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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 14
56. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Kinder zum Olymp oder vom Olymp zu den Kindern
Dritter Kongress zur Initiative „Kinder zum Olymp!“ in
Saarbrücken
Erlebt man einen Bus voller Schüler auf ihrem Nachhauseweg
und geht am Abend ins Sinfoniekonzert, käme man wohl kaum
auf den Gedanken, sich die Schülergruppe in den heiligen Hallen
von der Kultur begeistert vorzustellen. Eine Klasse durch den Schulvormittag
zu beobachten, dürfte den Eindruck der Unvereinbarkeit dieser
beiden Welten wohl noch verstärken. Genau diese Verbindung
bundesweit zu intensivieren, ist Ziel der von der Kulturstiftung
der Länder und der Kulturstiftung des Bundes veranstalteten
Initiative „Kinder zum Olymp!“.
Mit der grundsätzlichen Notwendigkeit ästhetisch-kultureller
Bildung hatten sich bereits der Eröffnungskongress 2004 in
Leipzig und – im europäischen Kontext – die Weiterführung
2005 in Hamburg beschäftigt. Nun war es überfällig,
mit dem dritten Durchgang Ende Juni in Saarbrücken konkret
zu werden. Legt die Formulierung „Kinder zum Olymp!“ das
Bild nahe, dass Kindern das Engagement abgefordert wird, den Weg
hinauf zur Kultur zu erklimmen, so richtete der Kongress sein Augenmerk
diesmal auf die umgekehrte Richtung: vom Olymp zu den Kindern – also
auf die Frage, wie der Kulturauftrag der „Kulturanbieter“ ausgestaltet
werden kann, selbst wenn das so manchem in Kulturbetrieb vorkommen
mag, als müsse er Berge versetzen. Gleichwohl wurde auch immer
wieder Grundsätzliches diskutiert und erneut bekräftigt.
Angesprochen wurden dabei sowohl die oft beschworenen Transfereffekte
(Schlüsselkompetenzen und besonders Krea-tivität), dann
aber – gottlob – auch der so entstehende Bezug zur
Kultur selbst. Einigkeit bestand darüber, dass kulturelle
Bildung nicht bloßes Additivum in einer scheinbar satten
Welt sein darf, die nach ganz anderen als kulturellen Maßstäben
funktioniert. Kunst und Kultur bieten etwas Existenzielles, Sinn
gebendes, das gerade Menschen der Zukunft deshalb brauchen, weil
es dem gegebenen Trend eines hauptsächlich ökonomischen
Daseins zuwiderläuft. Es war notwendig und gut das festzustellen,
wie auch die Forderung zu erheben, dass kulturelle Bildung als
zentrale Aufgabe gleichberechtigt neben andere Bildungsbereiche – etwa
die Naturwissenschaften – oder „neben das Faktenwissen“ gestellt
werden sollte, wie es der saarländische Ministerpräsident
Peter Müller formulierte.
Reden sind die eine Seite, Maßnahmen die andere. Von der
Bundesebene auf jedes Bundesland, jede Kommune, jeden Kulturtempel
und jede Schule konkret einzuwirken, ist bei den gegebenen Strukturen
schwierig. So bleibt der Initiative „Kinder zum Olymp!“ der
Weg, die Diskussion wach zu halten, zu mahnen und anzustoßen
und – auch in bewährter Kooperation mit der PwC-Stiftung – positive
Beispiele herauszustellen. In dieser Funktion ist „Kinder
zum Olymp!“ aus der Kultur-Kongresslandschaft nicht mehr
wegzudenken und besitzt durch die ausgeprägte Integration
der entscheidenden politisch-verwaltenden Ebene ein ganz eigenes
Profil. Aus der Perspektive der Musik ist zudem die breite Runde
anderer Kultursparten bereichernd.
Als Grandseigneur unter den Kulturschaffenden vertrat Klaus Zehelein
in Saarbrücken die Ansicht, dass keineswegs die fehlende Erkenntnis
vom Nutzen der Kunst für junge Leute das Problem sei, sondern „die
Kürzungsrealität im Kulturbetrieb“. In der Diskussion
verteidigte er als Hauptanliegen der Künstler die Kunst selbst,
nicht ihre Vermittlung, und er verwahrte sich dagegen, Kunst dahingehend
zu instrumentalisieren, dass sie für junge Leute fassbar werden
müsse. Damit entsprach er allerdings nicht der Mehrheitsmeinung
des Kongresses, die den Vermittlungsaspekt als für die Zukunftsfähigkeit
von Kultur wesentlich betrachtete. Die Frage bleibt: Wie ist die
Vermittlung von Musikkultur
in unserem Land als etwas Selbstverständliches zu etablieren?
