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nmz-archiv
nmz 2007/09 | Seite 30
56. Jahrgang | September
DTKV Bayern
Klangbrücke zwischen Deutschland & Polen
Abschlusskonzert des neuen Wettbewerbs mit zwei vielversprechenden
Preisträgern
Der Landesverband Bayerischer Tonkünstler leistet zum Bialas-Jahr
2007 einen sinnvollen und originellen Beitrag: Er rief den deutsch-polnischen
Streichquartettwettbewerb „Klangbrücke“ für
Ensembles aus, die sich mit der Interpretation zeitgenössischer
Musik beschäftigen. In Zusammenarbeit mit der Hochschule für
Musik und Theater München und gefördert von der GEMA-Stiftung,
der Kulturstiftung des Bundes, dem Kulturforum Östliches Europa
und dem Kulturfonds Bayern konnte ein anspruchsvoller Wettbewerb
realisiert werden, der – wie Prorektor Prof. Edgar Krapp
von der Münchner Musikhochschule in seiner Begrüßungsrede
feststellte – gerade bei den gegenwärtigen politischen
Irritationen zwischen den beiden Ländern eine wichtige Funktion
erfüllt. Musik wird hier zu einer Brücke, die das gegenseitige
Verständnis weckt.
Streichquartettspiel und die Beschäftigung mit zeitgenössischer
Musik müssen gefördert werden, betonte der Vorsitzende
des Landesverbandes Bayerischer Tonkünstler Dr. Dirk Hewig
in seinem Grußwort; denn Kammermusik und moderne Musik werden
im heutigen Musikbetrieb vernachlässigt. Deshalb sind neue
Impulse wichtig. Durch Konzerte der Preisträger-Ensembles
in Städten wie Breslau, Würzburg, Berlin und Bergisch
Gladbach können sich die jungen Künstler einem breiten
Publikum vorstellen. Durch die Begegnungen der jungen Wettbewerbsteilnehmer
und der Jury kamen sich polnische und deutsche Musiker auf vielfältige
Weise näher, freute sich Dr. Hewig.
Dass musikalisch-menschliche Brücken zwischen den beiden durch
eine schlimme Vergangenheit einander entfremdeten Ländern
entstanden, wurde im Preisträger-Konzert spürbar, in
dem ein Ensemble aus Deutschland, das Jade-Quartett, und das polnische
Wroclaw Modern Quartet aus Breslau spielten. Zuerst trug das Jade-Quartett
sehr expressiv und mit einer breiten Palette von Ausdrucksmöglichkeiten
Leoš Janáceks 2. Streichquartett „Intime Briefe“ vor.
Die jungen, in Stutt-gart ausgebildeten Musiker aus Taiwan, Korea
und China erstaunten durch ihre Virtuosität, ihr perfekt aufeinander
abgestimmtes Zusammenspiel und durch einen „Sound“,
der neben einem romantisch schmelzenden Ton ebenso harte und zerklüftete
Klangflächen kennt.
In der folgenden Laudatio beschäftigte sich Prof. Dr. Klaus
Hinrich Stahmer mit dem Leben und Werk von Günter Bialas.
Bialas, so zeigte Stahmer, verwirklichte in seinem eigenen Leben
eine Brücke zwischen Polen und Deutschland. Er wuchs in Kattowitz
und Breslau auf und fand nach dem Krieg in München eine zweite
Heimat. Stahmer beschrieb Bialas als glücklichen Menschen
trotz der schrecklichen Zeit, in der er lebte. Er stellte seine
umfassende Liberalität als Kompositionslehrer, aber auch als
Mensch heraus. Sein Spätwerk war die Erfüllung seines
künstlerischen Wegs und zeugt von einer erstaunlichen Frische
und Lebendigkeit. Stahmer machte deutlich, was für ein wichtiges
Vorbild das Leben und Werk von Günter Bialas für diesen
deutsch-polnischen Wettbewerb sind.
Das polnische Preisträgerensemble, das Wroclaw Modern Quartet,
spielte darauf George Crumbs „Black Angels“ für
elektronisch verstärktes Streichquartett, Gläser und
Tamtam aus dem Jahr 1970. Die vier jungen Damen musizierten mit
großer Klangentdeckerlust. Dabei erwiesen sie sich nicht
nur als kompetente Streichinstrumentenspieler, sondern überzeugten
auch als Schlagzeuger und Glasklangbeschwörer. Es war beglückend,
aus mehr als dreißigjährigem Abstand ein einst provozierendes
Werk als unterhaltsame und publikumswirksame Musik wieder zu entdecken.
Da tauchten zum Beispiel Gambenklänge der alten Musik auf,
wenn die Violinen mit dem Bogen auf dem Griffbrett gestrichen wurden.
Und dann hörte man wiederum Anklänge von elektronisch
verfremdeter Rockmusik wie sie 1966 von The Velvet Underground
gespielt wurde. Das Wroclaw Modern Quartett erinnert in seiner
Aufgeschlossenheit für neue Streichquartettklänge und
Verbindungen zur Popularmusik an das amerikanische Kronos Quartett.
Bei der anschließenden Preisverleihung überreichte Dr.
Dirk Hewig dem Wroclaw Modern Quartett den mit 2.500 Euro dotierten
zweiten Preis und dem Jade-Quartett den mit 4.000 Euro dotierten
ersten Preis. In den jeweiligen Begründungen der Jury, die
Dr. Hewig verlas, wurden die beiden Ensembles vorgestellt: Das
Wroclaw Modern Quartet erspielte sich beim 8. Internationalen Wettbewerb
für Kammermusik in Krakau einen 3. Preis und gibt seither
in Polen zahlreiche Konzerte. Das Jade-Quartett gewann beim deutschen
Hochschulwettbewerb den 1. Preis und kann bereits auf einen ausgefüllten
Konzertkalender verweisen.
Zum Abschluss spielte das Jade-Quartett das 4. Streichquartett „Assonanzen“ von
Günter Bialas. Dabei überzeugte es durch sein klares,
durchsichtiges und jeden Ton gestaltendes Zusammenspiel. Das im
Alter von 79 Jahren entstandene Werk wirkte in der Interpretation
des Jade-Quartetts als Teil des großen, zeitlosen klassischen
Repertoires.
Die Organisatoren des deutsch-polnischen Wettbewerbs „Klangbrücke“ können
mit dem Erfolg zufrieden sein: Sie entdeckten zwei außerordentliche
Ensembles, die große Chancen auf eine Karriere haben und
auf deren weitere künstlerische Entwicklung man gespannt sein
darf, und sie leisteten einen wichtigen Beitrag zur deutsch-polnischen
Verständigung. Günter Bialas wäre sicherlich über
dieses Unternehmen glücklich gewesen.