nmz 2007/09 | Seite 24
56. Jahrgang | September
Musikbildung
Alte Musik für junge Leute
Ein Jahr Jugendbarockorchester „Bachs Erben“ an der
Landesmusikakademie Sachsen-Anhalt
„Wer spielt mit ,Stadt–Land–Fluss‘?“, „Kennst
Du die Aufnahme mit Hogwood? – Total krass ...“, „Wer
will ein Kaugummi?“ – ganz klar: klassische Gesprächsfetzen
eines Jugendorchesters auf Reisen. Auf den ersten Blick ein ganz
normales Jugendorchester, auf den zweiten dann doch etwas besonderes:
kein Blas-, Streich- oder Zupforchester, das da im Bus von Michaelstein
im Harz über Madgeburg nach Berlin fährt, sondern „Bachs
Erben“. Es ist das Jugendbarockorchester, das von der Ständigen
Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik e.V., einer Institution, die
sich der Förderung der Barockmusik verschrieben hat, und der
Landesmusikakademie Sachsen-Anhalt im Jahr 2006 ins Leben gerufen
wurde. Nach seiner zweiten Sommerarbeitsphase Anfang August 2007
präsentierte
es nun sein Programm im Kloster Michaelstein, in der Magdeburger
Konzerthalle „Georg Philipp Telemann“ und in der vollständig
ausverkauften Nikolaikirche in Berlin.
Wie kommt man überhaupt auf die Idee, ein Jugendspezialensemble
für Barockmusik zu gründen? Da war zum einen die Motivation
der Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik, junge
Musiker auf besondere Weise an das historische Erbe heranzuführen,
zum anderen die lange Erfahrung, die das Kloster Michaelstein mit
der Organisation von Kursen zur Aufführungspraxis Alter Musik
hat und nicht zuletzt die Initiative der Berliner „Akademie
für Alte Musik“, eines der weltweit renomiertesten Spezialensembles, „Alte
Musik für junge Leute“ mit Leben zu füllen.
„
Alte Musik“ hat die 30 Teilnehmer im Alter von 13 bis 20
Jahren infiziert, sie kommen aus Musikschulen, Spezialschulen oder
stehen kurz vor dem Studium, da treffen Sachsen auf Badenser, Brandenburger
auf Niedersachsen, und so entstehen über die Barockmusik ganz
nebenbei Kontakte quer durch die Bundesrepublik.
Der Tagesplan der Sommerphase im Kloster Michaelstein ist prall
gefüllt: Stimmproben am Morgen, intensive Kammermusik am Nachmittag – denn
was schult die Ohren besser –, Tutti am Abend, und das in
wechselnder Reihenfolge. Nicht wenigen war das noch nicht genug:
Bis Mitternacht saßen Unermüdliche zusammen und musizierten,
diskutierten mit und ohne Dozenten, über Musik, über
Einspielungen und historische Traktate. Für einige sind die
musiktheo-retischen Werke von Quantz, Mattheson und C.Ph.E. Bach
zur Standardlektüre geworden und untermauern das, was sie
praktisch in der Arbeit mit Raphael Alpermann oder Stephan Mai
umsetzen. Inzwischen spielen viele von ihnen mit einem Barockbogen,
haben die Instrumente mit Darmsaiten bespannt. Die Cellisten verzichten
auf den Stachel und erfahren so wie dynamisch Cellospiel in der
Barockmusik werden kann.
Und doch gibt es noch viel zu lernen: „Einige haben hier
wohl das erste Mal in ihrem Leben eine wirklich reine Terz gehört“,
so Raphael Alpermann, nachdem er – im Anschluss an die reguläre
Probe – einen ausführlichen Vortrag über Stimmungen
gehalten hatte.
Für die Sommerphase war die Nachfrage höher als die möglichen
Plätze, denn viel mehr als 30 Musiker verträgt ein Kammerorchester
dieser Art nicht, zumal es – historisch authentisch – ohne
Dirigent spielt: Ansporn für die je nach Stück wechselnden
Konzertmeisterinnen und Konzertmeister. Wenn ein Werk jedoch einmal
einen Einsatz vom Bass erfordert, dann gibt auch einer der Cellisten
den Einsatz – und das Orchester reagiert genauso präzise
und kraftvoll. Die 24 Streicher werden ergänzt durch 6 Cembalisten,
die sich die Continuoarbeit teilen und mitunter direkt aus dem
bezifferten Bass spielen.
Und was ist mit der „Einbahnstraße Barockmusik“?
Schließlich stehen die jungen Musiker ganz am Anfang einer
eventuellen Musikerkarriere. Birgt eine allzu frühe Spezialisierung
nicht die Gefahr einer Sackgasse? Die Dozenten haben das sehr wohl
im Blick. Ihnen geht es nicht um Schmalspurmusiker, sondern darum,
dass diese Jugendlichen mit einer anderen, tieferen Erfahrung mit
dem Farbenreichtum der Barockmusik wieder auseinandergehen. Sachsen-Anhalts
Landtagspräsident Dieter Steinecke übernahm Anfang 2007
die Schirmherrschaft über „Bachs Erben“ und ließ das
Orchester zu einem Konzert aus Anlaß des Festaktes zum Tag
der Deutschen Einheit verpflichten – eine Herausforderung,
auf die sich das junge Orchester sehr freut.
Die letzten Töne von Bachs Motette im Berliner Konzert sind
verklungen, gegenseitig signierte Konzertplakate werden als Erinnerung
ausgetauscht und beim Abschied liegen sich die Jungen und Mädchen
in den Armen: ein ganz normales Jugendorchester
eben ...