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Ausgabe 2007/09
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Konzerte für KinderKonzerte für Kinder

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nmz 2007/09 | Seite 11
56. Jahrgang | September
Praxis: Konzertvermittlung

Standardprodukte aus dem Vertreterkoffer unerwünscht

Im Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin nehmen Musiker die Vermittlungsarbeit selbst in die Hand · Von Rudolf Döbler

Ein Bauernhof, eine Krankenkasse, klassische Musiker und zwei Schulklassen gemeinsam auf einer Verbrauchermesse für Ernährung – das scheint so wenig zusammenzupassen wie ein Nilpferd und eine Weinbergschnecke in der Sahara. Und doch handelt es sich hier um ein – zugegebenermaßen sehr exotisches – Projekt der Musikvermittlung. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) entwickelte zusammen mit der Projektagentur des Lehrbauernhofs Domäne Dahlem ein Projekt „Ernährung – Bewegung – Musik“ und präsentierte dieses auf der Internationalen Grünen Woche 2007 in Berlin. Zu einem Rondothema von Mozart, live gespielt von vier Musikern des Orchesters, wurde mit den Schülern ein Bodypercussion- und Bewegungsmuster einstudiert, dieses mit Wörtern aus der gesunden Ernährung unterlegt und schließlich in eine „Küchenmusik“ mit Utensilien aus der Lehrküche umgewandelt.

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Tanz- und Theaterprojekt an der Gesamtschule im Brandenburgischen Glöwen. Foto: Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

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Bild vergrößernTanz- und Theaterprojekt an der Gesamtschule im Brandenburgischen Glöwen. Foto: Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

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Dieses Projekt ist symptomatisch für unsere Education-Arbeit: Es entstand durch persönlichen Kontakt mit einer Institution vor Ort und berücksichtigt die individuell vorhandenen Gegebenheiten. Es benötigt keinen größeren Aufwand (für das RSB: Ausarbeitung der Idee und vier Musiker); es eröffnet die Möglichkeit einer kontinuierlichen Zusammenarbeit; es berücksichtigt eine soziale Komponente: die Projektagentur hilft Langzeitarbeitslosen, sich ins Arbeitsleben zu reintegrieren; außerdem bringen die eingeladenen Schulklassen Kinder aus dem sozial schwachen Bezirk Neukölln und dem eher wohlhabenden Bezirk Zehlendorf zusammen. Und nicht zuletzt entspricht es – trotz aller Exotik – dem Leitsatz des RSB: „Das Wesentliche ist die Musik.“ Erstes Anliegen für all unsere Education-Projekte ist es, Zugänge zu klassischer Musik zu bieten – also Musikvermittlung als Mittel, und nicht als sich selbst genügendes Entertainment einzusetzen.

In Form von Probenbesuchen sowie Kinder- und Familienkonzerten hat sich das RSB schon immer um die Vermittlung von Musik an Kinder und Jugendliche gekümmert. Dazu gehört auch die Deutsche Streicherphilharmonie, in der schon seit mehr als 30 Jahren hochbegabter Streichernachwuchs von RSB-Mentoren betreut wird, sowie seit 2002 die Orchesterakademie des RSB, in der Studenten der Musikhochschulen Praxis und Theorie des Orchesterspielens lernen. Angeregt durch die sich seit dem Jahr 2000 formierende Education-Bewegung in Deutschland und aus der zunehmenden Notwendigkeit heraus, Brücken zu klassischer Musik zu schaffen, um zukünftiges Publikum zu generieren, haben auch wir unsere Maßnahmen im Bereich der Musikvermittlung verstärkt und neu überdacht. Als Schulbeauftragter und Flötist des RSB betreue ich diese Aktivitäten seit 2005.

