[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 3
56. Jahrgang | September
Feature
Klänge des Friedens – mehr als eine Utopie
Zur Erinnerung an den deutsch-koreanischen Komponisten Isang
Yun · Von
Dieter Senghaas
Am 17. September wäre Isang Yun (1917–1995), der bedeutende
deutsch-koreanische Komponist, 90 Jahre alt geworden. Dieter Senghaas,
Friedensforscher an der Universität Bremen, würdigt Yun
als einen Künstler, der in seinem Leben geradezu schicksalhaft
mit den politischen Abgründen des 20. Jahrhunderts konfrontiert
wurde.
Seine
Notate fanden in Partituren und Geschichtsbüchern
ihren Niederschlag: Isang Yun. Foto: Boosey & Hawkes
In Isang Yuns gesamter Biographie dokumentiert sich die Tragödie
der Geschichte Koreas im 20. Jahrhundert, in ihr spiegeln sich
aber auch die lang gehegten Hoffnungen, die heute mit der „Sonnenschein-Politik“,
dem koreanischen Pendant zur Willy Brandtschen Ost- und Entspannungspolitik,
verbunden werden. Yun hat sich weder während des Zweiten Weltkrieges
mit dem Besatzungsregime des faschistischen Japan, noch später
in Südkorea mit den Militärdiktaturen arrangiert. Als
Oppositioneller wurde er vor 1945 von den Japanern verfolgt, verhaftet
und gefoltert. Yun kam 1956 nach Westeuropa (Paris und Berlin),
um sich mit den kompositorischen Techniken der europäischen
Avantgarde vertraut zu machen.
Gleichzeitig engagierte er sich mitten im Kalten Krieg von Deutschland
aus für die Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea.
Im Juni 1967 wurde er vom südkoreanischen Geheimdienst entführt,
von Berlin nach Seoul verschleppt, dort inhaftiert und nunmehr
von seinen eigenen Landsleuten gefoltert und zu lebenslanger Haft
verurteilt. Nur aufgrund von internationalen Protesten kam er zwei
Jahre später frei und konnte nach Deutschland zurückkehren,
wo er 1974 in Berlin auf eine Professur für Komposition an
der Hochschule der Künste Berlin berufen wurde, die er bis
zu seiner Emeritierung 1985 innehatte. 1971 nahm er die deutsche
Staatsbürgerschaft an.
Yun liebte sein koreanisches Land, dessen südlichen Teil er
bis zu seinem Tod nicht mehr besuchen konnte. Er verabscheute die
unterschiedlichen Diktaturen des Nordens und des Südens, konnte
oder wollte sich jedoch einer gewissen Zuneigung durch Kim Il-sung,
Nordkoreas „Großem Führer“, nicht entziehen:
Mehrfach wurde er nach Pjöngjang eingeladen, wo seit 1982
regelmäßig im Herbst ein Isang Yun Festival veranstaltet
wurde und es seit 1993 ein Isang-Yun-Musikinstitut mit einem Konzertsaal
für 600 Zuhörer gibt. Dieser Sachverhalt und Kompositionen
wie beispielsweise „Exemplum in memoriam Kwangju“ (1981),
mit der Yun gegen ein Massaker des südkoreanischen Militärs
in der Provinzhauptstadt Kwangju (Mai 1980) protestierte, machten
den Komponisten zu einer im Süden viele Jahre lang offiziell
verfemten Figur, die er seit seiner „Entführung“ aus
Berlin ohnehin war.
Brückenkopf zwischen
Nord und Süd
Heute jedoch figuriert Yun wie ein musikalischer Brückenkopf
zwischen dem Norden und dem Süden. Schon im November 1998
fand in Pjöngjang ein dreitägiges Isang-Yun-Wiedervereinigungskonzert
statt. Damals musizierten die nord- und südkoreanischen Musiker
an verschiedenen Abenden allerdings nicht mit-, sondern nacheinander.
Inzwischen steht der Aufführung der Werke von Yun auch im
Süden des Landes nichts mehr im Wege. Seit 2002 findet nach
zweijährigem Vorlauf in Yuns Heimatstadt, im südkoreanischen
Tongyeong, ein internationales Musikfestival statt, das sich vor
allem der Aufführung von Yuns Kompositionen und zeitgenössischer
Musik widmen möchte (siehe nmz 6/07). Im übrigen bereiste
schon 1999 das von Yun inspirierte Isang-Yun-Ensemble aus Pjöngjang,
mit dem er immer wieder intensiv probte, mit großem Erfolg
die Bundesrepublik. Die Initiative hierzu ging seinerzeit von der
deutschen Botschaft in Seoul, dem dortigen Goethe-Institut und
dem Berliner Haus der Kulturen der Welt aus.
