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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 47
56. Jahrgang | September
Bücher
Die transatlantische Operette
Vom Flirt des Operettenkomponisten Emmerich Kálmán
mit dem Broadway
Kevin Clarke: „Im Himmel spielt auch schon die
Jazzband“.
Emmerich Kálmán und die transatlantische Operette
1928–1932, von Bockel Verlag, Hamburg 2007, 592
S., Abb., Notenbsp., € 48,00,
ISBN 978-3-932696-70-1
Ein dickes Buch, das sich aber flüssig liest. Gewiss Gelehrsamkeit,
wie es sich für eine Dissertation gehört, doch kommt
sie höchst munter daher. Provokativer Blick aufs Thema: Kálmán
nicht als der „Pusztakomponist“ – das ungarische
Element in seiner Musik sei nur ein persönlicher „touch“,
weiter nichts –; vielmehr wird sein Flirt mit dem Broadway
herausgestellt. Kálmán gipfelt 1928 in seiner hier
ausführlich analysierten Operette „Die Herzogin von
Chicago“. Sie war zwar sein „Lieblingskind“,
aber auch Anlass für die größte Niederlage seiner
Laufbahn als Erfolgskomponist.
Sowohl die Innovationen als auch der parodistische Hintersinn
wurden Kálmán gar nicht honoriert. Wie eines der Kapitel überschrieben
ist: Parodie als „Kassengift“! Auch trug das Ränkespiel
der Wiener Theatermafia zum Desaster bei.
Kálmán geht den Weg der „Verjazzung“ nicht
weiter. „Ein Veilchen vom Montmartre“ (1930) reflektiert
zwar durchaus Gegenwartsprobleme – Arbeitslosigkeit und Armut –,
bandelt aber mit dem Kitsch an. Für Clarke kein Schaden, denn
er sieht im Kitsch ein „rebellisches Produkt der Moderne“,
wenn nur die „Ironiesignale“ entdeckt werden! In diesem
Sinne ist für ihn auch der „Teufelsreiter“ (1932),
Kálmáns letzte große Wiener Premiere, eine
aufwändige Kostümoperette mit dem höchstpersönlich
auftretenden Fürsten Metternich, entgegen dem äußeren
Eindruck geradezu ein „Parodieparadies“.
Fesselnd, wie Clarke es versteht, die Substanz der Werke auch
von der Aufführungspraxis her zu entschlüsseln. Wie die alten
Tondokumente zeigen, übten sich die Sänger in einem dem
Musical nahen „sprechenden Singen“. Auf Kálmáns
Musikfilm „Ronny“ bezogen, spricht Clarke treffend
von einer „amüsierten Distanz“ des Vortrags. Abgesehen
von der Ächtung der Autoren wurde in der Nazizeit versucht,
die Operette auf das Piedestal der Oper zu hieven. Die Stilpraxis
saß fest und wurde später auch auf die Rehabilitation
der verfemten Stücke angewandt – Witz und Ironie blieben
dabei weitgehend auf der Strecke.
Clarke hat die noch lebenden Zeitzeugen interviewt und plaudert
oft, wie man so sagt, aus dem „Nähkästchen“.
Und doch sind die Intimissima bis ins Sexualleben hinein aufschlussreich
für die Wendungen in Kálmáns Biographie. Zu
seinen Lebzeiten erschienen eher nur Heldenbeschreibungen. Es ist
Clarkes Verdienst, hier mit Legenden aufgeräumt zu haben.
Die Nazizeit machte dem Austausch über den Atlantik hinweg
ein baldiges Ende. Freilich funktionierte er auch in der umgekehrten
Richtung: von Europa aus in die USA. Floss doch ins Musical auch
viel von den kontinentalen Operetten ein, und von Gershwin bis
hin zu Frederick Loewe „wienert“ es zuweilen gewaltig!