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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 42
56. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Mahler, Schubert, Jazz
Die 27. Gustav Mahler Musikwochen in Toblach
Gustav Mahler und Franz Schubert – da gibt es wohl einige
Querverbindungen: zum Beispiel im Genre des Liedes, dem sich beide
Komponisten, wenn auch quantitativ in unterschiedlicher Intensität,
widmeten und das für ihr Œuvre grundlegende Bedeutung
einnimmt. Doch gibt es auch konkrete Gemeinsamkeiten?
Dies war das Thema des Mahler-Protokolls im Rahmen der diesjährigen
Gustav Mahler Musikwochen im Südtiroler Ort Toblach. Iso Camartin,
Philosoph und Literarturwissenschaftler aus der Schweiz, beleuchtete
in seinem Vortrag „Einen Engel im Adagio singen hören“,
wie sehr das musikalische Empfinden in der Romantik im Allgemeinen
und bei Schubert im Besonderen neue Wege einschlug: Das Unbehauste,
ein Schwanken zwischen Schmerz und Liebe, war eine der wichtigsten
emotionalen Grundingredienzien von Schuberts Denken und Musik,
und mit Mahler vereint ihn die „Sehnsucht für das dem
Menschen nicht Erreichbare“.
Professor Günther Schnitzler aus Freiburg untersuchte Liedvertonungen
Schuberts und Mahlers und kam zu dem Ergebnis, dass trotz vorhandener
Gemeinsamkeiten in der Kompositionsweise bei Mahler indes keine
konkreten Schubert-Zitate zu finden sind. Und nicht nur dies: Mahler
stand Schubert durchaus kritisch gegenüber, sah in ihm, wie
zu jener Zeit üblich, in erster Linie das „unfertige
Genie“.
Zuvor gab es die „Toblacher Mahler-Gespräche“ mit
dem Kernpunkt „Mah-ler im Prisma des Jazz“, und dort
bewegte man sich, nicht von ungefähr, auf deutlich dünnerem
Eis. Zwar spielte der Jazz in Toblach schon oft eine wichtige Rolle – man
denke an die Konzerte von Uri Caine, Gianluigi Trovesi und Cornelius
Claudio Kreusch –, doch stellte sich heraus, dass es weit
weniger Verbindungslinien gibt als der Titel der Veranstaltung
vermuten ließ. Auf Mahler konnte der Jazz naturgemäß keinen
Einfluss nehmen, und eine Mahler-Rezeption im Jazz hat letztlich
erst in den 90er-Jahren eingesetzt; man kann sie eigentlich fast
auf den Namen Uri Caine reduzieren.
Also versuchten die Vortragenden, mit mehr oder weniger Erfolg,
musikalische Gemeinsamkeiten zwischen Mahler und dem Jazz aufzuzeigen,
und hier gelang es dem italienischen Musikwissenschaftler Luca
Bragalini, zumindest auf ein „missing link“ aufmerksam
zu machen: Die Tradition der jüdischen Musik, Synagogalgesang
und Klezmer, die sowohl Mahler als auch frühe Jazz-Komponisten
wie Irving Berlin zumindest beeinflusst hat. Einen rundum überzeugenden
Schlusspunkt unter das Thema setzte der Auftritt des Jazz-Trios
Minsarah: filigraner Kammerjazz, in dem einige Mahler-Themen wie
von ferne grüßende Gäste auftauchten.
Natürlich wurde auch wieder der Schallplattenpreis Toblacher
Komponierhäuschen vergeben, und hier gab es eine Überraschung:
Auf einen Preis in der Kategorie Neuproduktionen wurde „schweren
Herzens“, wie die Jury bekanntgab, verzichtet. Den Preis
für die beste Wiederveröffentlichung erhielt eine Aufnahme
der Ersten und Neunten Sinfonie von Mahler mit Paul Kletzki und
dem Israel Philharmonic Orchestra, die seit langem nicht mehr erhältlich
war; sie beeindruckt durch eine emotionale Intensität und
ungezügelte Leidenschaft, wie sie heute auf dem Gebiet der
Mahler-Interpretation kaum noch zu finden ist. Den Sonderpreis
erhielt das Chicago Symphony Orchestra für seine lange und
erfolgreiche Mahler-Tradition und seine auf dem vor kurzem gegründeten
Eigenlabel CSO-Resound veröffentlichte Einspielung der Sinfonie
Nr. 3 unter Bernard Haitink.
Thomas Schulz
Internationaler Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“ – die
preisgekrönten Aufnahmen:
1) Gustav Mahler: Sinfonien Nr. 1 und 9. Israel Philharmonic Orchestra
(Aufnahmen von 1954). Doremi DHR 7850/51 (2 CD, mono)
2) Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 3. Michelle DeYoung (Mezzosopran),
Chicago Symphony Orchestra and Chorus, Bernard Haitink. Chicago
Resound CSOR 901 701