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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 40
56. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Anatomie eines Wettbewerbs – eine Idee findet Gehör
Nach dem Pilotprojekt 2005: ensembletreffen in Zukunft regelmäßig
auch in Österreich
Manchmal dauert es viele Jahre, bis der Boden für eine neue
Idee so bereitet ist, dass sie sich verbreiten kann. Das ensembletreffen
wurde bei seiner Gründung in Berlin im Jahr 1993 als „Wettbewerb
ohne Sieger und Verlierer“ in der Berliner Morgenpost betitelt.
Auch noch 2007 scheint „ein innovativer Wettbewerb“ (Oberösterreichische
Nachrichten am 26.4.2007) für Außenstehende die griffigste
Bezeichnung. Es wimmelt international nur so von Musikwettbewerben
der unterschiedlichsten Art. Wir können uns nur schwer von
klassifizierendem Denken, von Noten- und Punktvergaben trennen.
Oft werden aber die, die mit wenigen Punkten oder schlechten Noten
nach Hause gehen, kaum beachtet. Dem Sieger gehört der Glanz,
das Geld, die Karriere. Und die anderen? Der lebenslange Bezug
zur Musik kann durch negative Wettbewerbserlebnisse stark beschädigt
oder sogar ganz abgebrochen werden.
Die
Streichergruppe, die sich für das ensembletreffen
den Namen „Donner-strings“ gegeben hat. Foto:
Dietling Bäuerle-Uhlig
Dabei bietet das Musizieren die faszinierende Möglichkeit,
dem Menschen auf jedem Niveau etwas geben zu können. Und genau
hier setzt die Idee des ensembletreffens an. Die Bezeichnung wurde
immer wieder diskutiert: Welcher Titel gibt den Inhalt der komplexen
Veranstaltung am treffendsten wieder? Ein Treffen, das ist es in
vielfacher Hinsicht: Musikerinnen und Musiker treffen aufeinander,
verschiedene Musikstile treffen aufeinander, Laien und Profis treffen
aufeinander, musizierende Menschen aus verschiedenen Generationen
treffen aufeinander und hören sich gegenseitig intensiv zu.
Alleine dies ist in der heutigen schnelllebigen Zeit mit Schubkastendenken
und Voreinstufungen eine wertvolle, beglückende Erfahrung.
Ein wertschätzendes, achtungsvolles Zuhören, manche erleben
dies beim ensembletreffen zum ersten Mal.
Wie läuft nun aber solch ein Treffen ab? In einem Durchgang
treffen in der Regel fünf bis acht Ensembles, je nach Größe
der Ensembles und Spieldauer, aufeinander. Zunächst findet
ein öffentliches Konzert statt, in dem alle Ensembles sich
nacheinander präsentieren. Auf vorbereiteten Bögen notieren
sich die Musiker/-innen ihre Hörergebnisse entlang folgender
Leitfragen: Was gefällt mir an diesem Ensemble? Welche Tipps
würde ich geben, wenn ich das Ensemble unterrichten würde
oder dessen Coach wäre? Nach dem Konzert wird eine Teilnehmerjury
aus je zwei bis drei Vertretern der Ensembles gebildet. Diese tagt
getrennt von einer Fachjury. Beide tragen ihre Ergebnisse anhand
der Leitfragen zusammen und halten die Ergebnisse stichwortartig
auf einer Flipchart fest. In dieser Zeit können sich die anderen
Ensemblemitglieder auf einem Bildschirm ihren mitgefilmten Auftritt
bereits selber kritisch anschauen. An einem Buffet mit Getränken,
Kaffee und Kuchen oder Brötchen kann man sich stärken.
Anschließend werden die Ergebnisse der beiden Jurys in großer
Runde mit allen Teilnehmenden besprochen. Dabei darf das Publikum
im Hintergrund zuhören. Die Flipchartbögen nehmen die
Ensembles anschließend mit und können damit die Tipps
bei den weiteren Proben umsetzen. Auch die Veranstaltung selber
erhält von Publikum und Teilnehmenden auf entsprechenden Fragebögen
immer wieder Feedback. So hat sie sich über mittlerweile 14
Jahre zur heutigen Form entwickelt. Vermutlich gibt es nach wie
vor Tipps, das ensembletreffen weiter zu verbessern. Ein Durchgang
eines solchen Treffens dauert ungefähr drei Stunden. An einem
ensembletreffen-Wochenende können vier Durchgänge an
einem Standort stattfinden.
