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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 8
56. Jahrgang | September
www.beckmesser.de
Schwapp!
Dauerhafte Veränderungen geschehen nicht durch lautstarke
Auseinandersetzungen auf der Medienbühne, sondern in kleinen,
unmerklichen Schritten. Heute eine unbeachtete Richtlinie aus Brüssel,
morgen ein Gesetzchen aus Berlin, hier eine Moschee, dort ein Gemeindezentrum
... Und in zehn Jahren leben wir in einer zwar nicht schönen
neuen, aber doch einer anderen Welt.
So geht es auch mit dem Internet. Gerade haben wir uns an die
Unabänderlichkeit
seiner Existenz gewöhnt, jeder Weltschmerzpoet spricht heute
sein Weh-weh-weh anders aus und jede Karrierefrau weiß, wo
sich das Ät auf der Tastatur befindet. Doch die kleinen Gratisprogramme
werden immer praktischer, die Leitungen immer schneller und die
Preise immer geiler. Und dann wachen wir eines Tages auf und befinden
uns im Web 2.0 mit dem grenzenlosen Schwall an überflüssigem
Gequatsche, der über den Computer in unsere vier Wände
hereinschwappt.
Auch an der Musikfront beginnt es vernehmlich zu schwappen. Die
Zahl der Downloads – legal und illegal – steigt unaufhörlich,
und zur Freude der Konsumfuzzis, die sich „ihre“ Songs
per Breitband heranschaufeln, wird dadurch auch das Copyright stets
ein klein bisschen mehr flexibilisiert. Eine Kontrolle über
die legale Nutzung wird für die Rechteinhaber immer illusorischer.
Sie setzen deshalb auf Pauschallösungen und statistische Verfahren.
Apples iTunes hat mit seiner 99-US-Cent-Einheitsgebühr einen
weltweiten Standard für Mengenpreise gesetzt. Das vereinfacht
das Geschäft, hat aber zugleich fatale Konsequenzen für
Autoren und Produzenten: Während Apple-Chef Steve Jobs mit
seiner schlauen Idee kurzfristig Milliarden verdient, wird der
Inhalt, das Gut Musik, langfristig immer mehr entwertet. Das Markenprodukt
wird auf Dauer zum inflationären Allerweltsprodukt, die Songs
müllen die MP3-Player und Festplatten wie Virenwürmer
zu. Geworben wird mit „Speicherplatz bis zu 20.000 Songs
auf Ihrem iPod“. Doch wer kann das alles noch hören?
Was die CD-Industrie in den 80er- und 90er-Jahren mit ihrer Strategie
des „more of the same“ bewirkte, die Überschwemmung
des Markts und eine anschließende Absatzkrise, scheint sich
zur Zeit im Internet, dem Reich der unendlichen Möglichkeiten,
in potenzierter Form anzubahnen. Am Ende dieses Hypes könnte
die weitgehende Entwertung der digital vertriebenen und gespeicherten
Musik stehen. Die Krise, die bisher nur als CD-Krise gesehen wurde,
würde dann zur totalen Musikkrise.
Die Hoffnung, dass der anhaltende Rückgang der CD-Verkäufe
durch kostenpflichtige Downloads im Internet wettgemacht werden
könnte, erweist sich schon heute als trügerisch. Laut
dem britischen Branchenmagazin „Prospect“ geht die
kostenpflichtige mediale Nutzung von Popmusik insgesamt zurück.
Die relativ preiswerten Downloads sollten ein Massenpublikum
anlocken, doch letztlich bringen sie viel weniger ein als eine
CD. Ende der
90er-Jahre, so das Magazin, brachte eine für vier Pfund verkaufte
Single-CD für die Plattenfirma ein Pfund und für die
Musiker 50 Pence. Im Internet gibt es heute für denselben „Content“ noch
30 beziehungsweise 10 Pence. Für die Musiker ein Rückgang
um achtzig Prozent, mit anderen Worten: Er muss fünfmal mehr
verkaufen, um sein Einkommen zu halten.
Deshalb gibt es bereits Bands, die ihre Musik im Internet gratis
anbieten. Damit wollen sie die Fans für Live-Konzerte und
zum Kauf von Merchandising-Produkten mobilisieren. Das T-Shirt
made in China mit Band-Motiven zum Preis von 20 Pfund bringt mehr
ein als die in Europa fabrizierte CD für 10 Pfund. Im Vorfeld
seiner Londoner Konzerte von Ende August ließ Prince verlauten,
dass er jedem Besucher ein Exemplar seiner neuesten CD „Planet
Earth“ schenken werde. Der Tonträger als Gratis-Zugabe
zum Live-Event. Preis der CD: Null Euro. Preis der Plätze
in der Londoner O2-Arena: 85 bis 550 Euro. Das ist Salzburger Netrebko-Tarif.
Die Plattenfirma soll die Prince-CD in England frustriert aus dem
Verkauf gezogen haben.
Während die Tonträger verschleudert werden und die Musik
im Internet zu Dumpingpreisen gehandelt wird, nimmt das Veranstaltergewerbe
einen gewaltigen Aufschwung. Das Publikum ist wild auf Live-Events,
die Ticketpreise schießen in die Höhe. Natürlich
wird auch in diesem neuen Geschäftsfeld aufs Unverschämteste
abgezockt. Aber vielleicht hat der Trend etwas Gutes: Musik will
wieder mehr als social event und nicht nur als technoide Geräuschtapete
erlebt werden. Und vielleicht drehen die Hörer eines Tages
dann auch den Dudelwellen den Knopf ab.