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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 45
56. Jahrgang | September
Noten
Das Kind im Pianisten
Wie ein Klavieralbum entsteht: der Pianist Markus Schirmer auf
Entdeckungsreise
Zusammen mit der Wiener Urtext Edition hat der international
renommierte österreichische
Pianist Markus Schirmer das Album „Expedition Klavier“ mit
Hörspiel erarbeitet. In einem Gespräch mit der nmz berichtet
er über die Entstehung dieses außergewöhnlichen
Projektes, die Resonanz, Zukunftspläne und seine Art der Musikvermittlung.
Angefangen hat alles mit den Planungen der Wiener Urtext Edition,
einen Sammelband mit Werken, die für Klavierschüler des
zweiten oder dritten Unterrichtsjahres geeignet sein sollten, herauszugeben.
Der österreichische Pianist Markus Schirmer sollte dieses
Projekt begleiten. Gemeinsam wurde überlegt, wie man sich
von unzähligen ähnlichen Editionen abheben könnte
und es kam ein Tonträger ins Spiel. „Ursprünglich
war die Idee, dass ich darauf die Stücke spielen sollte, die
in diesem Band erscheinen“, erinnert sich Schirmer, „aber
ich habe gesagt, dass ich das irgendwie langweilig finde“.
Es ging ihm vor allem darum, zu vermeiden, dass seine pianistischen
Fähigkeiten zur Frustration für die Kinder werden. Daher überlegte
Schirmer, „simpel und einfach einen jungen Menschen heranzuziehen
und mit ihm gemeinsam auf Spurensuche zu gehen“. Die Spurensuche
ist ein zentrales Element in der aus dieser Idee entstandenen Expedition
Klavier. „Es sollte nicht hervorgekehrt werden, dass ich
der kluge Professor bin, der die Dinge absolut erklärt, sondern
dass auch ich selbst auf der Spurensuche bin.“ Behilflich
sein sollte ihm bei der Expedition ein junger Kollege, Philipp
Scheucher. Philipp ist mittlerweile 14 Jahre alt und wurde im Jahr
2003 in die Klavier-Vorbereitungsklasse von Maria Zgubi an der
Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz
aufgenommen. Bestimmt kein durchschnittlicher Klavierschüler,
wie auch Markus Schirmer zugibt: „Ich war natürlich
auf der Suche nach jemandem, der gut spielt und sich von der Masse
abhebt. Es macht ja keinen Sinn, jemanden aufzunehmen, der das
Stück überhaupt nicht zusammenbringt.“ Aber in
Philipps Fall war dies nicht allein entscheidend, „es war
natürlich auch wichtig, dass er am Mikrofon sehr natürlich
und nicht irgendwie gekünstelt erscheint. Er sollte sich so
anhören wie jemand, der genauso gut außerhalb des Studios
an seinem Instrument sitzen könnte.“
Eine Expedition ist, so lässt es Schirmer im Vorwort des Sammelbandes
seine junge Zielgruppe wissen, eine abenteuerliche Reise ins Ungewisse.
Auf dieser Reise wechselt Schirmer die Perspektive: „Ich
persönlich sehe mich bei der Expedition Klavier in der Rolle
des Unwissenden, in der des Kindes, das etwas erklärt bekommen
soll.“ Berührungsängste hatte Schirmer, der neben
seinen „normalen“ Konzerten auch immer wieder Kinderkonzerte
gibt und vor seiner Unterrichtstätigkeit als Professor an
der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz
selbst oft Kinder unterrichtete, bei der Arbeit mit dem jungen
Kollegen nicht. Er hat dem Unterricht Philipps bei seiner Kollegin
Maria Zgubi beigewohnt und auch selbst Kompositionen mit Philipp
erarbeitet, beispielsweise die vierhändigen Stücke. „Dafür
hatte die Kollegin größtes Verständnis, was nicht
selbstverständlich ist. Oft gibt es in solchen Situationen
Eifersüchteleien, aber bei uns lief es sehr kollegial und
freundschaftlich ab.“ So hat Maria Zgubi die pädagogische
Beratung für das Projekt übernommen und erklärt
in einem Gespräch mit Jochen Reutter von der Wiener Urtext
Edition, das ebenfalls auf der CD zu finden ist, die pädagogischen
Ideen der Expedition Klavier.
Auch wenn die Zusammenarbeit reibungslos verlief, stellte das
Projekt eine große Herausforderung für den österreichischen
Pianisten dar. Es sei eine sehr spannende Zeit gewesen, auch wenn
sich durch neue Ideen und Anregungen die Arbeit immer höher
aufgetürmt habe: „Zuerst war das Konzept, dass nur ich
spiele. Das habe ich abgelehnt, weil es in meinen Augen wenig Sinn
gemacht hätte. Dann kam der Junge dazu und wir haben gemeinsam
gearbeitet. Wenn jetzt aber Philipp und ich immer abwechselnd ein
Stück gespielt hätten, wäre das wenig reizvoll gewesen.“ Also
hat Schirmer sich daran gemacht, zusätzlich Texte zu erarbeiten.
