[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 47
56. Jahrgang | September
Bücher
Verfall, Geschäftemacherei und Zerstörung
Die traurige Geschichte vom DDR-Rundfunkgelände an der
Nalepastraße
Andreas Göx/Hannes Wanderer: Die Rote Burg.
Das Rundfunkgelände
an der Nalepastraße, Peperoni Books, Berlin 2007, 174 S.,
185 Fotos, € 40,00, ISBN: 978-3-9809677-3-0
Schöneweide an den Ufern der Spree, industrialisiert um 1890,
ist reich an ausgedienten Betrieben mit heute seltsamer Nutzung.
Zu ihnen gehört auch ein Areal jüngeren Datums, wo hauptsächlich
Immaterielles entstand – woran ein opulenter Fotoband jetzt
zu erinnern versucht. Die Abbildungen vermitteln den Werdegang
einer Architektur, die Anfang der 1950er-Jahre in speziellem Auftrag
entstand und deren Funktion am 3. Oktober 1990 politisch erlosch.
Die Rede ist vom opulenten Gebäudekomplex in der Nalepastraße
im Berliner Stadtbezirk Treptow-Köpenick, wo bis Ende 1991
der Staatliche Rundfunk der DDR mit seinen zuletzt sechs Programmen
ansässig war. Architekt Franz Ehrlich – ein Überlebender
des KZ Buchenwald, der in den 20er-Jahren bereits am Funkhaus Masurenallee
mitbaute – hatte hier sein Meisterwerk vorgelegt. Das Kernstück,
die aus rotem Backstein gemauerten Gebäude Block A, Block
B und Block C, gehört stilistisch zur Nachmoderne. Jahrzehntelang
liefen hier – Andreas Göx und Hannes Wanderer belichten
den Zustand fünfzehn Jahre nach Stilllegung – mehrere
Aufnahmesäle, der legendäre Hörspielkomplex sowie
Redaktions- und Sendestudios im Dauerbetrieb. Effektiv sortiert
die Architektur Technik, Journalismus und Kunst. Baracken und Säle,
die unendlichen Flure, die Studiokomplexe wirken sehr funktional;
deutlich wird eine heute undenkbare Großzügigkeit.
Wiewohl die praktische Nutzung im Auftrag des Rundfunkkomitees
beim DDR-Ministerrat unstrittig ist, fällt eine Doppelfunktion
schnell ins Auge. Was hier in einem der einst modernsten Hörfunkkomplexe
Europas auf Sendung ging, hatte zweifellos als Leit- und Begleit-Medium
realsozialistischen Alltags zu dienen. Zugleich fanden akustische
Kunst- und Musikproduktionen keinesfalls nur in Nischen statt – was
allein der LP-Katalog des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin und
zahllose hochkarätige Hörspielprodukte belegen. Noch
Herbert Grönemeyer, Daniel Barenboim sowie Sting fanden die
Akustik beachtlich und haben in den 90ern hier CDs produziert.
Die 185 Fotos, die der Bildband versammelt, beleuchten von alledem
bestenfalls Reste. Ihr gemeinsames Thema ist Leere und Destruktion.
Der fotographische Blick in überstürzt und inmitten der
Arbeit verlassene Räume weckt Gefühle. Von den zuletzt
gut 4.000 DDR-Rundfunk-Mitarbeitern zeugt vor allem Abwesenheit.
Bettina Baltschevs knapper Begleit-Essay reißt immerhin an,
dass es für die Mehrzahl der Festangestellten nach 1991 keine
berufliche Zukunft mehr gab. Was an der beim Berliner Kleinverlag
Peperoni Books verlegten Publikation besonders stark fasziniert,
ist allerdings etwas anderes. Die Sprachkraft der Fotografien resultiert
aus der Einsicht in Dinge, die an keine Öffentlichkeit dringen
sollen. Das gilt zunächst für den Blick ins gut erhaltene
Herz sozialistischer Nachrichtenproduktion. Zum anderen geht es
um etwas, das auf neue Art ausgeblendet erscheint – resultiert
es doch aus der Dimension eines nicht übernommenen Erbes,
einer bis heute nicht verwirklichten Chance. Die Rede ist nicht
vom Zahn der Zeit, der Decken und Wände abblättern lässt,
Regale und anderes Büromobilar in skurrile Schieflagen bringt.
Gemeint ist, dass das gesamte Gelände verrottet, dass hier
(real wie metaphorisch) immenses Potenzial schlichtweg brach liegt.
Noch im Herbst 2005, als die Fotos entstanden, gab es trotz manch
projektgebundener Wort- und Musikproduktion für die stillgelegte
Radiostadt im Osten – damals Eigentum der fünf Neuen
Länder – kein grundsätzliches Nutzungskonzept.
Das letzte Drittel der Fotografien belegt, dass die Grenze zwischen
Verfall und Zerstörung eine fließende ist. Die Innenansicht
der berühmten Musikbaracke von Radio DDR, die Bilder von ausgeweideten
und zertrümmerten Studios, scheinen eher einen Terrorakt als
einen Demokratisierungsprozess zu dokumentieren. Nostalgie indes
ist beim Entschlüsseln der Bilddokumente kaum hilfreich. Womöglich
bezeugen diese nicht nur den Endstand im Medienkrieg der Systeme
von gestern und die darauf folgende Planlosigkeit, sondern noch
einen besonderen Akt organisierter Kriminalität. Nachzuweisen
ist das sicherlich kaum. Im sonnigen Herbst 2005 jedenfalls, verkaufte
das Landesimmobilienmanagement Sachsen-Anhalt das ehemalige DDR-Rundfunkgelände
an eine Firma Bau & Praktik aus Jessen, die hier (vgl. Die
Zeit vom 24.5.2007) als eine Art ‚Unternehmensbestatter‘ fungierte – vielleicht
letzte Vermögenswerte abbrach und attraktive Gebäude
mit Millionengewinn weiterverkaufte. Auch deren jetziger Eigentümer,
die Keshet Geschäftsführungs GmbH Co. Radio Centre Berlin
KG hat als erstes ein imposantes Konzept (vgl. Berliner Woche vom
9.5.2007) vorgelegt: hier die Schauspielschule „Ernst Busch“ unterzubringen
und das Gelände touristisch zu nutzen. Man darf gespannt sein,
wer noch künftig aus der ‚Roten Burg’ an der Spree
Kapital zu schlagen vermag.