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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 13
56. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Das Orchester ist auch in Zukunft sein eigener Chef
Zukunftskongress der Jungen Deutschen Philharmonie in Frankfurt · Von
Andreas Kolb
Das Orchester ist der Chef, das Kollektiv hat das Sagen. Diese
Utopie war ein Stück weit in der Jungen Deutschen Philharmonie
verwirklicht, die 1974 von engagierten und innovationsfreudigen
Musikstudenten ins Leben gerufen wurde. Nach 33 Jahren steht das
Orchester ökonomisch gesehen besser da als je zuvor. Seit
dem Jahr 2000 sichern die Stadt Frankfurt und das Land Hessen sowie
der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der
Kultur und der Medien die Basisfinanzierung. Die Krise, die Annika
Glose, seit 1. Juli 2006 Geschäftsführerin des Orchesterunternehmens,
dennoch ausgemacht hat, ist eine inhaltliche. „Mehr als 30
Jahre nach der Gründung der Jungen Deutschen Philharmonie
prägt dieser ursprüngliche Geist unser Orchester nicht
mehr“, konstatierte sie. Und suchte nach Lösungen, um
das Orchester fit zu machen für die Zukunft. In Absprache
mit dem Orchester engagierte sie die Unternehmensberater Harten
und Breuninger und lud Orchester, Leitungsteam und Experten des
Deutschen Musiklebens zu einem zweitägigen Zukunftskongress
nach Frankfurt ein.
Zur
Konsensdemokratie fähig: Die Orchestermitglieder entscheiden
sich einstimmig für das neue Leitbild. Foto: J. Radsack
Die Orchesterlandschaft hat sich in den vergangenen Jahren stark
verändert. Das Referat von Klaus Mertens, Geschäftsführer
der Deutschen Orchester Vereinigung, DOV, brachte es auf den Punkt:
Seit der Wende habe sich die Zahl der Kulturorchester in Deutschland
von 168 auf 132 verringert. Es seien insgesamt 2.107 Planstellen
für Orchestermusiker weggefallen. Gleichzeitig hat die Junge
Deutsche Philharmonie ihre Alleinstellung verloren. Das Gustav
Mahler Jugendorchester oder das EU-Orchester haben die Junge Deutsche
Philharmonie an Beliebtheit unter den jungen Nachwuchsmusikern überrundet.
Das Modell Junge Deutsche Philharmonie wird zwar in der Öffentlichkeit
nach wie vor positiv gesehen, aber bei den Mitgliedern selbst nicht – das
ergab eine Befragung zum Selbstbild. Es herrscht Mitgliedermangel,
das Netzwerk bröckelt, die Konkurrenz wird größer.
Reformen und Innovationen müssen bei der Junge Deutschen Philharmonie
von der Basis und dem Leitungsteam gemeinsam gewollt werden. Das
ist ihr Prinzip. Aber: Braucht Basisdemokratie eine professionelle
Moderation durch eine Beratungsfirma? Die Berater Klaus Harten
und Eberhard Breuninger vermieden mit ihrer Arbeitsweise, dass
sich im basisdemokratischen Plenum die wortgewandten und „machthungrigen“ Persönlichkeiten
von Anfang an ins Zentrum spielten, und schafften in durch Leitfragen
gesteuerten Arbeitsgruppen erst mal einen intensiven Austausch
zwischen jungen Musikern und Experten. Gerade dieser wurde am Ende
der Veranstaltung von beiden Gruppierungen als wichtiger Erfahrungszuwachs
gewertet.
Zu den Experten zählte auch Karsten Witt, Gründungsmitglied
der Jungen Deutschen Philharmonie und deren Geschäftsführer
von 1979 bis 1987. Sein Kurzreferat unter dem Titel „Modelle
innovativer Orchesterprojekte“ begann er mit der Feststellung:
„
So wahnsinnig viele interessante Modelle innovativer Orchesterarbeit
fallen mir nicht ein. Das, was wir vor 30 Jahren gemacht haben,
ist interessanter und radikaler als das meiste“
Arthur van Dijk, Geschäftsführer des Niederländischen
Jugendorchesters National Jeugd Orkest, stieß ins gleiche
Horn: „Die Jugendorchester sind der konservative Teil des
Musiklebens in Europa. Alle Jugendorchester machen das gleiche.“
Dass sich die Junge Deutsche Philharmonie nicht als Jugendorchester
versteht, sondern als Studentenorchester, darüber herrschte
schnell Konsens. Doch die Grundfragen: Wer sind wir? Wofür
stehen wir? Wo wollen wir hin? boten noch ausreichend Diskussionsstoff.
