nmz 2007/09 | Seite 24
56. Jahrgang | September
Musikbildung
Singen mit Kindern
Ein Arbeitsschwerpunkt der Landesakademie Ochsenhausen
Seit mehreren
Jahren wird im Bereich der Kindergärten und
Kindertagesstätten ein zunehmender Verlust der Sprech- und
Singfähigkeit vieler Kinder festgestellt. Dabei ist diese
Entwicklung schon seit Jahrzehnten im Gange, jedoch werden die
Folgen dieses schleichenden Erosionsprozesses erst in den letzten
Jahren publizistisch aufgegriffen. Unter andererm bescheinigte
2001 Hermann Rauhe unserer Alltagskultur des Singens den Stand
eines Entwicklungslands und Stefan Klöckner beschrieb im Kielwasser
des Pisaschocks die Situation wie folgt: „Deutschland scheint
nicht nur zu verdummen, es verstummt auch, zumindest was das Singen
betrifft“ (FAZ, 14.02.2005). Die Gründe für diese
Entwicklung sind vielfältig und hinlänglich bekannt (Verwerfungen
der Familienstruktur, Migrationshintergrund, Verwahrlosungstendenzen,
Anforderungen der Leistungsgesellschaft, Überforderung der
Familien und andere). In Deutschland kommt ein kulturgeschichtliches
Spezifikum hinzu, welches mit dem Missbrauch des Singens im 3.
Reich zusammenhängt und in der Folge der 68-er Jahre im Slogan „Singen
macht dumm, viel Singen macht noch dümmer“ seinen populistischen
Ausdruck fand.
Parallel zu der zunehmenden
Zahl mahnender Artikel über den Rückgang des Singens
haben in den letzten Jahren, gleichsam im Gegenzug, eine Vielzahl
an wissenschaftlichen Veröffentlichungen die positiven Auswirkungen
des Singens und des Musizierens auf die gesunde Entwicklung des
Kindes herausgestellt, zum Beispiel die positiven Effekte im Bereich
der Persönlichkeitsentwicklung, der Sprachentwicklung, der
kognitiven und koordinativen Entwicklung sowie im emotionalen Verhalten
(abgesehen von positiven Einflüssen für die psychische
und physische Gesundheit). Singen, Tanzen, Musizieren sind für
Kinder elementare Formen der Selbstdarstellung, wobei Musik, Sprache
und Bewegung als Einheit erlebt wird. Gerade im Hinblick auf Spracherwerb
und fremdsprachliches Lernen im Kindesalter wird der Musik und
dem Singen eine zentrale Bedeutung zugemessen (vgl. Ernst W. Weber,
Die vergessene Intelligenz, Zürich 1999). Auf dieser Folie
betrachtet wird Singen und Musik zum zentralen Schlüssel für
eine erfolgreiche Teilhabe an den Bildungssystemen in Deutschland.
Aus diesem Grund hat die Landesakademie für die musizierende
Jugend in Baden-Württemberg vor mehreren Jahren einen ihrer
fachlichen Schwerpunkte auf die Verbesserung von Angeboten für
das Themenfeld „Singen mit Kindern“ fokussiert. Mit
einem Bündel von Maßnahmen versucht sie dabei, für
die unterschiedlichsten Ausgangssituationen in Kindergarten und
Grundschule Anregungen zu geben. So werden Tagesseminare für
Erzieherinnen und Erzieher zum Thema „Singen und Sprechen
im Kindergarten“ angeboten, welche sowohl das Problem der
so genannten „Brummer“ und „Quieker“ behandelt,
als auch Übungen zur Hör-Wahrnehmung beinhaltet. Oftmals
gehen dabei grundsätzliche Erfahrungen mit der eigenen Sprech-
und Singstimme für die Kursteilnehmer voraus, um sich dann
in einem zweiten Schritt mit der Diagnose von Kinderstimmen auseinander
zu setzen. Neben diesen fachlichen abgegrenzten Tagesseminaren
gibt es eine Vielzahl an Seminaren, welche das Thema „Singen
und Sprechen“ in Verbindung mit Bewegung bringen, so Seminare
zu Tanz- und Spielliedern, zu indianischen und afrikanischen Liedern
und einiges mehr. Von besonderem Interesse haben sich in den letzten
Jahren Seminare entwickelt, welche den Übergang vom Kindergarten
in die Grundschule thematisieren. Gerade die Einrichtung von Bildungshäusern
im Südwesten, welche eine kontinuierliche Bildung vom 3. bis
zum 10. Lebensjahr unter möglichst enger Verzahnung von Kindergärten
und Grundschulen ermöglichen soll, machen diese Seminare für
die Zukunft besonders interessant. Hier wird der Schwerpunkt auf
die Trias Musik – Bewegung – Sprache gelegt, um den
Kindern einen ganzheitlichen Ansatz des Umgangs mit ihrer eigenen
Musikalität zu ermöglichen. Parallel dazu engagiert sich
die Landesakademie bei der schulbegleitenden Mentorenausbildung
für angehende Erzieher/-innen, welche in Zusammenarbeit mit
dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, zahlreichen
Musikverbänden und der Stiftung Singen mit Kindern durchgeführt
werden. Darüber hinaus werden in Zusammenarbeit mit kirchlichen
Institutionen Aufbaulehrgänge für Kinderchorleitung angeboten
und in Zusammenarbeit mit mehreren Stiftungen eigenständige
Fort- und Weiterbildungskonzepte für den Kindergarten- und
Kindertagesstättenbereich entwickelt.
Neben der Seminararbeit
hat sich die Landesakademie in den letzten Jahren verstärkt
durch publizistische Aktivitäten für
den Bereich engagiert. Neben dem Standardwerk für die Kinderstimmbildung „Sing-Sang-Song“ (Carus-Verlag)
wurde im letzten Jahr ein kommentiertes Verzeichnis von Kinderchorliteratur
unter dem Titel „Stück für Stück nach Bethlehem“ (ebenfalls
Carus-Verlag) veröffentlicht. Ein Folgeband für die Kinderstimmbildung
ist in Vorbereitung. Diese Maßnahmen werden durch Kompositionsaufträge
ergänzt, welche speziell für den Bereich Kinderchor vergeben
werden. Mit dem Adventstück „Großer Stern, was
nun?“ von Peter Schindler wurde hier ein erster Schritt nach
vorne getätigt.
Weitere Kompositionsaufträge an Uli Führe und andere
sind in Vorbereitung. Auch wissenschaftliche Fachkongresse werden
zu dieser Thematik seit mehreren Jahren in Ochsenhausen durchgeführt.
Themenschwerpunkte sind dabei Singen mit Kindern, elementare Musikalisierung
bei Kindern und Jugendlichen und die Stärkung der Musikvermittlung
im Grundschulbereich. Dabei wurde und wird immer auf eine interdisziplinäre
Betrachtung der Themenfelder Wert gelegt. Neben den Kongressen
im Jahr 2004 und 2006 wird im Jahr 2008 in Zusammenarbeit mit dem
Arbeitskreis Elementare Musikpädagogik (AEMP) vom 25.04.–27.04.
ein großer Kongress unter dem Titel „Musik bewegt Kinder – Perspektiven,
Modelle, Ansätze“ durchgeführt.