Die Initialzündung für meine Begeisterung, als Musiker in Schulen zu gehen, gab mir der viel erwähnte Film „Rhythm is it“. Das darin enthaltene kreative Potenzial, verbunden mit einer Erweiterung der sozialen Bedeutung unserer Arbeit als Musiker, ließ mich nicht mehr los. Im April 2005 sprang ich ins „kalte Wasser“ mit einer Projektwoche in der Lenau-Grundschule in Berlin-Kreuzberg. Es ging darum, die Kinder für Klang zu sensibilisieren und mit einfachen Instrumenten vertraut zu machen. Durch Improvisationsspiele übten wir gemeinsam Schritt für Schritt Grundlagen des Musizierens. Klangliche Möglichkeiten und Strukturen wurden erforscht, kleine Stücke improvisiert, und zum Abschlussfest der Projektwoche sollte ein gemeinsam erfundenes Stück aufgeführt werden. Dazwischen gab es einen Probenbesuch beim RSB.

Es war wunderbar, zu erleben, wie die Schüler zunehmend mutiger wurden, auch Ungewöhnliches auszuprobieren. Mangels Disziplin schien es am ersten Tag unvorstellbar, wie diese 21 Kinder jemals ein gemeinsames Musikstück zustande bringen sollten. Nach fünf Tagen wurde das Unvorstellbare Wirklichkeit. Die Schüler lernten in dieser Woche viel darüber, was es heißt, klassische Musik zu spielen, und wie diszipliniertes Verhalten in gemeinsamer Verantwortung auch zum individuellen Erfolgserlebnis führen kann. Ich selbst lernte, vor einer Klasse zu stehen, über meine Arbeit zu sprechen und Kinder durch praktisches Ausprobieren für Musik zu begeistern. Mein Wirkungskreis und Selbstverständnis als Musiker war erheblich erweitert: Neben dem gesellschaftlichen Wert, den unser Beruf in der Pflege musikalischer Hochkultur hat, gibt es nun noch einen konkreten lebendigen unmittelbaren Sinn, der sofort spürbar ist.

Müsste das nicht auch für andere Orchesterkollegen gelten? So organisierten wir einen Workshop „Orchestermusiker ins Klassenzimmer – Wege der Begeisterung“ für die Musiker des RSB. Zehn Kolleginnen und Kollegen nahmen teil und freuten sich, auf diese Weise Mittel an die Hand zu bekommen wie man Schüler auf praktische Weise für klassische Musik begeistern kann. Dass hier großes Interesse vorhanden war und nur die Hemmung, vor einer Klasse zu stehen und mit Schülern umzugehen, überwunden werden musste, zeigte der große Wille der Kollegen, das Erlernte gleich praktisch auszuprobieren. Wir gingen parallel in fünf Klassen einer Grundschule in Berlin-Lichtenrade und luden 2 Wochen später die gut 100 Schüler in eine Probe des RSB ein.

Die Vielfalt, in der sich unsere Aktivitäten der Musikvermittlung bewegen, ergibt sich aus der Praxis heraus. Das RSB will den Schulen keine vorgefertigten Musikvermittlungs-Produkte aufzwingen. Die Qualifikation der Lehrkräfte und der Bedarf jeder Schule ist sehr unterschiedlich. Qualifizierte Lehrer reagieren nach unserer Erfahrung sehr empfindlich und ablehnend, wenn Orchester Workshopinhalte bieten, die die Lehrer lieber selbst mit ihren Schülern erarbeiten. Deshalb versuchen wir, die Situation und die Wünsche der Schule mit den Anregungen und Ideen des RSB abzustimmen. Daraus werden für jede Schule individuelle Projekte entwickelt. Letztendlich entspricht dies auch einer Wertschätzung der kontinuierlichen Arbeit der Lehrer, die wir nicht ersetzen können. Die Frage, ob Musikvermittlung eines Orchesters nicht lediglich die Education-Arbeit der Berliner Philharmoniker imitiert, stellt sich für uns gar nicht.

