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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 47
56. Jahrgang | September
Bücher
Musik zwischen Kunst und Alltag
Essays über die Psychologie der Musik
Rosemarie Tüpker/Armin Schulte (Hrsg.): Tonwelten: Musik zwischen
Kunst und Alltag. Zur Psycho-Logik musikalischer Ereignisse (Reihe
Imago, „Zwischenschritte“. Beiträge zu einer morphologischen
Psychologie 05/06), Psychosozial-Verlag, Gießen 2006,
286 S., € 29,90, ISBN 3-89806-466-2
Dieses Buch ist kein Handbuch der Musiktherapie. Es ist auch keine
Improvisationsschule. Weder wird der Leser zum Hobbypsychologen,
noch erhält er Tipps zur professionelleren Handhabung (s)eines
Instrumentes. Hier geht es weder um die Definition von musikalischer
Leistungsfähigkeit, noch um musikalische Begabung oder gar
die zur Musikrezeption notwendigen physiologischen Grundlagen des
Individuums. Trotzdem: die vielen Essays dieses Bandes sind lesenswert,
vermitteln Einblicke aus diversen Perspektiven in die Psychologie
der Musik, schildern konkrete therapeutische Situationen in der
Behandlung Erkrankter und unspektakuläre musikalische Alltagserfahrungen
nicht erkrankter Menschen gleichermaßen. Wissenschaftliche Überlegungen
und reichhaltige Literaturlisten zu jedem Essay ergänzen das
Buch. Das Improvisieren nimmt einen breiten Raum in diesem Buch
ein.
Genrell wird hier versucht, Musik selbst in ihrer psychologischen
Struktur zu erfassen. Musik wird aber auch als Medium zur Ausdeutung
psychischer Zustände, als Transmitter in der Therapie sozusagen,
verwendet. Alle Autoren sind in ihren Arbeitsbereichen seit Jahren
auch lehrend und publizierend tätig.
Nicht alle Essays sind sprachlich griffig. Aber als Anreiz für
eventuell ermüdete Leserhirne streifen sie inhaltlich ein
weites Feld und betreten es in verschiedenster Art. Von den Autoren
mit eigenen Studien gestützt, erlangt der Leser informative
und lesenswerte Einblicke in besondere Aspekte der Musik und der
Musiktherapie.
Die Essays sind vielschichtig: Rosemarie Tüpker nähert
sich in ihrem einleitenden Essay der Psychologie des Musikhörens
und untermauert mit vielen Alltagsbeispielen ihre Erkenntnisse.
Dadurch gewinnt der Text an Lebendigkeit. Autor Tilman Weber bemüht
die Harmonielehre, um Parallelen zwischen Therapie und Modulation
aufzuweisen – tatsächlich, derer gibt es einige und
es ist interessant, die Perspektive des Autors kennenzulernen.
Allerdings bezieht er sich sehr auf die Harmonielehre Dieter de
la Mottes, zwängt sie ein wenig in seinen individuellen Erkenntnisrahmen
und steuert keine eigenen harmonischen Analysen bei. Ulrich West
berichtet von seinen Erfahrungen in der Musiktherapie mit Suchtkranken:
informativ, klar formuliert. Ganz pragmatisch analysiert er später
in einer Studie die Psyche des Musikers beim Fagottüben. Josef
Dantlgraber berichtet vom innerlichen, fiktiven musikalischen Hören
des (musikliebenden und musikalisch aktiven) Analytikers in einer
sehr speziellen Analysestunde. Im Sinne der Psychoästhetik
untersucht Wolfram Domke das Phänomen des großen Erfolgs
von Radiosendern wie WDR 4.
Ein Geiger, dessen Lebensprobleme sich in der Angst, während
des Konzerts den Bogen zu verlieren, manifestierten, ist Hauptperson
in Gisela Raschers Beitrag. Ganz alltäglich und hier einmal
genau unter die Lupe genommen: Rosemarie Tüpker untersuchte
in ihrem zweiten Essay sogenannte Alltagsimprovisationen. Vielschichtig
auch im weiteren Verlauf: Heinrich von Kleists „Die heilige
Cäcilie“ untersucht Benedikt Geulen knapp auf die psychologische
Wirkung der Musik, Frank G. Grootaer berichtet Details und Abläufe
aus einer Woche Gruppenmusiktherapie in einer Klinik und Wilhelm
Salber untersucht die musikalische Metamorphose.