Harten und Breuninger waren nicht nur gewiefte Moderatoren, sie
bezogen auch Stellung und hielten dem Orchester nach den ersten „Denkeinheiten“ den
Spiegel vor. „Das Orchester muss wollen!“ war
ihre These. Karsten Witt habe vor 20 Jahren das Orchester in einem
Zustand der Überforderung zurückgelassen. Seither sei
keiner mehr da, der sage, was er wolle, und vor allem keiner, der
sagt, wo es lang geht. Basisdemokratie als attraktives Alleinstellungsmerkmal
zu beschreiben, sich dann aber nicht persönlich zu engagieren,
das bedeute die Auflösung des Orchesters. Eine starke Polemik,
auf die auch rasch Reaktionen aus dem Orchester erfolgten.
Roland Diry, Geschäftsführer der Deutschen Ensemble
Akademie und des Ensemble Modern, das vor etwas über zwei
Jahrzehnten aus der Jungen Deutschen Philharmonie hervorgegangen
war, stand
nicht nur als Experte und wichtiger Kontaktmann in die Realität
des Musikbetriebs zur Verfügung, sondern auch als „Sprachrohr“ für
den ebenfalls eingeladenen, aber verhinderten Komponisten Hans
Zender. Im Zentrum von Zenders Vision stand der Wunsch, dass die
Junge Deutsche Philharmonie eine „Schar von Komponisten um
sich versammeln möge“. Auch wenn er sich weiter wünschte,
dass Defizite in der ästhetischen Diskussion endlich nachgeholt
würden, so sah er die Zukunft der Jungen Deutschen Philharmonie
nicht in einer Spezialisierung auf die Moderne. Mit alter und neuer
Musik müsse das Orchester aus dem jeweiligen Werk heraus die
Ideen der Komponisten in die heutige Zeit befördern. Eine
Aufforderung zu Vermittlungsprojekten von unerwarteter Seite konnte
man dort herauslesen.
Standen am Tag eins der Austausch und die Diskussion bis hin
zum Streit zwischen den Generationen im Vordergrund, so brachte
Tag
zwei eine zielgerichtete Formulierung einer Vision, die vom Orchester
einstimmig angenommen wurde:
„Wir werden das Zukunftsorchester sein“, lautet ein Kernsatz.
Mit zukunftsweisenden Programmen will das Orchester höchstes
musikalisches Niveau und eine gute Portion Mut zeigen. Und: Die
Junge Deutsche Philharmonie wird sich stärker nach außen öffnen
und vernetzen. Durch einen intensiven Kontakt zu den Hochschulen
soll das Ausbildungsangebot weiter perfektioniert werden.
Kooperationen mit Profiorchestern sollen für fruchtbaren Austausch
und eine realistische Einschätzung des Berufs sorgen. Es geht
darum, den Musiker bestmöglich auf die zukünftige Berufspraxis
vorzubereiten und ihm dabei ebenso die Chance zu bieten, sich seiner
Ideale zu vergewissern. Hierbei wird auch die pädagogische
Arbeit der Musiker im Bereich der Musikvermittlung eine entscheidende
Rolle spielen. Als wichtigstes vorprofessionelles Orchester Deutschlands
will die Junge Deutsche Philharmonie sich außerdem stärker
als Repräsentant der Bundesrepublik im In- und Ausland engagieren.
Das Orchester hat sich auf dem Frankfurter Zukunftskongress ein
klares Leitbild gegeben – junge Visionäre stellen sich
damit der Realität des Konzertbetriebs. Und ihre Chancen stehen
nicht schlecht.