Ein Beispiel für einen sehr intensiven Beitrag des RSB zu einem Schulprojekt war oben erwähnte Projektwoche. Anders verhält es sich mit dem Gerhart-Hauptmann-Gymnasium in Berlin-Friedrichshagen: Die sehr engagierte Musiklehrerin dort entwickelte mit ihren Schülern Improvisationen zu Berlioz’ „Symphonie Fantastique“. Hier wurden RSB-Musiker lediglich ergänzend hinzugezogen, um die vorhandenen Improvisationsideen weiterzuentwickeln und zusammen mit den Schülern im Konzerthaus aufzuführen.

Bei unserem langjährigen Partner, der Gesamtschule Glöwen (Brandenburg) liegt der Schwerpunkt auf darstellenden Künsten: Kontaktperson und Initiatorin auf Schulseite ist hier eine Kunstlehrerin. Ein Jahrgang wird von der 6. bis zur 10. Klasse vom RSB mit einem Projekt pro Jahr begleitet. Musiker und Dramaturg fahren in die Schule; die Schüler entwickeln mit ihren Lehrern fächerübergreifend ein Kreativprojekt (Tanzprojekt, Theater), besuchen Proben des RSB und präsentieren das Ergebnis in ihrer Schule und in Berlin. Mittlerweile wird diese Zusammenarbeit durch das ARTuS!-Projekt des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg erweitert: für drei Jahre werden nun auch zwei darstellende Künstler mit den Schülern arbeiten.

Die Kooperation mit der Gesamtschule Glöwen ergab sich aus dem persönlichen Engagement eines Musikerkollegen. Unsere Erfahrungen zeigen, wie wirkungsvoll Education-Arbeit sein kann, wenn sie aus dem Orchester heraus geschieht. Wir Musiker sind das Orchester, und nur wir können glaubhaft vertreten und vermitteln, was wir täglich tun. Dies kann kein externer Education-Trainer, wenngleich ein Training der Musiker für die Arbeit mit Kindern sinnvoll und notwendig ist.

Sogar die Moderation von Kinderkonzerten übernehmen beim RSB zwei schauspielerisch geschulte Musiker. Die inhaltliche Konzeption erarbeitet eine Kommission aus drei Orchestermusikern. In der Saison 2007/08 wenden wir uns an die Zielgruppe der 8- bis 12-Jährigen, für Erwachsene ist die RSB-Reihe „Feuerstein führt Klassik ein“ mit Herbert Feuerstein konzipiert. Beide Reihen verwenden dieselbe Musik in völlig unabhängigen Konzepten und Zusammenhängen.

Dass Musikvermittlung das Selbstverständnis vom Musikerberuf erweitern und bereichern kann, wurde bereits erwähnt. Und was nützt sie dem Orchester als Ganzes? Wie viele von den Kindern, die durch unsere Workshops mit uns in Kontakt kommen, werden später ins Konzert kommen? Diese Frage ist zwar nahe liegend, meiner Meinung nach aber zu klein gestellt. Musikvermittlung ist über das Anliegen nach Publikumszuspruch hinaus ein wichtiges Element zur Verankerung des Orchesters in der Gesellschaft, vergleichbar der Corporate Social Responsibility (CSR) von Wirtschaftsunternehmen. Über mediale Aufmerksamkeit findet die soziale Bedeutung der Musikvermittlung – und damit des Orchesters – noch viel mehr Adressaten als nur die eigentlichen Teilnehmer an Workshops und Probenbesuchen.

Vor einiger Zeit organisierte ich einen Orchestertag mit einem weiteren Partner des RSB, dem Jugend-Sinfonieorchester Marzahn-Hellersdorf. Die jungen Musiker hörten bei einer Probe zu, anschließend sollte eine Stunde gemeinsam mit dem RSB musiziert werden. Zunächst war die Begeisterung unserer Profimusiker verhalten. Nach der Probe glitzerten die Augen nicht nur bei den jugendlichen Musikern. Kollegen kamen auf mich zu: „Das hat uns so viel Spaß gemacht – das wollen wir öfter tun“. Also los!

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