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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 7
56. Jahrgang | September
Magazin
Koloraturen ohne Kitsch
Junge Oper Weikersheim mit Rossinis „La Cenerentola“
Die nmz will mit dieser Ausgabe den Fokus auf eines der Leuchtturm-Projekte
der Jeunesses Musicales richten, deren Charakteristikum nicht im
Marktwert großer Namen liegt, sondern in einer kulturellen
Aufbauarbeit, die Nachhaltigkeit entwickeln soll und dies auch
immer wieder aufs Neue getan hat. Seit 1965 ist das Renaissanceschloss
Weikersheim für die sommerlichen Opernaufführungen der
Jeunesses Musicales Deutschland bekannt. In dieser Zeit hat sich
der Internationale Opernkurs Schloss Weikersheim zu einem der renommiertesten
Förderprojekte des Opernnachwuchses auf europäischer
Ebene entwickelt. Dies zeigte sich auch diesen Sommer wieder einmal
an der herausragenden Qualität der Solisten, die seit Monaten
die anspruchsvollen Partien von Gioacchino Rossinis „La Cenerentola“ einstudiert
hatten. Begleitet vom Bundesjugendorchester unter der Leitung von
Alessandro de Marchi absolvierten drei Besetzungen insgesamt neun
Aufführungen auf der Freiluftbühne im Schlosshof. Eine
Kritik der Aufführung auf dieser Seite. Über die Arbeit
mit dem Bundesjugendorchester informiert Sie der untenstehende
Werkstattbericht.
Ensemblefinale.
Foto: Jeunesses Musicales Deutschland
Alessandro de Marchi gelang es, „La Cenerentola“ so
leicht und federnd wie eine Barockoper klingen zu lassen, ohne
das überschäumende Temperament der jungen Musiker zu
sehr zu strangulieren. Ähnlich einem Barockorchester stellte
er die Klangfarben und Schärfen einzelner Instrumentengruppen
heraus, insbesondere dort, wo die Orchesterstimmen die Solistenmotive
vorwegnehmen oder zitieren.
Und wer mit Rossini etwa gar Kitsch in Verbindung bringt, den
belehrte die Inszenierung von Dominik Wilgenbus eines Besseren.
Aschenputtel
lehnt sich auf gegen ihr Schicksal als Leibeigene der eigenen Familie.
Ihre unterwürfige Putzwütigkeit und ihre kostbaren Koloraturen
sind das Kapital, das sie verzweifelt, aber mit perfektem Gespür
für den richtigen Adressaten ins Spiel bringt.
Aschenputtel 2007 ist ständig im Status-Stress, und auch die
Kopftuchdebatte wurde hier aus mitteleuropäischer Sicht neu
beleuchtet: das Kopftuch als das Attribut der Verlierer im Kampf
um den sozialen Aufstieg. Nachdem dieser gelungen ist, gibt Cenerentola
ihres an ihre Schwestern und den Vater ab und damit auch die Erniedrigung.
Zumindest vorübergehend, denn indem sie ihnen das Kopftuch
wieder abstreift, beweist sie die edle Größe, die man
im Theater als moralischer Anstalt auch erwartet.
Dragana Stankovich überzeugte als Cenerentola mit einem expressiven
Mezzosopran, der keine Nuance feinster Verzierungskunst ungehört
ließ. Sie mag als Beispiel dafür gelten, wie hoch das
Niveau der jungen Sänger heute geworden ist – dies gilt
ausnahmslos für alle Kollegen, die an diesem Abschlussabend
mit ihr auf der Bühne standen. Insbesondere Rita Alves und
Hanna Larissa Naujoks als Clorinda und Tisbe überzeugten durch
ihre Stimmen und trieben mit schauspielerischem Talent die Handlung
voran. Sie spielten die Babydolls auf Männerjagd mit viel
Witz und Sex-Appeal – Ingrid Steeger und Marylin Monroe hätten
es nicht besser gemacht – nur dabei nicht so perfekt Belcanto
gesungen.
Auch Daniele Macciantelli als Alidoro und Hyung Min Lee als Don
Magnifico überzeugten in ihren Partien. Tim Cornelius Stolte
erwies sich nicht als der geborene Rossini-Sänger, machte
dieses Manko aber durch einen klangschönen Bariton und ein
das Publikum mitreißendes Schauspiel wett. Die Tenorstimme
von Marco Mustaro (Don Ramiro) wäre für Barockmusik sicher
geeigneter als für romantisches Repertoire – insbesondere
der Akustik des Schlosshofes war sein Tenor nicht immer gewachsen.
Musikalisch aber auch er – erstklassig.
Da an dieser Stelle nur eine von drei als mehr oder weniger gleichwertig
gehandelten Sängerbesetzungen besprochen werden kann, noch
einige Worte zum Auswahlverfahren 2007, das Vor- und Nachteile
mit sich brachte.
Die Veranstalter hatten die bisher geübte Praxis verworfen,
den aus ganz Europa anreisenden jungen Solisten im Stile professioneller
Opernhäuser kurze Vorsingen abzunehmen. Dominik Wilgenbus
und Götz Hellriegel machten dagegen seit November 2006 in
mehreren Workshopterminen die Sänger fürs Vorsingen fit.
Das Positive: Auch für die nicht angenommenen hatte sich die
Anfahrt gelohnt, und das abschließende Vorsingen konnte auf
einem sehr hohen Niveau durchgeführt werden. Einzelne Partien
wurden sogar dreifach besetzt. Gerade daraus entstand aber auch
ein Nachteil: Welche Besetzung sollte denn nun die Premiere singen,
wer war A-, B- oder C-Besetzung? Und wenn sich dann auch noch Dirigent
de Marchi und der künstlerische Leiter des Opernworkshops,
Patrick Bialdyga, nicht einigen können, entsteht hier unnötiger
Stress für die Solisten, von denen selbstverständlich
keiner als B- oder gar C-Sänger abgestempelt werden will.
Auch wenn hier noch Verbesserungsbedarf besteht: Dirigent Alessandro
de Marchi hatte die komplizierte „Maschine“ Rossini-Oper
immer fest im Griff und ließ seinen jungen Protagonisten
dennoch den Freiraum, der nötig ist, damit große Kunst
entsteht. Die Arbeit mit einem Jugendorchester war für ihn
Premiere. Dass er seine jungen Musiker genauso forderte wie sonst
seine Profis, war nicht zu deren Schaden. Die Junge Oper Weikersheim
steht schließlich für Spitzenförderung. Wer hier
besteht, der bleibt kein Aschenputtel des Musikbetriebs.