[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 38
56. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Avanvciertes „made in GDR“ ins vereinte Land retten
Kristallisationspunkt Akkordeon: die 15. Zepernicker „Randspiele“ für
Neue Musik
Jukka Tiensuu lässt das Instrument wie eine Orgel erklingen.
Der finnische Komponist verschließt sich verbaler Erklärung
und führt das Akkordeon in „Aion“ auf sein Wesen
zurück: Luft wird per Balg durch Klänge erzeugende Zungen
gepresst. Ganz anders „Trionfale II“. Helmut Zapf kombiniert
hier ein Akkordeon-Duo mit Blechbläsern – seltsam reizvoll
mischt sich beiderlei Sound bis hinein in geräuschhafte und
perkussive Momente. „Dekonfabulation“ des jungen Spahlinger-Schülers
Johannes Kreidler verwendet Splitter aus Popsongs und anderen Radioklängen – Akkordeonist
und Schlagzeuger müssen knapp kommentieren.
Daniel Göritz indes hat seine E-Gitarre parat und und lässt
in seinem Trio „Brachinus Crepitans“ noch einen Kontrabass
swingen. Dem Experimentieren sind keine Grenzen gesetzt und in
der kleinen evangelischen Kirche St. Annen mischen sich Fachwelt
und Dorfpublikum. Die Interpreten geben das ihre dazu: Susanne
und Veli Kujala vertreten die finnische Tradition, Christine Paté lernte
als Kind in Lyon die Musette, Bettina Buchmann studierte bei Anzellotti
in Bern und spielt sehr kontrolliert. Mit Absicht hat das Festival ästhetisch
ungleiche Spieler nach Zepernick eingeladen – vier Deutsche
komplettieren das Feld der Solisten, die vier Abende lang Werke
für und mit Akkordeon realisieren; den populistischen Höhepunkt
bildet das Nürnberger Akkordeonorchester mit Stefan Hippe
am Pult. Unterschiedliche Handschriften, Generationen und Sozialisationen
treffen musikalisch aufeinander – so lautet das „Randspiele“-Konzept.
Das bedeutet hier im Nordosten Berlins konkret auch, gehäuft
Vertretern der einstigen DDR-Avantgarde zu begegnen, die anderswo
keine Plattform mehr haben. Georg Katzer
trifft man hier an, Ralf Hoyer und Hermann Keller, aber eben auch
Jin-Ah Ahn, Olga Rajewa, Peter Köszeghy und andere der nachrückenden
Jungen. Aus beider Begegnung erwächst in manchem Moment etwas
verloren Geglaubtes: dass es Dialoge gibt zwischen den Generationen
und dass hochkarätiges kompositorisches Handwerk noch immer
gepaart sein kann mit Redlichkeit und politischer Integrität.
Avanciertes „made in GDR“ ins vereinte Deutschland
zu retten und für Heutiges schlichtweg offen zu sein – auf
diese Formel könnte man die „Randspiele“ lapidar
bringen. Das Kleinfestival erwuchs aus kirchenmusikalischem Tun
und daraus resultiert die Verankerung an einem Ort, an dem man
zeitgenössische Klänge zunächst nicht vermutet.
Seit Anfang der 90er-Jahre stehen die Zepernicker Kantorin Karin
Zapf und Georg Katzers ehemaliger Schüler Helmut Zapf hier
im Brandenburgischen für Programm und Organisation. Das Land,
der Landkreis und der Energiekonzern EWE fördern die Initiative.
Das Festival ist ein Highlight mit internationalen Kontakten in
einer sonst kulturell armen Region. Wer hier uraufgeführt
werden will, muss sein Werk allerdings stiften – trotz
namhafter Partner wie Pro Helvetia, der GEMA, dem Deutschen Musikrat,
Deutschland Radio Kultur und der Akademie der Künste sind
die Mittel extrem knapp. Im Regelfall kommen Musiker, Komponisten
und Künstler anderer Sparten jedoch nicht aus finanziellen
Gründen hierher, sondern um sich hier zu positionieren, wo
der Diskurs über Musik und Gesellschaft nicht in festgefahrenen
Bahnen verläuft. Für Lothar Vogtländer und Helmut
Oehring gilt das ebenso wie für Dieter Schnebel und Max E.
Keller sowie für die zahlreichen Jungen aus aller Welt, die
im nahen Berlin zu wenig Förderung finden. Was Alexandra Filonenko,
Michael Jordan und Gary Berger, Blazej Dowlasz, Matthew Whittall
oder Sakari Raappana hier in Zepernick bieten, lebt indes nicht
von politischer Reibung und ästhetischer Innovation – es
ist die Vielgestalt der Stile, welche die junge Generation charakterisiert.
Das „III. Zepernicker Liederbuch“ ist dafür ein äquivalenter
Beleg. Es handelt sich um eine Folge von fünfzehn eigens neu
geschriebenen Werken verschiedener Machart, deren Bindeglied das
Akkordeon ist. Anna Maria Sommer, Jahrgang 1981, eröffnet
mit der Performance „Simone“. Es ist ihre erste Komposition.
Friedrich Schenker gibt zwei neue „Feldmusiken“ hinzu,
aparte Satiren auf Militärisches; Friedrich Goldmanns „4
Duos für Orgel und Akkordeon“ stechen durch Klangschönheit
hervor. Für das Highlight indes stehen vier Nachwuchs-Talente:
das hochtalentierte Sonar-Streichquartett aus Berlin bietet Quartette
von Peter Köszeghy, Helmut Zapf und Mathias Hinke mit so viel
Spielwitz, Emotion und Experimentierlust, wie man sie heute auf
Avantgarde-Podien selten hat. Vielleicht verdankt es sich gerade
auch diesem Konzert, dass Festivalleiter Helmut Zapf als überzeugendster
Komponist dieses 15. „Randspiele“-Jahrgangs in Erinnerung
bleibt – mit gleich mehreren Arbeiten von beachtlicher Reife
und Dimension.