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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 15
56. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Kultur als die sanfte Macht
Eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung
Im Mai hat die Europäische Kommission eine „Mitteilung über
eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“ veröffentlicht.
Die Mitteilung wendet sich an das Europäische Parlament, den
Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss
der Regionen mit der Bitte um Stellungnahme. Schon im Vorfeld der
Mitteilung wurde auf die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft hingewiesen – der
Europäische Musikrat beteiligte sich am Konsultationsverfahren
und bezieht Stellung zu der veröffentlichten Mitteilung: Im
Titel vermeidet die Mitteilung den Begriff der Kulturpolitik, doch
genau das ist ihr zentrales Thema: Wie kann und soll eine europäische
Kulturpolitik aussehen?
Mit den Verträgen von Amsterdam wurde in Artikel 151 Kultur
als Tätigkeitsfeld der Europäischen Union festgelegt: „Die
Gemeinschaft trägt bei ihrer Tätigkeit (…) den
kulturellen Aspekten Rechnung, insbesondere zur Wahrung
und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen.“
Mittlerweile hat die EU-Kommission ein eigenes Kulturförderprogramm
und in Kommissionspräsident Barroso einen Fürsprecher
für Kunst und Kultur. Die Mitteilung der Kommission über
eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung
ist daher die folgerichtige Weiterführung der Auseinandersetzung
mit Kultur und deren Bedeutung für den europäischen Integrationsprozess.
Auch wenn die Mitteilung in einigen Punkten vage bleibt – zum
Beispiel bei der weiteren Finanzierung der EU-Kulturprogramme,
deren Ausstattung sehr unzureichend ist – begrüßt
der Europäische Musikrat die Initiative der Kommission, um
so Kultur im Sinne eines „culture mainstreamings“ stärker
in den politischen Prozess der EU einzubinden.
Die drei Zielbereiche, die eine europäische Kulturagenda enthalten
soll, sind die Förderung der kulturellen Vielfalt und des
interkulturellen Dialogs, die Förderung der Kultur als Katalysator
für Kreativität im Rahmen der Strategie von Lissabon
für Wachstum und Beschäftigung und die Förderung
der Kultur als wesentlicher Bestandteil der internationalen Beziehungen
der Union. Der Kultur wird also ein hoher Stellenwert im gesamten
politischen Geschehen innerhalb und außerhalb der EU eingeräumt;
künftige EU-Maßnahmen sollen sich, unter voller Berücksichtigung
des Subsidiaritätsprinzips, an diesen Zielen ausrichten. Die
Antwort allerdings, wie diese Maßnahmen finanziert und gestaltet
werden sollen, bleibt die Mitteilung schuldig.
Neue Partnerschaften
Besonders begrüßenswert ist, dass neue Partnerschaften
und neue Kommunikationsformen angestrebt werden. Zu den Partnern,
den so genannten „Stakeholdern“, gehören die EU-Kommission,
die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament und die Zivilgesellschaft.
Im Mittelpunkt dieser neuen Partnerschaften steht der Ausbau des
Dialogs mit dem Kultursektor. Als Form der Kommunikation strebt
die Kommission die „offene Koordinierungsmethode“ an,
die eine gemeinsame Richtung vorgibt und sich für solche Bereiche
eignet, in denen die Zuständigkeiten vor allem auf der Ebene
der Mitgliedstaaten verbleiben.
Die Mitteilung bezieht sich ausdrücklich auf das UNESCO-Übereinkommen
zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen,
das im März 2007 in Kraft getreten ist. Die EU hat zum ersten
Mal in ihrer Geschichte als eigenständige Partei diese Konvention
unterzeichnet und sich damit verpflichtet, die Inhalte der Konvention
in konkrete Handlungen umzusetzen. Die Zielbereiche der europäischen
Kulturagenda, wie zum Beispiel die Förderung der kulturellen
Vielfalt und des kulturellen Dialogs, stehen dabei in Einklang
mit der UNESCO-Konvention. Dazu gehört auch die Unterstützung
kultureller Aktivitäten in AKP-Ländern (Afrika, Karibik,
Pazifik), die die Einrichtung eines EU-AKP-Kulturfonds vorsieht.
Allerdings zeigt die Mitteilung klar die Ambivalenz der EU auf:
einerseits wird von dem erfolgreichen sozialen und kulturellen
Projekt Europa gesprochen, das eine „sanfte Macht“ sei,
die sich für Menschenwürde, Solidarität, Toleranz,
Meinungsfreiheit, Respekt der Vielfalt und Dialog zwischen den
Kulturen einsetze. Andererseits heißt es im Zweck der Mitteilung,
dass die Kultur unverzichtbar sei, damit die EU ihre strategischen
Ziele Wohlstand, Solidarität und Sicherheit erreichen und
gleichzeitig ihre Präsenz auf der internationalen Bühne
ausbauen könne. Bei einer Instrumentalisierung von Kultur
sollte jedoch nie vergessen werden, dass Kultur einen Wert an sich
bildet und keinem Legitimationszwang unterliegen sollte. Auch ob
Staaten, denen der Zutritt zum EU-Markt aufgrund von Handelsbeschränkungen
verwehrt ist, die EU als „sanfte Macht“ wahrnehmen
bleibt fraglich.
Keine Sonntagsreden
Dennoch zeigen gerade diese Widersprüche, wie wichtig eine
europäische Kulturagenda im Sinne eines „culture mainstreamings“ ist:
Kultur sollte nicht immer nur die „weiße Weste“ der
EU sein, die sich nach Außen gegenüber Drittländern
als das gute Gewissen präsentiert. Vielmehr sollte Kultur
in allen Politikbereichen der EU berücksichtigt werden, um
dem Ideal einer „sanften Macht“ wirklich gerecht zu
werden. Es bleibt zu hoffen, dass die europäische Kulturagenda
in konkrete Handlungen umgesetzt wird – so entgeht sie auch
der Gefahr einer bloßen Sonntagsrede.