Zeheleins Frage „Wenn Orchestermusiker verpflichtet werden,
in der Schule ihre Kunst zu vermitteln, wer wollte da Schüler
sein?“, überzeugte und provozierte die nächste:
Wie erreichen, dass Künstler nicht wollen müssen, sondern
wollen wollen?
Das Umdenken hat begonnen
Auch der Kultusminister des Saarlandes Jürgen Schreier war
der Meinung, dass sich Kulturvermittlung nicht anordnen lasse,
musste aber bemerken, dass er damit im Kongressplenum Unmut erregte.
Darin schien sich zu artikulieren, dass der Kulturbetrieb zum Engagement
bereit ist, aber von der Politik weniger Worte als vielmehr Unterstützung
durch verbesserte Rahmenbedingungen zur Kulturvermittlung in Schulen
erwartet.
Der Kongress zeigte beispielhaft, dass ein Umdenken begonnen
hat. Immer mehr Ensembles und Musiktheater, Konzerthäuser und renommierte
Künstler gehen auf junges Publikum zu und betrachten es als
ihre Aufgabe, ihm erfolgreich Musik zu vermitteln. Beispielhaft
für viele
andere sei das Projekt „Rhapsody in school“ erwähnt,
das in Saarbrücken mit einer Live-Präsentation von Daniel
Hope veranschaulichte, wie gelungene Musikvermittlung aussehen
kann. Hope vertrat dabei eine große und wachsende Zahl von
Künstlern, die sich im Rahmen des Projekts bei musikalischen
Begegnungen in Schulen engagieren und sich selbst und ihre Kunst
persönlich und direkt zur Diskussion stellen. Schaut man auf
die immer weiter wachsende Liste der an der Initiative beteiligten
Künstler, so scheint die Hoffnung nicht unbegründet,
dass von der Spitze des Musikbetriebes her neue Leitbilder dem
künstlerischen Nachwuchs den Weg weisen könnten.
Diese Hoffnung mag unter anderem auch den Präsidenten der
Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Thomas
Rietschel dazu motiviert haben, im Forum zum Wandel der künstlerischen
Hochschulen den Finger auf die Wunde zu legen und festzustellen,
dass die Leitbilder der jungen Studierenden sich auch heute noch
weitgehend am Genievirtuosentum des 19. Jahrhunderts orientieren.
Heute sei verantwortungsbewusste Hochschulausbildung gefordert,
die ein neues, breiteres und zeitgemäßes Selbstverständnis
etablieren müsse, um zukunftsfähige Absolventen zu entlassen.
Musikvermittlung scheint hier als Notwenigkeit erfasst und wird – wie
das vorgestellte Kooperationsprojekt mit Schülern der Frankfurter
Musterschule anschaulich machte – bereits erfolgreich gelebt.
Dennoch ist auch in seinem Haus – so räumt Rietschel
ein – lediglich der Anfang gemacht: Durchgängig integrierte
Musikvermittlung ist ein Prozess, der Zeit braucht.
In den Lehrplänen verankern
Und der Schulbetrieb? Isabel Pfeiffer-Pönsgen, Generalsekretärin
der Kulturstiftung der Länder, freute sich zwar über
die Empfehlung, die die Kultusministerkonferenz erst im Februar
zur kulturellen Kinder- und Jugendbildung verabschiedet hatte,
erklärte aber selbst, dass die eigentliche Aufgabe noch bevorstehe,
den Kulturvermittlungsauftrag in die Lehrpläne der Länder
zu bringen.
Dass von den Lehrplänen aus dann noch ein Weg bis zu den Kindern
zurückzulegen ist, weiß jeder Praktiker. Ganztagsschulen
böten verbesserte Möglichkeiten, es bleibt allerdings
zu hoffen, dass Kulturvermittlung hier nicht nur am Nachmittag
als eine Art Erholungsunterricht von den eigentlich wichtigen Fächern
eingeplant wird, sondern als Essenz von Bildung.