Seit 2005 findet das ensembletreffen mit wachsendem Erfolg auch
in Österreich statt. Dagmar Schinnerl, mittlerweile Projektleiterin
des ensembletreffens in Österreich, wurde im Oktober 2003 über
einen Artikel (Üben & Musizieren 5/2003) auf das ensembletreffen
aufmerksam und augenblicklich von der Idee angesteckt. Schon im
November reiste sie nach Berlin und schaute sich die Veranstaltung
genau an. Mit ihrem Bericht konnte sie Musikschuldirektor Christian
Fürst und die Verantwortlichen des oberösterreichischen
Musikschulwerkes so begeistern, dass 2005 das ensembletreffen 4222
erstmals als eine Art Pilotprojekt an der Landesmusikschule in
St. Georgen an der Gusen stattfand. Dietlind Bäuerle-Uhlig
aus dem Berliner Organisationsteam nahm in der Fachjury teil und
freute sich über die gelungene Premiere in Oberösterreich.
Auf Anhieb meldeten sich 43 Ensembles mit über 200 Musizierenden.
Das sehr positive Feedback auf die Veranstaltung ließ die
Verantwortlichen unter Federführung von Karl Geroldinger (Oberösterreichisches
Landesmusikschulwerk) und Walter Rescheneder (Landesmusikdirektion)
einen weitreichenden Entschluss fassen. Im April 2007 sollte das
ensembletreffen flächendeckend in Oberösterreich an sechs
verschiedenen Standorten durchgeführt werden. Rund 700 Musizierende
nahmen in 127 Ensembles an den Landesmusikschulen Frankenburg,
Gunskirchen, Laakrichen, St. Georgen an der Gusen, St. Martin im
Innkreis und Weyer teil. Aus dem Berliner Organisationsteam wirkten
Dietlind Bäuerle-Uhlig und Angela Müller-Velte und Antje
Valentin von der Landesmusikakademie Berlin in den Fachjurys an
verschiedenen Standorten mit. Sie waren begeistert davon, wie die
Idee verstanden wurde und beeindruckt von der Professionalität,
mit der sie an allen Standorten umgesetzt wurde.
Publikum und Teilnehmer erlebten in spannenden Konzerten eine
große
Bandbreite von Musikstilen mit einer faszinierenden Vielfalt von
Instrumentenkombinationen in Gruppenzusammensetzungen quer durch
die Generationen. Wo treffen Stubnmusi, Ur-Ton-Trommeln, Streichquartett
und drumset-Trio sonst aufeinander? Das intensive gegenseitige
Zuhören führt zu sehr handfesten Tipps zur Verbesserung
und Weiterentwicklung. Und genau darin liegt der immense Reiz für
die Ensembles. Es gibt kein Ranking, kein Besser und Schlechter,
denn darauf kommt es gar nicht an. Was zählt ist die Begeisterung,
das Musizieren zu bewahren und zu vertiefen.
Auf dieser Linie geben auch die jeweiligen Fachjuroren konstruktive
Hinweise. Wie kann ich das, was ich gerne mache, noch besser und
wirkungsvoller tun? Die Tipps umfassen den Ensembles entsprechend
eine Vielfalt und Bandbreite und fordern auch die Jurymitglieder
zuweilen heftig heraus, wenn sie mit Instrumenten und Kombinationen
konfrontiert sind, die sie selber so vielleicht noch nie gehört
haben. Immer aber geht es darum, die Teilnehmer weiter zu fördern,
indem man ihnen konkrete Anregungen mitgibt. Der Fokus liegt darauf,
dass die Ensembles frisch motiviert zur Weiterarbeit nach Hause
fahren, mit der Erinnerung an ein vielfältiges Konzert im
Herzen.
An allen sechs Standorten konnte das ensembletreffen ‘07
in Oberösterreich erneut mehr als überzeugen. Das positive
Feedback war so eindeutig, dass seit Juli 2007 nun feststeht, dass
diese Wettbewerbsform in Oberösterreich in einem Turnus von
zwei Jahren stattfinden soll. Voraussichtlich ist es also im April
2009 wieder soweit. Es wird spannend, wieviele Ensembles sich dann
dieser Form des Austausches stellen.
In Berlin findet die Veranstaltung jährlich an der Landesmusikakademie
statt. Ensembles können sich für das ensembletreffen
am 17./18. November 2007 bis zum Anmeldeschluss am 1.Oktober anmelden.
Zuhörer sind herzlich willkommen. Vermutlich gibt es noch
weitere Orte, an denen das ensembletreffen Gehör finden könnte.
Die Initiatorinnen aus Berlin und Österreich geben gerne Auskunft.
Weitere Informationen zum ensembletreffen berlin: www.ensembletreffen-berlin.de,
sowie Informationen zum ensembletreffen Österreich unter:
www.ensembletreffen.at.