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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 12
56. Jahrgang | September
Nachschlag
Geiler Wahn
„Hier gilt’s der Kunst“, hatte weiland Wieland Wagner
an die Pforten von Bayreuth geschrieben, um das Werk seines Großvaters
aus politischen Umklammerungen zu lösen. Doch er irrte letztlich.
Um die Kunst geht es in Bayreuth wie in vielen anderen großen
Festspielstätten schon längst nur mehr am Rande. Das
sind eher Servicestationen mit einer gewissen Qualitätsgarantie,
die über die eingekauften Stars gewissermaßen per Zertifikat
eingebracht wird. Im Vergleich mit einem Büffet, auf dem die
Garnelenschwänze nordmeeriger, der Lachs alaskischer und das
Roastbeef rosiger sind. Es ist ein Gaukelladen, in dem keiner glaubt,
dass einem Gottschalk, einem Beckenbauer oder einer Frau Merkel
etwas an einer vertiefenden Sicht an Wagner läge. Die Sensation
ist angesagt (in Salzburg heuer auch häufig wieder abgesagt)
und alles schmeißt sich auf sie: weil Thielemann soo deutsch
ist, Fischer soo den Klang aufblühen lässt, dass er Bouléz
vergessen macht, oder die angeblich einzigartige Holzkastenakustik
jedes Jahr aufs Neue verblüfft. Wo so ein Rummel ist, da darf
die Kritik nicht fehlen und mit vorauseilendem Gehorsam wirft sie
ihrerseits Schlagschatten auf jeden zu erwartenden Event voraus.
Ob sie dann die Sache in dem Himmel hebt oder in Stücke haut,
gehört zum angesagten Spiel und ist gar nicht mehr wichtig.
Der Popanz des Dabeiseins wälzt alles nieder.
Fraglos gab es in Bayreuth einige große künstlerische
Ereignisse (der „Ring“ von Chéreau und der von
Kupfer waren Deutungen, die dem Anspruch Wagners auf der Spur waren).
Das Gros aber bewegt sich im Raum der Ausstattungsästhetik,
die meist mit ein paar Verkrümmungen garniert sind, die dann
als erregende Neudeutung betrachtet werden oder von den Altwagnerianern
mit dem Bannstrahl der Meisterschändung belegt werden. Da
stecken Protagonisten oder der Chor in NS-Uniformen (was als Mut
gesehen wird), da zieht sich Schlingensief ein symbolbluttriefendes
Negligé (-klischee?) über, oder da verspielt sich Katharina Wagner,
Urenkelin des Meisters, in postmodernistischer Stülpverdrehung,
indem sie Bayreuths Geniewahn zum Gegenstand der „Meistersinger“ macht
und hiermit Beckmesser ein gutes Stück besser da stehen lässt.
All das sind im Grunde nur bessere Puzzlespiele und jede Lächerlichkeit
wird zum kühnen Akt erklärt. Kunst im emphatischen Sinne
ereignet sich hier nicht. Man mag an Szenarien denken, an denen
Strauß‘ Vater zum Tanz aufspielte, ein Moscheles oder
Thalberg Konzertabende gaben und Schubert im Stillen an seiner
Winterreise oder am Quintett schrieb. Das zur Sensation gebauschte
Ereignis schlägt schon immer Tiefe und Intensität der
musikalischen Wahrnehmung tot.
Vielleicht ist das, also die trunkene Sichtweise, ja sogar die
Rettung für Wagner. Nüchtern betrachtet würde einiges
an seinem Werk seiner Nebel-sphäre entkleidet. Seine so gerühmte
Harmonik bleibt im Grunde hinter der aus den Préludes von
Chopin zurück (wo man Tristanakkorde zuhauf findet); und von
der Sensibilität des Hörens wollen wir hier gar nicht
sprechen. Die Singstimmenführung kennt mehr den Kraftakt denn
die melodische Tiefe. Die Leitmotivik zum Teil mehr Lückenfüllerfunktion
denn musikalische Notwendigkeit. Klangliche Höhepunkte werden
mit Mitteln erzielt, die andere Komponisten mit Scheu vor dem eigenen
Anspruch noch einmal gebrochen hätten. Es bleibt ein stattlicher
Rest an wirklich großer und öffnender musikalischer
oder besser musikdramatischer Ahnung. Das müsste man nicht
sagen, wenn nicht alles auf dem Pferd der PR-Geilheit säße.
Wie die alles niederwalzenden Reiter in „Apocalypse now“ mit
ihrem Walkürendessus.