülers
Carl Christian Bettendorf hätte die diesjährige A•Devantgarde
nicht enden können, denn der 60-jährige Franzose ist
wie nur wenige lebende Musiker schon zur Legende und zum Inbegriff
seiner kompositorischen Methode geworden. Das Prinzip der „musique
spectrale“ prägt das Komponieren jedes seiner Stücke
und doch klingen sie „biomorpher“ (so Murails Mitstreiter
Gérard Grisey) als nach dem Gesetz der Zwölftonreihe
oder des Serialismus komponierte Musik.
So verwunderte es nicht, dass die durchaus unterschiedlichen
Stücke,
allesamt jüngeren Datums, einen eminenten Klangreiz entfalteten. „Feuilles à travers
les cloches“ (1998) etwa ist ein ebenso dichtes wie duftig
wirkendes Stück, auch dank der Spieltechniken Pizzicato (Geige),
Flageolett (Cello) und Flatterzunge (Flöte). „Seven
Lakes Drive“ – der Name einer Straße mit Blick
auf sieben Seen, hier in deutscher Erstaufführung zu hören,
mutet nicht minder elegisch an, obwohl das Horn gegenüber
Klaviertrio, Klarinette und Flöte dramatische Akzente setzt
und auf die übrigen Instrumente ausstrahlt.
Aus den „Winter Fragments“ (2000) dagegen wehte tatsächlich
Eiseskälte. Und dank des Einsatzes von Elektronik wurde das
Glitzern von Flöte, Klarinette und Klavier zu einem gefährlich
hellen Gleißen, dem die Streicher in diesem lebendigsten
Stück des Abends selten dunklere, warmere Farben hinzumischten.