So hat Isang Yun mit Musik zur Vorbereitung der „Sonnenschein-Politik“ des
seinerzeitigen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung
beigetragen, ehe diese Politik formuliert war beziehungsweise in
erste praktische Versuche übersetzt werden sollte. Im übrigen
verdankt Kim Dae-jung sein Leben auch Isang Yun: 1973 sollte der
inhaftierte Oppositionspolitiker Kim von einem Schiff aus in einer
Kiste im Meer versenkt werden. Dieser Plan der südkoreanischen
Diktatur wurde bekannt und durchkreuzt, weil es Personen wie Isang
Yun – damals von Berlin aus – gelang, einen weltweiten
Protest gegen die Absichten der Diktatoren zu mobilisieren. Selbst
der US-Geheimdienst, ansonsten der Lehrmeister des gelehrigen südkoreanischen
Geheimdienstes KCIA, überwachte seinerzeit mit Hubschraubern
die Küste Südkoreas, um den Anschlag auf Kims Leben zu
durchkreuzen.
Das friedenspolitische Wirken eines einzelnen Künstlers und
Musik per se sind also nicht so bedeutungslos wie es in den schnelllebigen
Zeiten des postmodernen Diskurses oft unterstellt wird. Doch Isang
Yuns Biographie dokumentiert ein Weiteres: Ihm ist es nicht nur
gelungen, Brücken zwischen den beiden unverschuldet geteilten
Koreas zu schlagen; immer noch müssen beide Länder den
ihnen einst unverschuldet von außen aufgezwungenen Ost-West-Konflikt überwinden.
Seiner Musik verdanken wir auch einen besonders eindrucksvollen
Beitrag zum interkulturellen Dialog – langfristig sein eigentliches
künstlerisches Vermächtnis: Nach einer Anfangsphase des
Suchens und Experimentierens ist dieser Dialog in jeder der Yun’schen
Kompositionen aus der mittleren und späteren Schaffensphase
erkennbar. Für europäische Ohren hören sich viele
dieser Werke „asiatisch“ an: So wird man als Hörer
mit dem vom Komponisten kunstvoll entfalteten Eigenleben des Einzeltones
konfrontiert. Koreanische Ohren, so wird berichtet, empfinden die
Musik ihres Landsmannes als „europäisch“, jedoch
mit erkennbar koreanischen Wurzeln. Abgesehen von aller fachwissenschaftlichen
Analyse dokumentiert allein schon dieser Sachverhalt, dass es Yun
offensichtlich gelungen ist, einen innovativen kompositorischen
Ausdruck zu finden, der sich nicht kulturell-additiv darbietet,
sondern ganz eigener Art ist.
Engagierter Patriot –
kosmopolitischer Weltbürger
Abseits eines durch und durch kommerzialisierten Musikbetriebes,
besonders jenes, der sich heute mit dem Etikett „Weltmusik“ schmückt,
sind es die Stimmen von Künstlern wie Yun, die Hoffnung vermitteln
und die trotz aller Rückschläge in friedenspolitischen
Bemühungen hoffen lassen.
In gewisser Hinsicht erinnert Yun an den 300 Jahre vor ihm verstorbenen
Komponisten Georg Muffat, der während des Spanischen Erbfolgekrieges
51-jährig das Opfer kriegsbedingter Entbehrungen wurde – Folge
einer auf Aushungerung abzielenden Belagerung des damals von habsburgischen
Soldaten besetzten Passau durch eine 3000 Mann starke bayerische
Truppe. Muffat schrieb 1695, wenige Jahre vor seinem Tod: „Mein
Beruf ist weit entfernt vom Lärm der Waffen und der Staatsräson,
die zu denselben ruft. Ich verstehe etwas von Noten, Akkorden und
Klängen … Wenn ich französische Weisen mit denen
der Deutschen und der Italiener vermische, so geschieht dies nicht,
um einen Krieg heraufzubeschwören; vielmehr suche ich damit,
der Eintracht all dieser Völker den Weg zu bereiten, dem köstlichen
Frieden.“
Dringend benötigt eine mit gewaltträchtigen Konflikten
durchsetzte Welt auch in den Künsten Brückenbauer wie
Muffat und Yun, gerade auch in der Musik.
Nicht viele Komponistinnen und Komponisten haben ihr künstlerisches
Lebenswerk dem Frieden, verstanden als Schutz vor Gewalt, Schutz
der Freiheit und Schutz vor Not sowie einer Förderung von
Empathie zwischen Kulturen, gewidmet. Isang Yun ist einer von ihnen,
wobei er geradezu vorbildhaft dokumentiert, dass man ein kritisch
gesinnter, politisch engagierter Patriot und gleichzeitig kosmopolitischer
Weltbürger sein kann – und heute sein muss.
Dieter Senghaas
Der Erinnerung an Leben und Werk von Isang Yun widmet sich die
1996 in Berlin gegründete Internationale
Isang Yun Gesellschaft e.V. Sie hat auch mehrere CDs mit Werken
Yuns produziert. Zuletzt erschienen Einspielungen mit dem Iturriaga
Quartett. Vom 8. bis 10. November veranstaltet sie zusammen mit
der Berliner Universität der Künste das Festival „Yun
im Kontext – Europa/Berlin“ mit Konzerten und Vorträgen.
Details, auch zur CD-Edition, unter: www.yun-gesellschaft.de