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2007/09 | Seite 12
56. Jahrgang | September
Ferchows Fenstersturz
Der Sommerhit ist tot
Nach einem grausamen Sommer steht fest: Der Sommerhit ist tot.
Gefühlte drei Jahre mag es her sein, dass sich die Welt
nach Lou Begas „Mambo No.5“ verrenkte. Konnten sich
die Plattenfirmen damals noch darauf verlassen, dass wenigstens
ein Song im Jahr – neben „Last Christmas“ – den
Konzern aus den roten Zahlen führte, so herrscht heute das
blanke Entsetzen. Dabei hat man alles versucht. Grenzdebile Mega-Partys
auf Mallorca, gackernde Street-Teams in Discotheken mit zu engen
Röcken oder überforderte Talentsucher auf Volksfesten
und Biertischen, die antizipieren sollten, was das Volk grölen
möchte. Geholfen hat alles nichts. Lediglich das bizarre
Pfeifen eines spanischen Hits mutierte zum Ohrwürmchen,
doch mal ehrlich: Die ausgefransten Rhythmen und zusammengeschusterten
Refrains klingen mehr nach Frank Farians Dünnpfiff denn
nach einem andalusischen Hirten, der seine Schäfchen ruft.
In die engere Auswahl schaffte es mit Hängen und viel Würgen
DJ Ötzi, dessen „Ein Stern“ als Ganzjahres-Grauen
die Charts quält. Dafür nehmen ihn nun selbst die Österreicher
unter drei Jahren nicht mehr ernst.
Früher konnte man für einen Sommerhit wenigstens noch
die DJs anständig schmieren, doch die werden langsam durch
Notebooks und MP3 ersetzt. Zudem ist das benötigte Schwarzgeld
nicht mehr im Wirtschaftskreislauf, weil verprasst von Siemens
oder durch die digitale Gesundheitskampagne „Copy Kills Music“.
Was aber ist dem Sommerhit widerfahren? Nehmen die Konsumenten
den Sommer nicht mehr wahr, weil es ihn nicht mehr gibt? Oder sind
sie angewidert, wenn Bohlen und Ziehsöhnchen Mark Medlock
blöd grienend auf einer Segelyacht stehen und nach alter Schuhsohle
riechende Sommerhitchen kredenzen, die Ricky Martin zu Recht abgelehnt
hat?
Zu befürchten ist beides. Einerseits rotten wir den Sommer
klimatisch aus, indem wir Omis Einkäufe 15 Kilometer durch
die Gegend fahren, weil sie den „Meals on wheels“-Zivi
als Schläfer identifiziert hat. Andererseits wurde uns der
Sommerhit jedes Jahr madiger gemacht. Ständig aalten sich
halbnackte und leidlich begabte Künstler auf Palmeninseln
und Sandstränden, bewacht von Topmodels und flankiert von
Modedrinks, die sich die gesamte Crew wochenlang in den Rachen
schüttete, weil das Budget nur noch bei sieben Millionen US-Dollar
pro Video liegt. Nicht zu vergessen die Drehschluss-Partys auf
Spesen. Schnell mal eine Horde „Reserve-Chicks“ eingeflogen
oder ein Abstecher zum Hochseefischen mit dem Regisseur. Das kostet.
Da darf Neid und Überdruss beim lauschenden Volk aufkommen.
Das kann sich ja keiner mehr leisten. Außer man beantragt
Hartz IV, ist wohngeldberechtigt und mietzuschussfähig.
Aber nicht verzagen, die Lösung naht. Al Gore hat im Umwelttrailer „Eine
unbequeme Wahrheit“ dargelegt, was passiert ist: Der Sommer
hat sich verschoben. Marginal nach vorne. Wir sind seit ein paar
Jahren einfach zu spät dran und sollten die Antennen künftig
im April ausfahren. Und in ein paar Jahren könnte der Handel
den Weihnachtskaufrausch aus dem Februar noch voll ins Quartal
mitnehmen. Denn Weihnachten verschiebt sich doch dann auch, oder?