Keine einfache Aufgabe, wie er sich erinnert: „Das brauchte
natürlich sehr viel Zeit und außerdem bin ich ja Pianist
und kein Musikwissenschaftler. Ich hatte schon Ahnung von dem Einen
oder Anderen, aber natürlich nicht im Detail von allen Dingen.“ Der
Musikwissenschaftler Jochen Reutter stand ihm hier hilfreich zur
Seite. Zudem musste besondere Rücksicht auf die Ansprüche
der Zielgruppe genommen werden. „Die Dinge sollten ja nicht
rein wissenschaftlich von oben herab, sondern so erklärt werden,
als ob sie mir gerade eingefallen wären, als ob ich eine Geschichte
zu dem jeweiligen Thema zu verraten habe. Das kommt auf der CD
sehr leicht daher, aber es ist nicht so einfach, alles in Worte
zu kleiden und noch dafür zu sorgen, dass es immer spannend
und atmosphärisch bleibt, sodass das Interesse des Kindes
andauert und es bei der Stange gehalten wird.“ Dieser Spagat
zwischen Didaktik und Wissenschaft, zwischen spannenden, anekdotenreichen
Geschichten und musikalischen Fakten ist Schirmer durchaus gelungen,
wie die hörspielartige CD beweist, auf der er und Philipp
Scheucher nicht nur erklären, warum Beethovens Angebetete
nicht Elise, sondern Therese hieß, was eine Urtext-Ausgabe
ist und warum die Melodie eines Stückes hörbar sein sollte.
Oft verdeutlichen Tonbeispiele das Gesagte. Nicht nur die „perfekte“ Spielweise
wird präsentiert, es wird den jungen Hörern auch vorgeführt,
wie es sich anhört, wenn die Begleitung lauter ist als die
Melodie, was bei vierhändigen Stücken passiert, wenn
ein Spieler schneller ist als der andere oder wenn das Pedal übertrieben
eingesetzt wird. Als nicht unbedeutend hat sich hier Schirmers
Erfahrung bezüglich der Vermittlung von Musik erwiesen. Für
ihn steht dabei vor allem im Vordergrund, eng an der Musik zu arbeiten,
sich der Intention des Komponisten bewusst zu werden und sich zu
fragen: „In welchem Umfeld hat der Komponist gelebt? Was
hat er zu der Zeit, in der er das Stück geschrieben hat, erlebt?
Wie kommt es dazu, dass so ein Stück entstehen konnte und
was hat den Komponisten bewegt, als er es erschaffen hat? Das alles
muss man versuchen mit einzubeziehen und daraus kann man dann eine
Interpretation schaffen. Das heißt nicht, irgendein Stück
auswendig zu lernen, dann laut, leise, schnell oder langsam zu
spielen, sondern wirklich zu forschen, ganz nah dran zu sein und
wirklich schöne Musik zu machen.“ Nicht zuletzt aus
diesem Grund ist es dem Pianisten besonders wichtig, mit Urtexten
zu arbeiten. „Bei der Arbeit mit jungen Menschen sollte man
Urtextausgaben heranziehen. Wenn man sich einem Werk nähert,
sollte man sich auf jeden Fall auf den Urtext beziehen, um möglichst
nah am Original zu arbeiten. Vergleicht man irgendeine schlechte
Ausgabe mit dem Original, so ist das eine ganz andere Welt.“
Die Arbeit mit jungen Menschen erinnert den erfahrenen Konzertpianisten
an seine eigenen musikalischen Anfänge: „Meine Begeisterung
für die Musik wurde schon im zarten Alter von drei oder vier
Jahren geweckt. Da stand zu Hause nicht nur ein Flügel, den
ich immer wieder traktiert habe, sondern auch ein Schallplattenspieler,
den ich häufig kaputt gemacht habe, so dass mein Vater immer
neue Nadeln kaufen musste. Eines Tages war ich nicht mehr vom Instrument
wegzubringen und habe begonnen, zu improvisieren.“ Die Klavierlehrerin
an der damaligen Musikakademie in Graz sei sehr streng und konsequent
gewesen, habe jedoch auch mit Humor gearbeitet und ihn so motiviert.
Selbiges sei Ziel bei der Erarbeitung der Expedition Klavier
gewesen: „Der
Versuch, zu motivieren, Leute anzusprechen und die Lebendigkeit,
die diesen vermeintlich toten Stücken innewohnt, herauszubringen
und dem jungen Publikum plastisch nahe zu legen. Auch ich gehe
heute noch genauso auf Entdeckungsreise und habe ein bisschen ein
Kind in mir.“ Das Kind in Markus Schirmer, seine Fähigkeit,
sich ebenfalls als Entdecker einer Komposition zu nähern,
ist vielleicht das, was die Expedition so erfolgreich macht. Die
Resonanz ist groß, „es gab Reaktionen per E-Mail, aber
auch bei meinen ganz ‚normalen‘ Konzerten sind Kinder
mit dem Notenband zu mir gekommen und wollten Autogramme. Auch
Philipp hat Reaktionen erhalten“.