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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 55
56. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Zu klein für ein Solo, aber groß im Songwriting
Marion Raven auf der Schulbank bei Meat Loaf und Nikki Sixx
Fast wäre es nichts geworden mit Marion Ravens (Norwegerin,
23) Musikkarriere. Als sie mit vier Jahren beim lokalen Kirchenchor
erste Musikkontakte sammelte, wollte man sie so richtig nicht dabei
haben. Der befremdliche Grund: Für ein Solo wäre sie
zu klein. Doch Marion Raven setzte sich durch und zirpte wenig
später das erste Solo. „Seit damals“, erzählt
Marion Raven, „war ich musikalisch ambitioniert und wusste,
dass ich später Musikerin werden möchte“. Sie behielt
Recht.
Das aktuelle Album „Set Me Free“ (erschienen am 8.
Juni 2007) ist der vorläufige Höhepunkt: Rockmusik, die
im Geiste an Alanis Morissette erinnert. Songwriting, das Janis
Joplin nahe steht. Gitarrenriffs, die keine leeren Hülsen
sind. Das alles präsentierte sie im Juni live in Meat Loafs
Vorprogramm, bei dessen letztem Hit „It’s all coming
back to me now“ sie übrigens als Duettpartnerin beteiligt
war. Ferner waren am Album Rockgrößen wie der schwedische
Top-Produzenten Max Martin (Britney Spears, Pink) oder Mötley
Crüe-Bassist Nikki Sixx beteiligt. Da sollten doch schon einige
Träume für Marion Raven in Erfüllung gegangen sein. „Schon“,
schmunzelt sie selbstbewusst, „denn mein Traum Musikerin
zu sein, hat sich verwirklicht. Allerdings habe ich nicht damit
gerechnet, dass eine Musikkarriere harte Arbeit bedeutet. Es geht
nicht nur ums Singen: Es ist ein Business. Man muss sich mit Managern,
Anwälten, Verträgen und Regeln beschäftigen. Das
hat wenig mit meinem Traum zu tun“. Aber sie verkriecht sich
nicht hinter Realitäten, sondern spricht sie offen an. Selbst
wenn es der Partner ist, der sie unverständlicherweise verlassen
hat. Offensiv widmet sie ihm ein wenig schmeichelhaftes Lied oder
breitet großzügig andere Gefühlswelten für
den Hörer aus. „Das muss so sein“, meint sie. „Ich
möchte eine Künstlerin mit Songs sein, die bei den Menschen
Gefühle hervorrufen, in die sich hinein versetzen können.
Das funktioniert nur, wenn die Songs persönlich sind. Alles
andere wäre belanglose Stangenware.“
Die zuvor erwähnten Helferlein stehen dabei zur Seite. Mötley
Crüe-Bassist Nikki Sixx hält Marion Raven gar für „die
talentierteste Newcomerin, seitdem ich Musik mache“. Und
Musik macht Sixx seit den frühen 80ern. Marion Raven schwelgt
jedoch nicht in hemmungsloser Verehrung für die Stars, sondern
arbeitet fleißig mit und lernt. „Es ist schier unglaublich,
was man von diesen Rockstars lernen kann. Es war fast so, als würde
ich in einer Rock’n’Roll-Schule sitzen“. Dabei
klingen die Albumsongs nicht konstruiert oder plastiniert. Man
möchte sich förmlich vorstellen, wie Marion Raven mit
Akustikgitarre und Kerzenlicht im Wohnzimmer sitzt, Akkorde bastelt
und Melodien sucht. „Na ja“, lacht sie wissend, „so
ist es nicht immer. Sicher gibt es Momente, da muss ich nachts
aufstehen, weil etwas in mir arbeitet, und schnappe mir die Akustikgitarre,
um das auf Papier bringen. Diese Phasen sind der Idealfall. Es
gibt aber Situationen, da kommt die Plattenfirma und meint, wir
bräuchten jetzt einen Hit, schreib doch mal was. Ich hasse
die-se Momente, denn dann habe ich das Gefühl, in einer Fabrik
zu sein“. Doch Marion Raven bleibt kühl und schreibt
Songs auf ihre Weise. Oft holt sie dabei die Vergangenheit ein. „Für
den Song ‚Crawl‘ habe ich eine Pianomelodie verwendet,
die ich seit meinem 15. Lebensjahr mit mir rumschleppe und nie
verwenden konnte.“
Marion Raven wirkt einfach glaubhaft. Da passt es freilich ohne
weiteres dazu, dass sie die größte Herausforderung darin
sieht, sich selbst treu zu bleiben. Nicht Platten zu verkaufen. „Es
ist ein hartes Geschäft. Ich könnte es mir leicht machen,
mein Haar blond färben und Popmusik trällern. Wahrscheinlich
wäre ich in kurzer Zeit berühmter als derzeit. Doch genau
das will ich nicht. Ich möchte eine Musikerin und Künstlerin
sein, die es auf ihre Weise schafft. Und wenn es zehn Jahre dauert.“
Eine klare Ansage. Kein Sternchen, das rumschnullert, sondern
eine Musikerin, die den Begriff Künstlerin durchaus ehrenwert behandelt.