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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 38
56. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Für ihr Leben und Schaffen gab es keine Vorbilder
Ein deutscher Einzelweg: Ruth Zechlin in memoriam
Die Dame am Cembalo, die den Lautenisten accompagniert aber auch
führt, war eines ihrer Lieblingsgemälde. Ein Wunschbild.
Wichtig war ihr daran nicht nur die Gleichwertigkeit der Geschlechter
beim Instrumentalspiel, die Frans van Mieris’ „Hauskonzert“ Mitte
des 17. Jahrhunderts so überraschend eindeutig behauptet – sie,
Ruth, interessierte vor allem das Miteinander beim musikalischen
Tun. Gemeinsam zu musizieren, das war für sie wie ein gutes
Gespräch. Die Möglichkeit dazu setzte sie grundsätzlich
immer voraus.
Ruth
Zechlin. Foto: Ries & Erler
Auch in diesem Sinn – kommunizierend gedacht – lesen
sich die Titel der Werke: Briefe für Orchester, Metamorphosen,
Begegnungen, Reflektionen, Reminiszenzen. Eine Feministin war Ruth
Zechlin nie, eine Querständige schon. Geboren 1926 in Großhartmannsdorf
bei Freiberg in Sachsen, war sie eine der ersten Professorinnen
der ehemaligen DDR, die erste und einzige für Komposition.
Im bayerischen Passau, wo sie ihre letzten sechszehn Lebensjahre
verbrachte, war ihr Part auch der der ersten komponierenden Frau.
Ihre Querständigkeit kam aus dem Beharren. Das hatten sie
namhafte Lehrer gelehrt – in schwieriger Zeit. Johann Nepomuk
David zum Beispiel, bei dem sie ab 1943 Unterricht nahm, ermunterte
sie heimlich zum Experimentieren – Karl Straube und Günther
Ramin verwiesen auf Bach, der sich als ein roter Faden fortan durch
Ruth Zechlins eigene Orgel-, Cembalo- und Orchestermusik zog. Bach
diente eigener innerer Stärkung vor allem in Phasen kulturpolitischer
Enge. Erst sehr spät – in gefühlter geistiger Freiheit
und den täglichen Blick auf die Alpen genießend – schuf
sie ihr eigenes geistliches Œuvre. Und noch bis ins vergangene
Jahr sah man die Komponistin selbst am Instrument.
Um die Frauenmusikfestivals im wiedervereinigten Lande machte
sie meist einen Bogen. Ihre Bezugsgrößen waren andere: Lutoslawski,
Henze, Kurtág nannte sie Generationsgefährten – Pankraz
Freiherr von Freyberg, Hellmuth Matiasek, Stefan Tilch wurden Arbeits-partner.
Auch für ihr Bühnenwerk, das am Ende sieben Stücke
umfasste. Bischof Franz Xaver Eder war begeistert vom Enthusiasmus,
mit dem sie die Passauer Domorgel in Besitz nahm und das Publikum
für sich gewann. Beinahe zeitgleich – Anfang der 90er – saß sie
anderen Orts neben Heiner Müller; als dessen Vizepräsidentin
stritt sie dafür, in der Ostberliner Akademie der Künste
möglichst wenig Substanz zu vernichten.
Was bleibt von dieser deutschen Bio-graphie? In jedem Fall mehr
als 250 Kompositionen in allen Gattungen. Wer sie künftig
aufführen wird, muss sich auch auf manche Zwiespältigkeit
in ihnen berufen. Eine Avantgardistin im ausschließlich materialästhetischen
Sinn war Ruth Zechlin nie. Dazu hat sie vielleicht zu sehr das
Bewahren geliebt und zu aufführungspraktisch gedacht. Was
ihre Schüler – darunter Georg Katzer, Hans-Jürgen
Wenzel, Gerd Domhardt, Ralf Hoyer und Stefan Winkler – durchaus
zu schätzen verstanden. Natürlich schrieb sie auch für
das
Raschèr Quartett, Christina Ascher und die Gruppe Neue Musik ‚Hanns
Eisler‘.Viel wichtiger aber als die fixe Einordnung war in
ihrem Falle, dass sie selbst in steter Veränderung blieb und
für sich immer Neues versuchte. Und dass ihr in Werk und Leben
etwas gelang, wofür es keine Vorbilder gab. In Deutschland
gleichermaßen Hochschullehrerin, Organistin und bekannte
Komponistin zu werden, ohne sich als Mensch zu verbiegen – das
war für ihre Generation der ganz große Ausnahmefall.
Unvergesslich bleibt jene Nacht im Oktober: Ruth Zechlin, an
der Orgel der Erlöserkirche in Ostberlin, wie sie die Protestnacht
der Künstler „Wider den Schlaf der Vernunft“ eröffnet,
mit einem kraftvollen Orgelstück gleichen Titels. Das war
im 89er-Herbst, in ihrer wohl politischsten Zeit.
Den Jahren der Kämpfe folgten Stunden des Feierns: der 70.
Geburtstag in Passau mit Kollegen und Freunden aus West und Ost,
die Uraufführungen der Opern „Die Reise“ und später „Elissa“.
Nach dem 80. Geburtstag begann der Lebenskampf gegen den Krebs – am
4. August 2007 war auch Ruth Zechlin diesem Kampf unterlegen, nach
einem sehr schaffensreichen letzten Lebensabschnitt.