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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 1
56. Jahrgang | September
Leitartikel
Wenn Schutzzonen Todesstreifen werden
Kultur und Kunst im Kartell ihrer Vermarktung · Von Martin
Hufner
„Verklaufen: Jemand will einem etwas, was einem selbst gehört
verklaufen. Im Besitz von etwas sein, was man nicht besitzen kann,
aber jemand anderem, vorzugsweise allen, gehört. Verklauf
ist das zentrale Geschäftsfeld der sogenannten Creative Industries.
Anwendung: Apple verklauft Downloads. Parteien verklaufen politisches
Engagement.“ (Enzyklopädie der Kritischen Masse, Jg.
2005)
Gerade veröffentlichte die SPD ihren vom Parteivorstand verabschiedeten
Leitantrag „Kultur ist unsere Zukunft“, ein umfangreiches
Thesenpapier über die politische und gesellschaftliche Zukunft
Deutschlands. Ein Grund zur Freude eigentlich, auch wenn das Papier
von vielen Seiten bespöttelt worden ist. Kultur wird der SPD
nämlich zur Kernaufgabe politischen Handelns. „Kultur
ist die elementare Basis von Demokratie“, liest man dort
oder: „Kultur ist gleichermaßen Ausdruck wie Voraussetzung
von Freiheit. (…) Kultur und Kunst sind die geistigen Lebensgrundlagen
des Menschen, sie sind Lebensmittel.“
Ein Ansatz, wie die SPD ihn jetzt zu vertreten sich anschickt,
geht auf noch mehr aus. Mit ihm wachsen die Aufgaben einer Kulturpolitik
unermesslich. Es geht „um die Zukunft der Demokratie. Eine
humane Gesellschaft ist nur möglich, wenn öffentliche
Güter ausreichend und in großer Vielfalt bereitgestellt
werden … Öffentliche Museen, Theater, Volkshochschulen,
Stadtbibliotheken und so weiter sind Güter, an denen alle
Bürger ein gemeinsames Interesse haben“. Und von allen
Bürgern übrigens jahrzehntelang gefördert worden
sind, durch öffentliche Abgaben, durch persönliches,
auch ehrenamtliches Engagement und durch Spenden – an sich
emphatisch Volkseigentum. Das Willy-Brandt’sche „Mehr
Demokratie wagen“ heißt explizit „Mehr Kultur
wagen“.
Dagegen scheinen aber die Kunst selbst und ihr Geschäft immun.
Kunst selbst hört in großen Teilen auf, Bestandteil
(produktiver) Kultur zu sein: Überall dort nämlich, wo
das „Gesellschaftsorgan“ Geschäft ersetzend an
die Stelle der menschlich-verletzlichen Organe wie Herz und Gehirn
tritt. Das hat der lange und hartgeführte Kampf um den zweiten
Korb des Urheberrechts deutlich gemacht.
Mit den Reformen des Urheberrechts, auch mit der Form der Auseinandersetzung
selbst, ist das, was man eigentlich als soziales Gut wahrnehmen
sollte, die Musik, weiter auf ihren Teilcharakter eines reinen
Warenguts herabgewürdigt worden. Es stellt sich also die Frage:
Wird unter diesen gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen
Musik nicht asozial und ihr herbeigebeteter positiver Bezug auf
den Menschen zur puren Heuchelei?
Vor kurzem musste die dänische Pop-Band „Die Dodos“ vor
Gericht ziehen, um ihre Plattenfirma daran zu hindern, ihre Musik über
das Internet zu vertreiben. Sony-BMG habe 2002 „per Rundschreiben
allen unter Vertrag stehenden Bands angekündigt, dass das
Unternehmen deren Musik in Zukunft an Online-Musikshops ver-kaufen
wird – auch ohne Zustimmung der Bands“, berichtet der
Informationsdienst iRights.info. Ein klarer Fall von „Verklaufen“,
ausgerechnet durchgeführt von einer Organisation, die nicht
müde wird, an allen Ecken und Enden Raubkopierer zu sehen.
Wo immer Kunst auf Geschäft trifft, gibt es Reibungen, leider
sehr selten nur förderliche.
Anderes Beispiel: In der sogenannten „Frankfurter Mahnung“,
gezeichnet von der Schriftstellergruppe bei ver.di, dem P.E.N.
Deutschland und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels,
offenbart man seine Angst vor den Lesern: „Nur wenn
der Staat diejenigen schützt, die vervielfältigungswürdige
Inhalte schaffen, setzt er die nötigen Anreize dafür,
dass solche Inhalte auch im digitalen Zeitalter noch entstehen
können und in ihre Veredelung und öffentliche Bereitstellung
investiert wird.“ Was die Autoren der Mahnung unter „vervielfältigungswürdige
Inhalte“ verstehen – und vor allem, was sie darunter
nicht verstehen – möchte man besser nicht wissen. Die
implizite Ausgrenzung aller Kunst, die vor allem uneigennützigem,
primär künstlerischem und sozialem Engagement zu danken
ist, können nur ignorante und weltbildschiefe Schreiber-Maschinen
im Büro erdenken. Hier klammert sich Kunst aus der gesellschaftlichen
Verantwortung für Kultur aus, reklamiert eine Schutzzone für
sich, die immer mehr einem gesellschaftlich-künstlerischen,
dafür aber veredelten Todesstreifen sich anverwandelt.
„
Kultur ist ‚unsere‘ Zukunft“, im Sinne eines
Eigentumsvorbehalts, bei dem nur die eigene Vorteilsgewinnung im
Zentrum steht, ist freilich Kennzeichen dieser „Kunst-Kulturen“ ohne
Kultur. Kunst als öffentliches Gut ist etwas anderes. Aber
die steht erst gar nicht zur Debatte. Kunst ist gerade der Verwertungs-Kultur
immer häufiger einfach nur im Wege. Vor kurzem hat Jürg
Bariletti, der Betreiber von Stralau 68, einem Ort für improvisierte
Musik in Berlin, das Handtuch geworfen. Der finanzielle Aufwand
für nicht im Visier der allgemeinen Förderung stehende
Projekte, die künstlerisch in das Unvorherseh- und Unvorhörbare
investieren, scheint musikkulturell nicht vorgesehen und eine angebliche
Komponistenschutzorganisation wie die GEMA wird zum Verhinderer
ihrer Idee, sie „verklauft“ ihre Beteiligten an und
vor sich selbst. „Dauernd müssen kleinere Läden,
die experimentelle Musik machen, aus finanziellen Gründen
schließen, weil die GEMA Druck macht. Die GEMA als Vernichtungsorganisation
der Grundlagen ihrer Musiker. Die Musiker, die Pianisten, die experimentelle
Musik, neue Musik machen, wo haben die noch eine Plattform? Die
wenigen, die es noch gibt, werden systematisch zerstört“,
stellt Jürg Bariletti lapidar in einem Gespräch mit Dietrich
Eichmann fest. Wer freilich die wurzelhaftige, mäandernde
Vielfalt der Künste derartig bürokratisch vernichtet,
der beschädigt, neben der eigenen Glaubwürdigkeit, die
Freiheit von Kunst und die Substanz einer demokratisch verfassten
Kultur tief. Da hilft kein Marketing. Da hilft nur Intelligenz.